Der Einzug

Exerzitien 25. Teil, Bingen 2018, die „dritte Woche“.

Und weiter geht es mit unserer kleinen Fortsetzungsgeschichte über die letzten Tage Jesu (über ihren Hintergrund steht hier mehr). Die Planungen für den Einzug in Jerusalem sind abgeschlossen, die Vorbereitungen beginnen.

Nach den Beratungen hielt ich mich von der Gruppe fern; bei den Vorbereitungen hätte ich nur gestört. Und so machte ich mich auf den Weg in die Stadt. Wie ich schon vermutet hatte: Mit Rom kein Vergleich. Aber es lag eine seltsame Atmosphäre über der Stadt, eine explosive Mischung von Aufruhr, religiöser Anspannung und Festtagsstimmung.

Auf dem Rückweg kam ich an einem Hügel mit Olivenbäumen vorbei. Doch Oliven wurden hier keine mehr geerntet. Dafür waren Querbalken an die Stämme genagelt worden. Und an ihnen hingen Menschen, sterbend oder bereits tot. „Die Gruppe von Jehuda dem Messerwerfer,“ meinte ein Passant. „Die Römer kreuzigen alles, was nur entfernt nach Hochverrat aussieht. Und Jehuda hat immerhin einige Hoffnungen auf Befreiung in der Bevölkerung geweckt.“

Zurück in Betfage sah ich Jesus auf einer Bank sitzen. „Darf ich?“, fragte ich. Jesus rückte ein wenig zur Seite.

„Jesus“, sagte ich, „warum machst du das eigentlich? Ich meine, wenn dich die Leute dazu drängen würden, dann würde ich das ja noch verstehen. Aber diese ganze Inszenierung – es ist ja fast so, als ob du sterben wolltest.“

„Nun“, antwortete Jesus, „immerhin setzen meine Jünger große Hoffnungen in mich. Petrus sieht in mir den Gesalbten, den Messias, den Gottessohn. Judas hofft, dass ich die Römer vertreibe und ein gerechtes Reich aufrichte. Philippus sieht schon das Reich Gottes entstehen, und für Johannes bin ich der vollkommene spirituelle Lehrer. Alle setzen große Hoffnungen in mich.“

„Und du?“, fragte ich. „Was willst du selbst? Du hast etwas von Leid und Tod erzählt – ich sah heute eine Reihe von Gekreuzigten. Es war ziemlich grauenvoll. Und das mit der Auferstehung verstehe ich, ehrlich gesagt, nicht wirklich. Warum also das alles?“

„Es ist mein Weg.“

„Es gibt zweifellos angenehmere Wege und Ziele.“

„Du denkst an Rom, die Thermen und alles?“ Jesu Frage war eher rhetorisch gemeint. „Ja, vielleicht ist das ja dein Weg. Ein angenehmes Leben und dann heiter sterben.“ Ich hatte in Rom mit einigen Stoikern zu tun gehabt, auch Seneca getroffen, und in der Tat: Das schien mir ein durchaus überzeugendes Lebenskonzept zu sein.

„Aber das will nicht zu meinem Leben passen“, fuhr Jesus fort. „Ich bin Jude, unser Gott ist alles: liebender Vater und unberechenbarer Despot, hochemotional und von unergründlicher Tiefe. Er trennt zwischen seinem Volk und allen anderen und ist doch der Gott aller Menschen und für alle da. Und so sind wir Juden auch: Wir glauben schnell und sind gleichzeitig auf der Suche nach der ewigen Wahrheit. Wir lachen und tanzen und leiden unter der Ungerechtigkeit und der Herrschaft der Römer. Wir könnten Römer werden, wie unsere Vorfahren Babylonier hätten werden können, aber dann hätten wir uns verloren. Wir hätten Gott verloren. Es gibt für uns offenbar nicht den leichten Weg.“ Und nach einer Pause: „Nein, ich weiß selbst nicht richtig, wozu das alles gut sein soll. Aber ich bin überzeugt davon, dass es wichtig ist.“

Dann schwieg er. Ich auch. Nach einer Weile stand ich auf und ging ins Bett.

Am nächsten Tag ging ich hinunter ins Kidron-Tal. Etwa 30 m hinter dem Garten Gethsemane hatten sich die Jüngerinnen und Jünger mit gut 40 weiteren Menschen versammelt. Und als Jesus unter den Bäumen zu sehen war, begannen sie zu rufen: „Da ist er, Jesus, der Prophet aus Nazareth, Gesalbter, Retter, Sohn Gottes. Hosanna.“ Erst durcheinander, dann im Chor. Das Fohlen hatte vor Schreck kurz gebockt, aber dann hatte Jesus es im Griff. Das Geschrei sorgte für Aufsehen. Immer mehr Menschen strömten zusammen. Einige hatten schon von Jesus gehört und informierten die anderen.

Ich schaute die Leute an. Die meisten waren aus Neugier dabei. Andere hatten einen hoffnungsvollen Blick. Wieder andere ließen sich mitreißen. Und einen hörte ich hinter mir sagen: „Vielleicht schafft er ja das, woran Jehuda der Messerwerfer gescheitert ist.“

Es dauerte eine ganze Weile, bis Jesus das Kidron-Tal durchritten hatte und zum Goldenen Tor kam. Bis dahin waren vielleicht zwei- bis dreihundert Menschen zusammengekommen.

Plötzlich kehrte Ruhe ein. Aus dem Tor waren Soldaten gekommen, eine kleine Einheit von Pilatus‘ berittener Garde. Aber sie beobachteten nur. Als Jesus das Tor durchritten hatte, schlossen sie es sofort. Sie befürchteten wohl, dass es in den engen Gassen Tote und Verletzte geben könnte.

Jesus aber hatte erreicht, was er wollte.

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Beitragsbild: Henri van Waterschoot († 1748(?) in München), Einzug in Jerusalem – http://www.lempertz-online.de/, Public Domain, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=15774002
Über die Arten von Kreuzigung gibt, natürlich, Wikipedia umfassend Auskunft.

Entscheidungen

Exerzitien 23. Teil, Bingen 2018, die „dritte Woche“.

Heute folgt der dritte Teil des Gesprächs mit Jesus unter den Ölbäumen über den Menschensohn. Johannes war gerade wieder zurück zu den Jüngern gegangen.

Wir saßen nebeneinander und schwiegen. Auf der Römerstraße sahen wir ein paar Soldaten und Händler. Dann fragte ich: „Und wie ist es so – zu wissen, was auf einen zukommt?“
„Ich wünschte, ich wüsste es nicht“, sagte Jesus. „In Kana saß ich unbeschwert beim Wein [Joh. 2,1-12], und bei Levi waren wir zusammen fröhlich [Mt. 2,3-17]. Ob das noch einmal so möglich sein wird? Auf der einen Seite möchte ich alles weit hinausschieben. Hier in Syrien bleiben, wo mich keiner kennt. Und dann wieder, dass alles so schnell wie möglich vorbei ist. Und über allem liegt ein Schatten.“ [Lk. 12,49-50]
Rom kam mir in den Sinn. Statt hier in der Provinz zu sitzen, könnte ich mich in den Thermen von einem Sklaven massieren lassen, mit Rufus plaudern und später zu Claudia gehen.
Stattdessen fragte ich Jesus: „Wann gehst du nach Jerusalem?“
„Schon bald“, sagte er. „Hier ist meine Mission beendet. Die Dinge müssen ihren Lauf nehmen.“
Ich war mir nicht sicher, ob ich das, was ich dann fragte, wirklich fragen wollte. Rom lockte, der Komfort und die Sicherheit. Das Leben. Jerusalem bedeutete Unsicherheit, Gefahr, vielleicht sogar Tod. Ich kannte mich dort gar nicht aus. Sadduzäer, Pharisäer, Essener, Zeloten… Drei Juden, vier Meinungen, fünf Parteien, hieß es in Rom über dieses merkwürdige Volk. Das doch nur einen Gott kannte und anbetete. Der aber nicht ganz so berechenbar war wie unsere Götter.
Das hatte ich während der Zeit mit Jesus gemerkt: Einerseits predigte er den guten Vater im Himmel, aber genau der bewahrte ihn offensichtlich nicht vor dem Leid, sondern schickte ihn vielleicht sogar in den Tod – mit einem vagen Versprechen von einer Art von Auferstehung, von der man noch nicht so richtig wusste, wie gut sie wirklich war.
Und trotzdem hatte ich das Gefühl: Wenn ich nach Rom zurückkehrte, würde ich Wesentliches verpassen. „Und setzet ihr nicht das Leben ein, nie wird euch das Leben gewonnen sein.“ Wer hatte das noch einmal gesagt? Egal.
Ich fragte also: „Kann ich mit nach Jerusalem?“
Jesus schaute mich an. „Lieber nicht“, sagte er dann. „Um deinetwillen und um meinetwillen. Du begibst dich in Gefahr und ich kann keine Gaffer gebrauchen.“
Ich nickte. „Das kann ich verstehen. Aber ich frage nicht so einfach aus Spaß. In Rom habe ich es zweifellos angenehmer als in Jerusalem. Und ich komme auch nicht deinetwegen mit.“
„Und warum dann?“
„Ich weiß auch nicht so genau. Ich habe noch nie so eine Stimme gehört wie du, wenn du vom Menschensohn geredet hast. Und doch habe ich das Gefühl, dass nicht Rom, sondern Jerusalem der richtige Ort für mich ist.“
„Aber ich werde nicht auf dich aufpassen“, sagte Jesus. „Die ganze Sache wird ohnehin schwer genug.“
„Das geht schon in Ordnung“, antwortete ich. „Ich passe schon alleine auf mich auf und komme dir nicht in die Quere. Und was geschehen soll, geschieht.“
„So sei es denn“, sagte Jesus und stand auf. „Aber halte dich im Hintergrund. Wenn es eng wird, sind mir meine Jünger wichtiger.“
„In Ordnung.“ Und damit gingen auch wir zu den anderen zurück.

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Unser ich-erzählender Römer konnte gar nicht wissen, von wem das Zitat war. Es wurde erst von Friedrich Schiller erfunden (Wallensteins Lager 11).

Der Menschensohn

Exerzitien 22. Teil, Bingen 2018, die „dritte Woche“.

Im letzten Blogbeitrag machten wir uns auf eine Reise, ins Judäa im Jahre 785 ab urbe condita. Dort finden wir uns jetzt wieder ein – im Kreis der Jünger Jesu. Jesus selbst hatte uns mit einigen Aussagen irritiert, in denen er vom Menschensohn sprach, und war dann weggegangen. Ich hatte Johannes gefragt, ob wir beide ihm nicht folgen und mit ihm reden könnten.

Menschensohn

Die Vision vom Menschensohn nach der Offenbarung

Johannes schaute mich an, ich nickte, und wir standen auf und gingen in die Richtung, in der Jesus verschwunden war. Wir fanden ihn gar nicht weit entfernt auf einem Stein sitzen. Er schaute uns an, als wir näher kamen. Wir setzten uns zu ihm.
„Was war denn das eben?“, fragte ich.
„Sagt ihr es mir“, antwortete Jesus. „Ich kann es auch nicht wirklich erklären.“
„So kenne ich dich eigentlich nicht“, sagte ich. „Ich bin jetzt etwa einen Monat bei euch, und du bist freundlich, positiv, manchmal crazy und besonders, voller überraschender Ideen und oft humorvoll. Zwei, drei Mal war das allerdings anders. Und ich erinnere mich, dass dabei auch der Menschensohn eine Rolle gespielt hat. Einmal hast du die Geistlichen hier sehr provoziert, als du meintest, du könntest Sünden vergeben.“ [Mt. 9,6]
„Als ob du mit Gott in allerdirektestem Kontakt stehst“, ergänzte Johannes. „Wahrscheinlich hat Simon auch an diese Situationen gedacht, als er meinte, du seist Gottes Sohn.“
„Es ist wirklich so“, sagte Jesus. „Es ist, als ob sich eine Tür zu einer anderen Wirklichkeit auftut. Ich habe es auch früher schon erlebt, in Nazareth. Als mir klar wurde, dass ich zum Täufer Johannes an den Jordan gehen musste. Und dann während der vierzig Tage in der Wüste. Aber das kann auch ganz natürliche Ursachen haben. Der Beruf Zimmermann sagte mir nie so zu, da kam die Berufung zum Jordan gerade recht. Und wenn man in der Wüste fastet und betet, dann erscheinen wie von selbst besondere Bilder.“
„Und es sieht so aus“, erwiderte Johannes, „als ob sie eine höhere Wahrheit beinhalten.“
„Ich glaube aber nicht, dass sie von Gott kommen“, sagte ich.
„Und wie erklärst du sie dann?“, fragte Johannes.
„Nun“, sagte ich, „ich denke mir das so: Jesus ist einerseits aufmüpfig gegen die Römer, andererseits konsequent gewaltlos, provoziert die hiesige Geistlichkeit, und die Leute sehen in ihm den Messias, da braucht man nicht mehr viel Phantasie: Die Katastrophe ist vorprogrammiert.“
„Ja“, unterbrach uns Jesus heftig. „Und Simon will sich gegen diesen Weg wehren. Wahrscheinlich will er kämpfen. Und dann verlieren wir alles. Kämpfen ist der menschliche, der normale Weg. Ich aber gehe den Weg der Liebe, und das heißt: der Hingabe.“
„Im Ernst?“, fragte ich. „Ich erinnere mich da aber an ein paar Sprüche, die gar nicht nach Liebe klangen. Du hast einmal gesagt: ‚Ihr sollt nicht meinen, dass ich gekommen bin, Frieden zu bringen. Ich bin gekommen, das Schwert zu bringen.‘ [Mt. 10,34] Ist das der Weg der Liebe?“
Jesus schwieg lange. Dann sagte er: „Nein, das ist nicht der Weg der Liebe. Aber wahrscheinlich wird es so sein, dass diejenigen, die den Weg der Liebe gehen, Hass auf sich ziehen. Denn diejenigen, die den Frieden wollen, sind eine große Gefahr für die, die vom Unfrieden profitieren.“
„Aber dann kommt die Auferstehung“, warf Johannes ein.
„Genau“, sagte ich. „Das habe ich erst recht nicht verstanden. Wieso zum Beispiel nach drei Tagen?“
Jesus antwortete: „Beim Propheten Hosea heißt es: ‚Nach zwei Tagen macht Gott lebendig und nach drei Tagen richtet er auf.‘ [Hos. 6,2] Und vielleicht passt doch noch besser das Zeichen des Jona, der drei Tage und drei Nächte im Walfisch blieb.“ [Mt. 12,40]
„Das sind dann aber eher vier Tage, nach unserer Zählung“, gab Johannes zu bedenken. „So ganz will das nicht zusammenpassen.“
„Und heißt auferstehen dann, dass du wieder lebendig wirst und ewig lebst?“, fragte ich Jesus.
„Das wäre ja furchtbar“, entfuhr es ihm.
Johannes überlegte: „Irgendetwas aber geht dann weiter, nach einer kurzen Zeit.“
Wir vermuteten noch dies und das, kamen aber zu keinem gemeinsamen abschließenden Ergebnis.
Nach einer Weile stand Johannes auf und ging zurück zu den anderen. 

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Beitragsbild: Jesus und seine Jünger, von Rembrandt – teylers.adlibhosting.com : Home : Info : Pic, Public Domain, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=37648997
Bild im Text: Der Menschensohn, von  Gebhard Fugel (1863-1939) – http://www.johannesoffenbarung.ch/bilderzyklen/fugel.php, Public Domain, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=65392969

 

Berufungen

Exerzitien 19. Teil, Bingen 2016, die „zweite Woche“.

(Die kursiven Texte sind wörtlich meinem Binger Tagebuch von 2016 entnommen) 

PHILIPPUS UND NATHANAEL

Meine „Lieblingsberufung“ ist die des Nathanael: Philippus, bereits von Jesus überzeugt, will nun auch seinen Freund gewinnen. Doch Nathanael sträubt sich. „Was kann aus Nazareth schon Gutes kommen?“ Philippus versucht nun erst gar nicht, ihn zu überzeugen, sondern meint schlicht: „Komm und sieh selbst.“ Nathanael gibt sich einen Ruck. Und als Jesus ihn sieht, meint er: „Hier kommt ein aufrechter Mensch.“ – Das entspricht meiner Erfahrung: Menschen lassen sich kaum durch Diskussionen von Jesus überzeugen. Sie müssen sich schon selbst aufmachen und sehen. Und wenn sie dann so positiv empfangen werden wie Nathanael von Jesus, dann ist eine gute Grundlage gelegt.

LEVI

Jesus kommt an einer Zollstation vorbei und fängt mit Levi, dem Zöllner, ein Gespräch an. Levi ist es nicht gewohnt, dass ein Israelit respektvoll mit ihm spricht und steigt gerne ein – zunächst vorsichtig, dann immer vertrauensvoller. Und als sich Jesus bei ihm einlädt, ist seine Bude abends voll.

Das ist keine typische Bekehrungsgeschichte. Jesus überschreitet einfach eine Grenze, redet mit jemandem, mit dem sonst niemand redet. Und er feiert. Hat Jesus an dem Abend nur „gute Gespräche“ geführt? Oder nicht auch einfach mal Witze gerissen, Smalltalk gemacht oder den guten Wein, den es bei Levi sicherlich gab, genossen? Reden und feiern – könnte das ein Programm für die Gemeinde sein?

PETRUS

Jesus steht am Ufer und fordert die erfolglosen Fischer auf, noch einmal die Netze auszuwerfen. Sie tun es, mit unglaublichem Erfolg. Auch ich habe Erfahrungen von Fülle gemacht, und es ist mir in meinem Leben schon viel geschenkt worden. Und doch bleibt mir die Geschichte fremd, ja ich wehre mich gegen diese Erfolgsgeschichte. Vielleicht weil mir beigebracht wurde: Nur wer Erfolg hat, ist etwas wert? Weil ich erfahren musste, dass andere mit weniger Aufwand einfach erfolgreicher waren? Sympathischer und entlastender ist mir Martin Buber: „Erfolg ist keiner der Namen Gottes.“   

Nachdem Petrus Jesus als Sohn Gottes angeredet hat, bekommt er einen neuen Namen. „Hat sich durch meine Berufung auch mein Name oder mein Wesen verändert?“, fragt der Exerzitienmeister. Wenn meine Berufung zum Pastor gemeint ist und wenn ich meinen Lebensweg von Schulzeiten bis heute in den Blick nehme, lautet die Antwort: Ja, durchaus. Am Anfang war ich doch sehr zurückhaltend. Heute müssen meine Gesprächspartner manchmal aufpassen, dass sie überhaupt zu Wort kommen…

Was aber bedeutet es, wenn Petrus die „Schlüssel des Himmels und der Erde“ bekommt? Vielleicht: Den Menschen, denen ich begegne, die göttliche Sphäre im Hier und Jetzt aufzuschließenim gegenseitigen Trost, in guten Gesprächen, in begeisternden Aktionen, Türen für Menschen „draußen“ öffnen.

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Beitragsbild: By Own work, user:M.chohan, Public Domain, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=1718094

 

Der Ruf des Königs

Exerzitien 13. Teil, Bingen 2016, die „zweite Woche“.

(Die kursiven Texte sind wörtlich meinem Binger Tagebuch von 2016 entnommen) 

Ignatius schreibt in seinem Exerzitienbuch als Anleitung, dem „Ruf des Königs“ zu folgen und damit der eigenen Berufung gerecht zu werden – und er gibt damit auch einen Einblick in seine Vorstellungswelt: „Der erste Punkt ist: Sich einen menschlichen König vor Augen stellen, von Gott Unserm Herrn selber erwählt, dem alle Fürsten und alle Christenmenschen Ehrfurcht erweisen und gehorchen. Weiterlesen

Exerzitien, die „2. Woche“

 

Exerzitien 12. Teil, Bingen 2016

Vor einem Jahr begann ich, über meine Exerzitien in Bingen zu schreiben. Die Beiträge finden sich sowohl unter der Themen- als auch Schlagwortsuche („Exerzitien“). Sie umfassen die „1. Woche“. Der Inhalt dieser Tage war, mit den Worten des Ignatius, „die eigene Sünde“. Und das heißt: Gibt es unsortierte Bereiche in meinem Leben? Was hindert mich, meiner Berufung zu folgen und damit zu mir selbst zu kommen?

In der „2. Woche“ ging es um die Frage: „Was ist meine Berufung?“ – und das meint für Ignatius: Wie sieht mein Leben in der Nachfolge Jesu aus? Deshalb meditierten wir nun die Geschichten der Evangelien: die Menschwerdung, die Geburtsgeschichten, die Jugend, der Beginn des öffentlichen Wirkens, die Botschaft und die Berufung der Jünger.

Weiter kam ich nicht. Denn am 5. August verdrängte der Körper endgültig den Geist.

Schon in den Wochen davor hatte ich z.T. erhebliche Rückenschmerzen. Ich war bei verschiedenen Ärzten gewesen, und alle diagnostizierten zuverlässig Verspannungen. Der letzte, den ich vor den Exerzitien konsultiert hatte, meinte nach seiner Behandlung: Jetzt könne es noch ein wenig schlimmer werden, dann aber trete bestimmt Besserung ein. Und tatsächlich: In der 1. Binger Woche wurde es immer ein wenig schlimmer. Aber es trat danach keine Besserung ein. Und so waren in der 2. Woche neben den Exerzitien-Meditationen die Schmerzen ein bestimmendes Thema.

Über diese 2. Woche haben wir damals nicht berichtet. Es hatten sich andere Themen in den Vordergrund geschoben. Bevor ich aber in einigen Wochen über die diesjährigen Exerzitien berichte, möche ich noch zuende erzählen, wie es damals war.

Task-Force-Gemeinde

Church of the Saviour – USA ’88, 4. Teil

Das Potter’s House dürfte in Washington D.C. schon eine Legende sein, ebenso wie sein Potters innenInitiator und die Geschichte, die hinter der Gründung steckt. In den Fünfzigerjahren wurde der Prediger Gordon Cosby mit seiner Frau einmal in eine Kirche in den New-England-Staaten eingeladen. Sie empfanden die Atmosphäre dort als ebenso unfreundlich wie kalt. Für die Nacht wurden sie über einer lauten Kneipe untergebracht, in der bis in die Morgenstunden wild gefeiert wurde. Am nächsten Morgen meinten sie, dass Jesus sich aber auf alle Fälle in dieser Kneipe wohler gefühlt haben dürfte als in der Gemeinde. Die Idee für Washingtons erste Teestube war geboren.

Potters innen neuSie eröffnete 1960 in Columbia Heights, im gemütlich-dunkelbraunen Stil der damaligen Zeit gehalten. Zur Zeit der Unruhen nach der Ermordung Martin Luther Kings war sie ein Ort des Friedens, und in den vielen Jahren und Jahrzehnten ihres Bestehens haben hier unzählige Menschen Obdach und Lebenshilfe gefunden. Hier wurden nicht nur neben Kaffee und einem guten Essen auch Bücher angeboten, hier fanden ebenso Ausstellungen, Gottesdienste und Versammlungen statt. Vor allem aber lebte das Haus von den Menschen, allen voran Gordon und Mary Cosby. Wir haben es selbst erlebt.

Potters OConnorKaum hatten wir einen Kaffee bestellt, setzte sich Elizabeth O’Connor zu uns („You are Germans!“) und erzählte von der Gemeinde, der Church of the Saviour. Später setzte sich Gordon Cosby himself dazu. Er war damals immerhin schon um die 70, und er erklärte uns die Grundzüge seiner Gemeinde: Ihm war es wichtig, dass die Menschen sich auf eine innere und eine äußere Reise begeben. Für die inward journey hatte die Gemeinde schon seit den Fünfzigerjahren in Maryland ein Recreation Center aufgebaut, um im Rhythmus der Natur, das heißt dem Rhythmus Gottes leben zu lernen. Und es ist wichtig, die eigene Berufung zu finden und auf die outward journey zu gehen. Das alles hat mich schon damals stark an die Exerzitien des Ignatius von Loyola erinnert, die ich selbst allerdings erst fast 20 Jahre später kennenlernen sollte.

Potters Cosby

Gordon Cosby

Die äußere Reise mündet dann nicht selten im Engagement für die Gemeinde. Die Church of the Saviour besteht aus verschiedenen Teams, zum Beispiel eins für das Recreation Center, ein anderes für das Potter’s House. Wenn aber das Team größer wird als etwa 30 Personen, muss es sich teilen und eine neue task, eine neue Aufgabe finden. Heute sind es 40 ministries, die zur Church of the Saviour und den aus ihr entstandenen Kirchen gehören, von einer Aids-Seelsorge über Familienbildung, Obdachlosenhilfe bis zur Fortbildung von kirchlichen Mitarbeitenden.

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Christ House

Cosby war wie Wallis zugewandt und geduldig, freundlich und ruhig. Man merkte aber auch, dass er es gewohnt war, aufmerksame Zuhörer zu haben. Zu Recht, wie Jim Wallis in seinem Nachruf beschreibt: Cosby hat unzählige Menschen begleitet und angeregt. Zum Beispiel Allan Goutcheus, den Präsidenten des Christ House, den wir auch im Potter’s House trafen.

ChristHouse Goutcheus

A. Goutcheus

Allan war Pastor der United Methodist Church und seine Frau Janelle Ärztin. Eigentlich wollten sie in Pakistan arbeiten, bekamen kein Visum und dafür Kontakt zu Gordon Cosby. Aus dieser Begegnung heraus entstanden das Columbia Health Center und das Christ House, eine Gesundheitsstation für Obdachlose: Hoffnung für die Hoffnungslosen. Im Unterschied zu den Gottesdiensten im Potter’s House und der Kirche der Church of the Saviour, die besonders von Weißen besucht wurden, nahmen hier auch sehr viele Latinos und Farbige teil. Wir kamen während unserer Zeit in Washington dann auch im Christ House unter.

Allan gab uns dann noch den Tipp, John Steinbruck von der Luther Place Memorial Church zu besuchen. Wir haben den Rat befolgt und nicht bereut.

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Das 2. Bild zeigt das Potter’s House bei unserem Besuch 2010 © Erik Thiesen
Alle anderen Bilder von 1988 © Johannes Jurkat

* Miteinander reden

Das Gespräch mit der AfD geht weiter – ein Vorwort

Blinde und Elefant.jpgFünf weise Männer, alle blind, bekommen den Auftrag, einen Elefanten zu beschreiben. Der erste sagt: „Ein Elefant ist wie ein langer Arm“ – er hatte nur den Rüssel berührt. Der zweite steht an den Füßen und meint: „Nein, er ist wie eine Tonne.“ Der dritte betastet ein Ohr und sagt: „Nein, wie ein Fächer.“ Der am Schwanz entgegnet: „Keineswegs, ein Elefant ist wie ein großer Pinsel.“ Und der fünfte berührt den Rumpf und sagt: „Wie eine Tonne mit Borsten.“

Wir sind wie die Weisen und sehen alle nur einen Teil der Wirklichkeit – Buddha selbst soll dieses Gleichnis erzählt haben. Ich glaube aber, dass es nicht stimmt.

Denn es geht davon aus, dass es nur eine Wirklichkeit gibt. Und wenn wir nur alle Informationen zusammentragen, dann werden wir sie erkennen. Ich aber glaube, dass die Weisen gar nicht alle den Elefanten berührt haben, sondern der erste einen dicken Schlauch, der zweite einen Baum, der dritte ein großes Tuch, der vierte einen Staubwedel, und nur der fünfte hat den Elefanten berührt. Sie haben verschiedene „Wirklichkeiten“ untersucht.

Vor einiger Zeit habe ich auf diesem Blog mit einer evangelikalen Christin diskutiert. Irgendwann haben wir das Gespräch im gegenseitigen Einvernehmen beendet, ohne wirklich zueinander gekommen zu sein. Wir haben in zwei verschiedenen Wirklichkeiten geredet.

Was völlig normal ist, wenn man den Soziologen Peter L. Berger und Thomas Luckmann glaubt. Sie sind davon überzeugt, dass wir uns unsere Wirklichkeit konstruieren. Sie beschreiben Wirklichkeit – und nun wird es etwas theoretisch – „als Qualität von Phänomenen, die ungeachtet unseres Wollens vorhanden sind – wir können sie ver- aber nicht wegwünschen. ‚Wissen‘ definieren wir als die Gewißheit, daß Phänomene wirklich sind und bestimmbare Eigenschaften haben.“ (Die gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit, S. 1) Wenn man den Alltag beobachtet, zeigt sich aber, dass in verschiedenen Gesellschaften verschiedene Wirklichkeiten gelten, die durch verschiedene Vorgänge erzeugt werden. (Wikipedia) Wie wir Menschen das machen, kann man hier ganz gut nachlesen.

Ein kleiner Rückblick in die Geschichte: Die Reformation wird kirchlicherseits gerne als Ursprung der Toleranz gesehen. Das ist nicht ganz falsch. Aber nicht deswegen, weil die Reformatoren tolerant waren. Ganz im Gegenteil. Durch ihre Intoleranz haben sie das einheitlich-katholische Weltbild des Mittelalters zerstört. Plötzlich gab es auf engem Raum zwei und mehr „Wahrheiten“ – die katholische und evangelischerseits gleich eine ganze Reihe. Im Augsburger Religionsfrieden 1588 – „cuius regio, eius religio“, der Herrscher bestimmt die Konfession seiner Untertanen – wurde diese Vielfalt erstmals akzeptiert. Noch in meiner Jugend gab es auf dem Land praktisch keine Katholiken – mit dem einen Mädchen in der Klasse kamen wir klar. Als ich in Franken studierte und von den handgreiflichen Auseinandersetzungen zwischen protestantischen und katholischen Schülern eines Bamberger Gymnasiums hörte, dachte ich: Das ist Mittelalter. Es war wohl eher der 30-jährige Krieg… Heute leben wir eng zusammen mit verschiedenen Glaubensrichtungen und Weltanschauungen, manche kompatibel, andere nicht so.

Und immer wieder machen wir den Versuch, eine dieser „Wirklichkeiten“ zur dominierenden zu erklären. Im Iran klappt das mit dem Islam noch ganz gut. Die Franzosen bekommen mit ihrem Laizismus schon Probleme mit Katholiken und Moslems. In Deutschland hat sich der Staat entschieden, sich aus weltanschaulichen Fragen herauszuhalten und mit allen Gruppen zusammen zu arbeiten, die auf dem Boden des Grundgesetzes stehen. Was, wie ich finde, die bei weitem beste Methode ist. Aber auch die bei weitem komplizierteste.

Deshalb diskutieren wir in Abständen immer wieder einmal über Leitkulturen, Verdrängung der Religionen ins Private und der Frage, ob und wie der Islam zu Deutschland gehört.

Und damit sind wir bei der AfD. Darüber mehr im nächsten Blog.

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Beitragsbild: By Skydeas – Own work, CC BY 3.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=30881279
Bild im Text: By Illustrator unknown – From The Heath readers by grades, D.C. Heath and Company (Boston), p. 69., Public Domain, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=4581263

 

* Vom Engel, der fliegen wollte

Ein Märchen

Liebe Gemeinde,

Kinder brauchen Märchen, heißt es, und ich glaube: Erwachsene auch. Deshalb möchte ich heute ein Märchen erzählen. Und Märchen fangen an mit „Es war einmal“.

Es war einmal ein Engel. Manche Engel werden geboren, dieser Engel wurde geschaffen. Er war sofort erwachsen. Ein Schöpfer schuf ihn aus einem einzigen Holzstück. Und als der Engel fertig war, hielt der Schöpfer ihm einen Spiegel vor und fragte ihn: „Wie gefällst du dir?“ Und der Engel sagte: Weiterlesen

* Von Menschen und Göttern

AlgerienDer Film beruht auf wahren Begebenheiten. Algerien, 1993. Neun Mönche leben in einem Kloster in Tibhirine. Sie haben sich dem Land und seinen Menschen gewidmet. Und deshalb studiert Bruder Christian den Koran, Bruder Luc heilt die Kranken des Dorfs und alle nehmen teil am Leben der Dorfgemeinschaft. Ihr Leben wird bestimmt durch den Rhythmus der Gebete und die tägliche Arbeit.

Dann geraten sie in den mörderischen Konflikt zwischen Militär und Islamisten. Ihre Lage wird lebensgefährlich. Und für die Brüder beginnt ein persönlicher und gemeinsamer Entscheidungsprozess: Bleiben oder gehen? Weiterlesen