Nachdenken über den Heiligen Geist

Nachdenken über…In dieser kleinen Serie über Gott, Jesus und den Heiligen Geist versuche ich zusammenzufassen, was mir in den letzten Jahren wichtig geworden ist. Es ist sozusagen ein persönliches Glaubensbekenntnis und nimmt den Gedanken von „Christentum to go“ wieder auf.

Die Entscheidung, am 17. Februar den Gottesdienst zu halten, obwohl gesundheitlich alles dagegen sprach, war kein bewusstes Abwägen. Ich nahm zwar wahr, wie es um mich stand, aber das spielte keine Rolle. Irgendetwas in mir hatte den Beschluss schon gefasst. Als Ute davon einer Freundin erzählte, meinte die spontan: Das war der Heilige Geist.

Der Heilige Geist. Er ist schwer zu fassen und weht eben, wo er will, wie Jesus sagt. Und je nachdem, wen man fragt, scheint er auch an ganz unterschiedlichen Orten aufzutauchen und ganz verschiedene Eigenschaften zu haben. Die Charismatiker identifizieren ihn zum Beispiel überall dort, wo bei christlichen Menschen übernatürliche Gaben festgestellt werden können: Wunderheilungen, Exorzismen, unverständliches Reden zum Beispiel. In der Feministischen Theologie wird er gendergerecht oft die Heilige Geistkraft genannt. Das weibliche Element darf schließlich auch in der Trinität nicht fehlen, und schließlich ist die hebräische Grundbedeutung רוּחַ auch weiblich. Die Vorstellung, wie oder wer der Heilige Geist sei, hat eben viel mit der Gottesvorstellung zu tun.

Durch den Heiligen Geist wird die Botschaft Jesu heute konkret. Und für mich ist die wichtigste Eigenschaft dieses Geistes, dass er der Tröster ist. „Und ich will den Vater bitten und er wird euch einen andern Tröster geben, dass er bei euch sei in Ewigkeit“, sagt Jesus (Johannes 14,16). Wir haben in den letzten Jahren unendlich viele tröstende Worte bekommen. Sie berührten unser Herz, sie richteten uns auf, sie waren ohne Zweifel geistgesättigt.

Bei Ignatius spielt der Trost eine zentrale Rolle. Wenn ich Gott liebe – und das heißt für mich: wenn ich das Leben liebe -, wenn Glaube, Liebe und Hoffnung in mir wachsen, wenn ich innerlich ruhig werde und ausgeglichen, dann sind es deutliche Zeichen: Hier wirkt der gute Geist.

„Die Liebe zum Leben“, schreibt Fulbert Steffensky, „bringt Feuer und Wasser zusammen: die harten Fakten und die gerupfte, aber nicht erschlagene Hoffnung. Die Liebe zum Leben lässt sich nicht durch falsche Stimmigkeit betören. Sie wird nicht zynisch und sie bleibt nicht blind.“ 

In diesem Satz klingen zentrale Elemente meines Glaubens an. Zunächst einmal das Hohelied der Liebe: Die Liebe „erträgt alles, glaubt alles, hofft alles, hält allem stand … Nun aber bleiben Glaube, Hoffnung, Liebe. Die Liebe aber ist die größte unter ihnen.“ (1. Korinther 13,7) Und das Bild von Feuer und Wasser erinnert mich an das Wasser der Taufe, das Jesus mit dem Geist in Verbindung gebracht hat („Wenn jemand nicht geboren wird aus Wasser und Geist, so kann er nicht in das Reich Gottes kommen,“ sagt er in Johannes 3,5) und das Feuer von Pfingsten (Apostelgeschichte 2). An dem Tag werden die Jüngerinnen und Jünger be-geistert (eine beliebte kirchliche Schreibweise).

Der Neurobiologe Gerald Hüther betont, dass Begeisterung die Voraussetzung von Lernen ist und eine Umgebung benötigt, in der wir mit anderen Menschen verbunden sind und persönlich wachsen können. Das klingt nach einer Gemeinde, in der der Geist das Sagen hat.

Die Gaben des Geistes sind die „Charismen“, die Gnadengaben. „Charisma“ ist eine Ableitung von „Charis“, der Gnade (grch. χάρις, lat. gratia). Wir verstehen darunter vor allem ein Geschenk, das ein Mächtiger einem Schuldigen macht: Der Erlass der Strafe – in der Theologie die Folgen der Sünden, in der Justiz die der Schuld. Im Prinzip aber bleibt der Schuldige schuldig und abhängig und der Mächtige mächtig.

Ursprünglich aber hat die Charis nichts mit dem Recht zu tun, sondern mit der Ästhetik. Es bedeutete Schönheit oder, mit einem schon fast vergessenen Wort, Anmut – eine Qualität, die Navid Kermani gerade unter Protestanten so schmerzlich vermisst. Später wandelte sich die Bedeutung auch zur Wohltat. Auch das hebräische Chanan (חנן)   wandelt sich in seiner Bedeutung – nur in entgegengesetzter Richtung von Wohltat zu Schönheit. Ist der gnädige Gott vielleicht eher ein schöner Gott? Und was ändert sich, wenn wir statt „Die Gnade Gottes sei mit dir“ sagen: „Die Schönheit Gottes sei mit dir“? Für mich hat sich mit dieser Vorstellung eine völlig neue Glaubenswelt aufgetan.

Und ich erinnerte mich an einen meiner Lieblingssätze: „So schön wie hier kann’s im Himmel gar nicht sein“ (Christoph Schlingensief). Dieses Wort hat ihm der Heilige Geist gegeben.

Die Exerzitien – ein Fazit

Exerzitien 36. Teil, Bingen 2018, die „vierte Woche“. Reflexionen der letzten beiden Tage, 4. und 5. Juli 2018

Die Grundlage der Exerzitien sind die Jesus-Geschichten aus der Bibel. Geschichten aber sind nicht eindeutig. Sie können in verschiedene Richtungen interpretiert werden. Ich finde meinen Ort und meinen Zugang. Und ich habe erfahren: Wenn ich mich, wie Pfr. Mückstein immer wieder anregte, in diese Geschichten hineindenke, dann bekomme ich noch einmal ganz neue Zugänge. Und neue Fragen. Was passierte wirklich am Ostermorgen? Hat Maria Jesus gesehen? Einige meiner ganz persönlichen Erkenntnisse habe ich hier zusammengetragen:

1. Jesus hätte seine Kreuzigung vermeiden können, indem er sich einfach weggeduckt hätte. Aber dann hätte er seinen Weg und seinen Auftrag verlassen. Er wurde nicht deshalb gekreuzigt, weil die Verhältnisse stärker waren als er, sondern weil er stärker war als die Verhältnisse. Leonard Cohen: „Steer your way past the ruins of the Altar and the Mall. Steer your way through the fables of Creation and The Fall. Steer your way past the Palaces that rise above the rot. Year by year, month by month, day by day, thought by thought.“
Jesus sendet uns. Dem Petrus sagt er: „Als du jung warst, hast du gemacht, was du wolltest. Wenn du aber alt geworden bist, wird ein anderer dich führen, wohin du nicht willst.“ (Joh. 21,18) Es gibt Wege, die möchte man nicht gehen. Leider sind es manchmal die eigenen.

2. Jesus kommt, auch durch verschlossene Türen. Er wird nicht herbeigebetet, herbeigesehnt oder durch irgendwelche anderen Taten herbeigeholt.

sprechendes-kreuz1.jpg3. Der Auferstandene ist der Gekreuzigte. Auferstehung ist mit Schmerzen verbunden. Kruzifix Baum1Deshalb war, seltsamerweise, das Franziskus-Kruzifix (links) mein Ansprechpartner während der Passionswoche, der hölzerne Jesus (rechts) während der Auferstehungszeit.

4. Jesus haucht uns den Tröster ein, den Heiligen Geist, der uns die innere Kraft gibt, die uns immer wieder aufstehen lässt.

5. Die Sache mit der Vergebung ist in der Regel eine harte Arbeit am inneren und äußeren Frieden. Es ist wichtig, dabei „zart und genau“ zu sein (Kurt Marti). Im Gottesdienst sprechen wir uns diesen Frieden zu. Wir tun so, als ob das Reich Gottes mit seinem Schalom schon da wäre – oder wir im Himmel.

6. Die Thomas-Geschichte lehrt uns nicht, dass wir zweifeln dürfen. Sie lehrt mich, dass die Zeit des Sehens und Anfassens vorbei ist. Jetzt ist die Zeit des Glaubens. Oder anders gesagt: Jesus steht nicht mehr vor mir, er ist in mir.

7. Ob in Emmaus oder am See Tiberias: Jesus wird von seinen Freunden an Taten, Gesten und Worten erkannt, die sie an früher erinnerten. Sie, die ihre Geschichte verloren glaubten, fanden sie wieder (Lothar Steiger).

8. Am Anfang steht die Beziehung. In Galiläa fragten die Jünger: „Wo wohnst du?“ Und Jesus antwortete: „Kommt und seht.“ (Joh. 1,38-39) Am See Tiberias fragt Jesus Petrus dreimal: „Liebst du mich?“, ehe er ihn beauftragt. (Joh. 21,15-17)

9. Ich verdanke Gott mein Leben. Gott ist aber kein Herrschender, sondern ein Liebender. Und auch für ihn gilt: „Eben darin besteht ja die Liebe, das Wunderbare an der Liebe, dass sie uns in der Schwebe des Lebendigen hält, in der Bereitschaft, einem Menschen zu folgen in allen seinen möglichen Entfaltungen.“ (Max Frisch) Manchmal allerdings ist mit Gott schlecht auszukommen. Dann sollte ich zu Jesus gehen. Er ist Leidens- und Weggenosse.

9. Ich brauche Jesus, weil er mich immer wieder aufs Leben hinweist und auf den guten Gott.

10. Ich habe nichts, keinen Glauben und keine Sicherheit. In dem Moment, in dem ich Jesus erkenne, entschwindet er. Dietrich Bonhoeffer: „Ich glaube, dass Gott uns in jeder Notlage soviel Widerstandskraft geben will, wie wir sie brauchen. Aber er gibt sie nicht im voraus, damit wir uns nicht auf uns selbst, sondern allein auf ihn verlassen.“ Was bleibt, ist der Auftrag.

Lichtblick der Woche

Dieses Pilgerlied schickte uns Johannes und machte uns damit Mut:

Gib mir Kraft für einen Tag,
Herr, ich bitte nur für diesen,
dass mir werde zugewiesen,
was ich heute brauchen mag.
Refrain: Gib mir Kraft für einen Tag,
Herr, gib mir Kraft für einen Tag!

Jeder Tag hat seine Last,
jeder Tag bringt neue Sorgen,
und ich weiß nicht, was für morgen
Du mir, Herr beschieden hast.

Aber eines weiß ich fest,
dass mein Gott, der seine Treue
täglich mir erwies aufs Neue,
sich auch morgen finden lässt.

Gib mir heute deinen Geist,
der mich hält mit dir verbunden,
dass das Band werde stark erfunden
und bis morgen nicht zerreißt.

Und so will ich meine Bahn
ohne Sorgen weiterschreiten.
Du wirst Schritt für Schritt mich leiten,
bis der letzte Schritt getan.

unbekannter Verfasser,
zitiert nach Gernot Candolini, Labyrinth, Claudius, München 2004, S.91

Pfingsten in Jerusalem

Exerzitien 35. Teil, Bingen 2018, die „vierte Woche“.

Und wieder war Jerusalem voller Menschen. Die Juden feierten Schawuot, das Wochenfest. Wir hatten uns in einem Raum versammelt. Die Ängstlichen unter uns hatten sogar darauf bestanden, die Türen abzuschließen. Vielleicht erinnerten sich ja einige Juden an die Geschichte 50 Tage zuvor – damals hatten sie darauf bestanden, dass Jesus gekreuzigt werden sollte.

Zu unserer kleinen Gesellschaft waren nun auch Mitglieder der Familie Jesu gestoßen. Das war sehr bemerkenswert, denn ich erinnere mich deutlich daran, dass das Verhältnis zum Wanderprediger sehr gespannt gewesen war. Aber es hieß, dass Jakobus, einer seiner Brüder, selbst eine Vision gehabt habe. Ich beobachtete ihn. Es war deutlich, dass er sich zu Höherem berufen fühlte. Vom Vater allerdings keine Spur. Ich wollte schon nach Josef fragen, da war es, als ob jemand ein Fenster geöffnet hätte. Ein starker Wind zog durch den Raum, einige standen auf, hoben die Hände. Auf ihren Gesichtern erschien ein merkwürdiger Glanz. Irgendjemand sagte: „Das ist der Heilige Geist!“

Und plötzlich war kein Halten mehr. Die Türen wurden geöffnet, etliche Männer und Frauen gingen nach draußen und fingen an, zu den Menschen zu reden. Ich sah, wie viele genervt weitergingen, andere blieben stehen. Und obwohl deutlich war, dass etliche aus anderen Ländern angereist waren, schienen sie sich gut mit den Jesus-Leuten zu verstehen.

Und dann fing Petrus an, laut zu reden. Ausgerechnet Petrus. Und was er sagte, war nicht gerade leicht zu verstehen. Aber man spürte seine Begeisterung, und genau davon predigte er: „Was ihr hier seht, ist die Erfüllung dessen, was der Prophet Joel gesagt hat: Der Geist wird ausgegossen über die Menschen, und sie werden Visionen haben, und es werden Wunder geschehen, und das alles kommt von Jesus, der gekreuzigt wurde, aber wieder auferweckt worden ist. Der Tod ist besiegt, wir werden alle leben!“

Und er brachte noch mehr Zitate aus den Heiligen Schriften, offenbar alles, was ihm gerade einfiel. Das war mehr assoziativ als logisch, aber so kannte ich Petrus: Er war kein großer Denker, aber immer ganz bei der Sache. Nicht so sehr Kopf, dafür umso mehr Bauch.

Ganz anders als übrigens der andere große Theologe der Jesusbewegung, den ich auf meiner Rückreise nach Rom kennenlernen sollte. Paulus war ein scharfer Denker, nüchtern und kopfgesteuert. Und ein schwieriger Charakter. Beide aber hatten maßgeblichen Anteil daran, dass sich immer mehr Menschen von der Jesus-Botschaft begeistern ließen. Die Bewegung wurde so stark, dass Kaiser Nero sie einige Jahrzehnte später zu Sündenböcken für einen verheerenden Brand in Rom machen konnte.

Ich erlebte es selbst mit. Knapp 20 Jahre blieb ich noch in Palästina, dann kehrte ich nach Rom zurück. Nicht ohne ein paar Abstecher zu machen. Vor allem interessierte mich Athen, wo ich den Parthenon bewunderte und über den Areopag schlenderte. Dort begegnete ich auch Paulus persönlich – ein Treffen, das mich sehr beeindruckt hat und über das ich früher schon einmal berichtet habe.

In Rom hatte sich mittlerweile eine ansehnliche Gemeinde gebildet, die ich öfter aufsuchte. Allerdings genoss ich auch die Freuden der Hauptstadt – auf die Thermen hatte ich lange verzichten müssen. Und ich pflegte und knüpfte alte und neue Verbindungen, die mir während der heiklen Zeit unter Nero sehr nützlich wurden. Paulus, der sich zu dieser Zeit auch gerade in Rom aufhielt, hatte nicht soviel Glück. Er wurde verhaftet und hingerichtet.

Kurz nach dem großen Brand kam auch Petrus in die Hauptstadt. Er hatte zugelegt, an Weisheit wie an Körperumfang. Und er war alles andere als verkniffen. Deshalb freute ich mich, als er mich besuchen kam. Ich holte einen starken Schnaps aus dem Keller, den ein Freund mir aus dem Norden Britanniens mitgebracht hatte und der dort „Wasser des Lebens“ genannt wurde. Und wir hatten einen wirklich netten Abend. Petrus schwärmte von den alten Zeiten als Fischer am Galiläischen Meer, so dass ich fast Lust bekam, wieder dorthin zu reisen.

Kurz darauf wurde Petrus verhaftet und zum Tod verurteilt. Im Prozess blieb er gerade und klar – ganz anders als damals bei der Kreuzigung in Jerusalem. Er wurde getötet wie sein Meister, aber nicht gebrochen.

Und die Gemeinde in Rom wuchs trotz allem weiter. Ich fand dort viele Freunde und Freundinnen und genoss als einer, der „den Meister gesehen“ hatte, auch einiges Ansehen. Allerdings musste ich auch einige Erwartungen enttäuschen. Denn ich wusste auf viele Fragen immer noch keine Antwort. Doch nach wie vor bin ich davon überzeugt, dass Jesus eine besondere Nähe zu Gott hatte – und dass ich an dieser Nähe teilhabe.

Damit endet meine Geschichte – bzw. die Geschichte meines „alter ego“, des namenlosen Römers – mit Jesus und der ersten Gemeinde, die unter den Olivenbäumen bei Caesarea Philippi begann. Wir beide, der Römer und ich, haben in dieser Zeit die bekannten Geschichten neu erlebt und haben einige Überraschungen erlebt. Vor allem aber war es spannend, diesen Weg im Geist mitzugehen. Ich möchte noch einmal betonen: Das ist meine ganz eigene Sicht der Dinge in der Mitte des Jahres 2018. Zu anderen Zeiten hätte ich anderes „erlebt“. Und ich bin überzeugt: Wenn ich irgendwann wieder in diese Zeit und an diesen Ort reise, wird es wieder anders werden. Und warum muss ich eigentlich allein reisen? Vieles ist denkbar, wenn man den Geist laufen lässt…

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Beitragsbild: Glasbild-Trennwand zu einem religiösen Thema im Seniorenheim Martin Luther Haus Wormsvon Barbara Heinisch – Eigenes Werk, CC BY-SA 3.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=48367637

Szenen einer Auferstehung

 

Exerzitien 34. Teil, Bingen 2018, die „vierte Woche“.

Einige Wochen nach dem Erlebnis in Emmaus ging ich auf den Ölberg und setzte mich dort unter einen Olivenbaum. Ich brauchte etwas Abstand. Ich ließ meinen Blick schweifen über den Garten Gethsemane, den Tempel und, im Hintergrund, den Golgatha-Hügel, auf dem Jesus gekreuzigt worden war. Erinnerungen stiegen hoch, besonders an die letzte Zeit.

Ich hatte mich meistens in Jerusalem und Umgebung aufgehalten. Oft traf ich mich mit den Jesus-Anhängern. Es war eine merkwürdig intensive Stimmung. Wir redeten miteinander, lasen in den Heiligen Schriften und beteten, um die Erlebnisse einzuordnen.

Das Beten der Juden war für mich immer noch ungewohnt. In Rom beteten wir auch: Wir gingen zum Altar des jeweiligen Gottes, von dem wir uns etwas wünschten, brachten ihm ein Opfer und unser Anliegen vor und gingen wieder nach Hause. Hier standen wir in einem Raum, die Hände erhoben, einige murmelten, manchmal sprachen wir ein gemeinsames rituelles Gebet. Und dann war dieser Tag, an dem ein, dann zwei und drei von uns sagten: „Jesus, ja, ich sehe dich.“ Ich sah zwar nichts, aber ein gutes Gefühl bekam ich doch, so etwas wie Heimat und Trost und innerer Friede. Und als wir die Augen wieder aufmachten, meinte eine: „Er hat uns den Heiligen Geist gegeben.“ Und ein anderer ergänzte: „Und ich habe gehört, wie er gesagt hat: Wem ihr die Sünden vergebt, dem sind sie vergeben.“

Über dieses Wort diskutierten wir noch länger. Die einen meinten, es wäre eine Aufforderung, unseren Mitmenschen zu vergeben. Wenn wir vergeben könnten, dann würden auch sie Frieden finden. Andere sagten: Das ist noch viel größer. Und sie erinnerten daran, dass Jesus selbst Sünden vergeben hätte – etwas, das doch sonst nur Gott zustände. Wir hätten also dieselben Fähigkeiten wie Gott. Doch wir wurden uns nicht darüber einig, was das denn konkret bedeuten würde. Ich gestehe, dass ich den ganzen Überlegungen über die Sünde auch nicht ganz folgen konnte. Der Mensch ein Sünder? Gut, ich habe meine Fehler. Aber die werde ich nicht los, indem irgendjemand sagt: Ich vergebe dir deine Sünden. Die bekomme ich allenfalls ein wenig in den Griff, wenn ich hart an ihnen arbeite. Und das ist eher ein längerfristiges Projekt.

Und dann war da die Geschichte mit Thomas. Ich kannte ihn als einen ziemlich kritischen Geist, doch nach diesem bewussten Ereignis war er ziemlich verwandelt.

Ich war nicht selbst dabei. Man erzählte mir, dass Thomas wieder mal an den ganzen Erscheinungsgeschichten herumnörgelte, als ER plötzlich im Raum stand. Alle hätten ihn gesehen, und Thomas hätte Jesus sogar berührt. Was auch immer geschehen war, danach gehörte Thomas zu den überzeugtesten Jüngern. Mir erzählte er später, dass Jesus gesagt habe: „Selig sind, die nicht sehen und doch glauben.“ Ich nahm es als einen ziemlich realistischen Hinweis darauf, dass mir das Sehen nicht vergönnt sein würde.

Danach hörten die Erscheinungen dann auch allmählich auf. Einige Jünger waren davon überzeugt, dass sie Jesus noch einmal dort sehen würden, wo alles angefangen hatte. Und in der Tat kamen sie kürzlich mit einer seltsamen Geschichte zurück: Sie wären in Galiläa wieder ihrem alten Beruf als Fischer nachgegangen. Nach einem ziemlich erfolglosen Tag auf See hätten sie am Ufer einen Mann gesehen, der sie aufgefordert hätte, noch einmal hinauszufahren. Und da wären die Netze übergequollen.

Ich weiß nicht, was ich davon halten soll. Ich kannte die Geschichte schon. Nur war sie zwei Jahre früher passiert, als Jesus noch lebte. Petrus aber schien mir sehr verändert zu sein. Ruhiger, verantwortungsvoller. Als würde er allmählich seinen Platz in der Welt finden.

In den letzten Tagen hatte ich von keinen Erscheinungen mehr gehört. Einige sagten: Jesus ist jetzt endgültig in den Himmel gefahren, zu seinem Vater.

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Die Bibelstellen, die diesem Exerzitientag zugrunde lagen, kamen vor allem aus dem Johannesevangelium: Johannes 20,19-23 (Beauftragung der Jünger), 20,24-29 (Jesus und Thomas), 21,1-17 (Am See). Die Theologen stimmen fast alle darin überein, dass das 21. Kapitel später angehängt wurde. Und schließlich Lukas 24,44-53.

Jeremias Berufung

Jeremia hatte offenbar einen direkten Kontakt zu Gott und brauchte sich keine Gedanken darum zu machen, was er sagen und tun sollte. Und wie bekommt Gott heute Kontakt zu uns? Eine Spurensuche am 9. Sonntag nach Trinitatis. Wie eigentlich jede Predigt eine Spurensuche ist. 

Liebe Gemeinde!

Am 9. Juli 2000 wurden Susan Kigula und ihre Familie brutal überfallen. Ihr Mann wurde getötet, sie selbst schwer verletzt. Doch der Albtraum sollte erst beginnen. Während sie sich mit ihrer Tochter noch bei ihrer Familie erholte, zeigte die Familie ihres Mannes sie an – der Vorwurf: Sie habe ihn selbst ermordet. Sie wurde angeklagt und verurteilt zum Tod durch den Strang. Und weil sie – wie viele Frauen in Uganda – ihre Rechte nicht kannte, konnte sie sich nicht wehren.

In der ersten Zeit im Gefängnis war sie nur verzweifelt. Aber nach und nach, jeden Monat ein wenig mehr, fand sie den Mut, mit ihrem Leben etwas anzufangen. „Ich konnte ja nicht nur auf den Tod warten“, sagt sie heute. Und ich glaube, es war der Heilige Geist, der in ihr groß wurde: der Geist, der ihr Trost und Kraft gab. Sie gründete einen Chor, eine Tanzgruppe, schrieb Gospels und sorgte dafür, dass die Frauen – wie die Männer auch – im Gefängnis zur Schule gehen konnten. „Gott, nur du weißt, wie ich das überleben werde“, dichtete und sang sie in der Zeit. Und dann kam Gott selbst zu ihr. In Gestalt eines englischen Jurastudenten namens Alexander McLean, der die Bedingungen in afrikanischen Gefängnissen verbessern wollte. Er lernte Susan Kigula kennen. Und er war fasziniert von dieser Frau. Er ermöglichte ihr, dass sie Jura studieren konnte. Er besorgte ihr Audiodateien und Bücher, und sie lernte, immer nachts. Am Anfang wollte sie verzweifeln. Aber aufgeben war für sie keine Option.

Mit der Zeit konnte sie Mitgefangene beraten. Und dachte bald größer: Sie reichte Verfassungsklage ein: Die Todesstrafe sei unmenschlich, meinte sie, und deshalb verfassungswidrig. Sie klagte gegen den Staat Uganda – und gewann sensationell. Damit rettete sie unzähligen Menschen das Leben. Selbst der Nachbarstaat Kenia änderte daraufhin seine entsprechenden Gesetze.

Wir müssen nicht durch die Hölle gehen wie Susan Kigula es getan hat, um zu wissen: Das Leben von jedem Einzelnen von uns ist geprägt von ständigem Auf und Ab – manchmal leicht, manchmal ganz schön mühsam, und manchmal schier zum Verzweifeln. Spätestens dann ist es gut, wenn uns der Heilige Geist besucht. Oder vielleicht ist er dann auch schon längst da, und wir müssen ihn nur wecken? Zum Beispiel mit dem Satz: Aufgeben ist keine Option.

Wenn es schwierig wird in unserem Leben, dann ist es viel wert, wenn wir uns diesen Satz sagen können. Aber er ist erst der Anfang. Wirklich interessant wird es, wenn Gott uns begegnet. Und ich glaube, dass er bei jedem, bei jeder von uns vorbeischaut. Und dass wir es nur nicht merken. Oder erst im Nachhinein realisieren.

Und dann ist immer noch die Frage, ob wir ihn richtig verstehen. Jeremia zum Beispiel war davon überzeugt, dass Gott ihm seine Worte in den Mund legte. Seine Zeitgenossen allerdings waren völlig anderer Meinung. Erst im Nachhinein, als man merkte, dass seine Vorhersagen eingetroffen waren, erkannte man ihn als echten Propheten an.

Und auch bei Susan Kigula bin ich mir sicher, dass der Heilige Geist, ja dass Gott selbst am Werk gewesen ist. Denn es gibt tatsächlich Kriterien, wie wir sein Wirken identifizieren können: Wenn es der Liebe dient, dann sind wir schon einmal auf einem guten Weg. Wenn es Menschen aufbaut und tröstet, ist es ein weiterer Hinweis. Das muss dann auch nicht immer fromm aussehen – ich habe zum Beispiel keine Ahnung, ob Alexander McLean religiös war und, wie Susan Kigula, seine Kraft und Orientierung aus dem Glauben zog. Es ist für mich auch unwichtig, denn Gott hat viele Wege, um zu wirken.

Nicht immer aber liegt der Weg so klar vor uns wie bei Susan Kigula. Bei der Flüchtlingsfrage etwa: Was dient der Liebe mehr – die Grenzen auf oder zu zu machen? Und dann gibt es ja auch nicht nur diese beiden Alternativen, sondern noch tausend Möglichkeiten dazwischen. Oder einer zerrütteten Ehe: Dient es der Liebe, sich scheiden zu lassen oder beieinander zu bleiben, der Kinder wegen? Und wenn man sich einmal entschieden hat, fangen die Schwierigkeiten oft erst an. Vor vielen Jahren traf ich in Amerika einen Mann, der seinen Job bei einer Firma aufgab, weil sie für die Rüstungsindustrie arbeitete. Er konnte es mit seinem Gewissen nicht vereinbaren. Aber nun hatte er keinen Job mehr, und seine Gemeinde musste ihn unterstützen. Und es war fraglich, dass er überhaupt die Möglichkeit hatte, einen Arbeitgeber zu finden, der gar nichts mit Rüstung zu tun hat. Wäre die Autoindustrie eine Alternative? Moralischer Rigorismus hilft nicht unbedingt weiter. Und für viele, ja für die meisten Entscheidungen in unserem Leben gibt es keine einfache Antwort.

Und dann gibt es noch unsere eigenen Befindlichkeiten, die uns von einer guten Lösung abhalten. Die Kirche hat dafür den Ausdruck „Sünden“ geprägt und sie negativ aufgeladen. Weil sie meinte, durch die Erbsünde sei der Mensch durch und durch verdorben. Das aber halte ich für einen Irrtum. Selbst die Sünden haben ihre guten Seiten. Nehmen wir die so genannten Todsünden wie Stolz oder Genuss, auch Faulheit oder Wut, Geiz oder Neid. Ich mag stolze Menschen. Ja, ich finde sie sogar einfacher als Menschen, die sich klein machen. Ich mag es nur nicht, wenn Menschen auf Kosten anderer leben. Und ebenso ist es mit dem Genuss. „Wer nicht genießt, ist ungenießbar“, sang einst Konstantin Wecker. Menschen aber, deren Leben sich nur um den eigenen Genuss dreht, finde ich ebenso ungenießbar. Wut über ungerechte Verhältnisse finde ich nötig, Hass aber auf Menschen furchtbar. Und ebenso ist es mit Geiz oder Neid: Sie geben uns die Energie zu großen Taten – und können uns  und anderen sehr schaden. Und im täglichen Leben ist die Grenze dazwischen oft nur schwer zu finden. Umso wichtiger ist die Aufgabe, immer wieder nach ihr zu fragen.

Eines aber lässt Gott gar nicht gelten, seinen Willen zu tun: Ausreden. „Ich bin zu jung“, meinte Jeremia. Kein Mensch ist zu jung oder zu alt, zu krank oder zu beschäftigt, das Gute zu tun. „Ich kann nicht reden“, meinte Mose, als er den Auftrag bekam, das Volk Israel aus Ägypten zu führen. „Dann hole dir Helfer“, antwortet Gott. Was man allein nicht schafft, geht oft gemeinsam.

Es geht darum, das Gute zu tun. Und das Gute ist das, was uns und anderen Menschen gut tut. Natürlich werden wir, selbst mit der größten Willensanstrengung, nicht zu rundum guten Menschen. Wir können aber immer wieder danach fragen, was das Richtige ist.

Jeremia brauchte nicht zu fragen. Ihm wurden die Worte in den Mund gelegt. Es mag sein, dass es auch heute Menschen gibt, die besonders hellsichtig sind. Oder solche, denen eine Wahrheit aufgeht, die andere so nicht oder noch nicht erkennen. Doch gilt auch dabei der Rat des Paulus: Prüfet alles und das Beste behaltet.

Oder noch besser: gerade nicht behalten, sondern das Beste weitergeben und teilen, tun und reden. Ich bin zuversichtlich, dass wir genug Aufgaben finden werden. Und um das Gute zu tun, sind wir genau im richtigen Alter und haben die besten Voraussetzungen. Denn wir tun es mit dem Rückenwind des Heiligen Geistes.

Amen.

Gott wird Mensch

Exerzitien 14. Teil, Bingen 2016, die „zweite Woche“

Bisher stand die eigene Person im Mittelpunkt der Exerzitien. Ab nun geht es darum, den Weg Jesu zu meditieren und darin den eigenen Weg zu erkennen. Es beginnt mit der Inkarnation, der Menschwerdung Gottes. Wie ist dieser Vorgang zu begreifen? Der Kirchenvater Irenäus meinte: „Gott wurde Mensch, damit der Mensch Gott würde.“ Und der ehemalige Bischof von Aachen, Klaus Hemmerle, prägte den Satz: „Mach es wie Gott, werde Mensch.“ Ignatius fordert in seinen Exerzitien zunächst einmal, sich die Szene vorzustellen, wie es zur Inkarnation kam, den Prolog im Himmel. Und dann die Geschichte von der Verkündigung an Maria vor das geistige Auge zu holen. Hier also die Vorgeschichte zur Inkarnation, wie sie wirklich geschehen ist. Quelle: Mein Binger Tagebuch.

DER GÖTTLICHE RATSCHLUSS. DER PROLOG IM HIMMEL
(V: Vater, S: Sohn, H: Heiliger Geist) Weiterlesen

Zungenrede und Prophetie

In der Kirche wird viel geredet. Dabei Wichtiges von Unwichtigem zu unterscheiden ist eine bleibende Aufgabe. Schon Paulus hat diese Frage beschäftigt, zum Beispiel im 14. Kapitel des 1. Korintherbriefs. Davon sind die Verse 1-3 und 20-25 die Grundlage der Predigt gewesen, heute am 2. Sonntag nach Trinitatis. Eine Gelegenheit, sich ein paar Gedanken um das Reden im Gottesdienst – und darüber hinaus – zu machen.

 

Liebe Gemeinde!

Mit den Konfis habe ich seinerzeit jedes Jahr auch einen afrikanischen Gottesdienst besucht. In den letzten Jahren war ich hier am Sootbörn bei den Adventisten. Dort wird viel gesungen, lebendig gepredigt, und die Gemeinschaft ist beeindruckend. Noch bunter ging es allerdings bei den Lutheranern am Berliner Tor zu, die wir davor besuchten. Bei den Liedern tanzten Frauen durch die Bänke, ein Mann versuchte die Konfis wenigstens zum Klatschen zu animieren, was diese sichtlich überforderte. Und einmal fing einer an, in einer hohen Stimmlage zu reden. Und das war weder deutsch noch englisch noch Suaheli. Erst langsam erkannte ich: Der redet in Zungen, ein ekstatisches Gebet, das sonst keiner versteht. Weiterlesen

Hirte und Herde

Im Mittelpunkt dieses Sonntags „Misericordias Domini“ (die Barmherzigkeit Gottes) steht das Bild vom Hirten, der auf seine Herde aufpasst und für sie sorgt. Jesus bezeichnet sich selbst als „guter Hirte“ (Johannes 10, 11-16), die Gemeinde spricht den 23. Psalm („Der Herr ist mein Hirte…“), und der Pastor (lat. für „Hirte“) hält die Predigt, deren Grundlage 1. Petrus 5, 1-4 auch vom Hirten spricht. Passt doch alles zusammen, oder?

 

Liebe Gemeinde!

Seit Kurzem sind wir auch bei Netflix und können uns aus dem Internet eine Menge unterschiedlicher Filme herunterladen. Wir haben dort die Serie „House of Cards“ für uns entdeckt. Sie spielt in Washington D.C., und die Hauptfigur ist ein Unsympath mit Namen Frank Underwood. Er ist ein Intrigant, absolut herzlos und ohne Moral und nur an seiner eigenen Karriere interessiert, für die er auch buchstäblich über Leichen geht. Andererseits zeigt er auch ziemlich gut, wie Politik geht. Weiterlesen

Charisma und Gnadengaben

Eine Predigt zum ökumenischen Open-Air-Gottesdienst Pfingstmontag 16. Mai 2016, gemeinsam gehalten mit Pastor Eberhard Müller (Freie evangelische Gemeinde am Bondenwald)
Text: 1. Kor. 12, 4-11

20140609_114126.jpgDie Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit uns allen. Amen.
Erik Thiesen (ET): Liebe Gemeinde, Willy Brandt hatte es.
Eberhard Müller (EM): Mahatma Gandhi mit Sicherheit.
ET: Anuthida hat es auch.
EM: Wer ist Anuthida?
ET: Anuthida machte mal bei „Germanys next Topmodel“ mit. Der Juror Thomas Hayo hatte es über sie gesagt.
EM: Ach so. Ja, und Hitler hatte es auch, leider.
ET: Dafür auch Jesus. Unbedingt.
EM: Und jetzt werden Sie sich fragen, was Brandt und Gandhi, Anuthida, Hitler und Jesus gemeinsam hatten?
ET: Sie hatten Charisma. Weiterlesen