* Und was war die Frage?

Als ich Ende der Siebzigerjahre in Berlin studierte, sah ich in der U-Bahn ein christliches Plakat mit der Aufschrift: „Jesus ist die Antwort.“ Darunter hatte einer geschrieben: „Schon recht, aber was war die Frage?“

Nun, meine Erinnerung kann mich täuschen. Vielleicht habe ich es nicht selbst gesehen. Aber es war in Berlin! Etwas ins Schleudern aber kam ich, als ich im Buch „Geduld mit Gott“ des tschechischen Priesters Tómaš Halík auf Seite 25 las: „Einmal sah ich an der Wand einer Station der Prager U-Bahn die Inschrift ‚Jesus ist die Antwort‘, Weiterlesen

Bedeutungsvolle Tüdelchen

Manchmal sind es Kleinigkeiten, die mir nicht aus dem Kopf gehen. Zum Beispiel Anführungszeichen.

Gestern las ich bei ze.tt, einem Online-Magazin für junge Leute, einen Artikel über Karfreitag, überschrieben mit „Diese Filme dürfen an Karfreitag nicht gezeigt werden – um „religiöses Empfinden“ nicht zu verletzen“. Als erstes Beispiel wurde „Das Leben des Brian“ genannt, es folgten die „Rocky Horror Picture Show“, die Filmklamotten „Vier Fäuste gegen Rio“ und „Police Acadamy“, dann „Terminator“, „Top Gun“ und „Mad Max“. Aber es sind nicht diese Filme, die mein religiöses Empfinden verletzen, sondern die Anführungszeichen in der Überschrift.

Warum wurde das „religiöse Empfinden“ in Tüdelchen gesetzt? Sie suggerieren: Ein solches Empfinden gibt es eigentlich gar nicht. Weiterlesen

Ganz schön gut: Das Star-Trek-Universum

Sternzeit 1513,1. Der Weltraum, unendliche Weiten. Das Raumschiff NCC-1701 „Enterprise“ fliegt zum ersten Mal mit seiner 400 Mann starken Besatzung durch den Orbit. Ich bekomme davon nichts mit, denn erstens feiere ich gerade meinen 9. Geburtstag, zweitens hätte ich die Serie wahrscheinlich nicht sehen dürfen, und drittens kommt sie ohnehin erst Jahre später ins deutsche Fernsehen.

So richtig tauche ich dann mit Ute in das Star-Trek-Universum ein; wir mögen es beide. Die zweite Serie, „The Next Generation“, mit Captain Jean-Luc Picard noch mehr als die klassischen Folgen mit Captain Kirk. „Deep Space 9“ (Captain Sisko) finden wir etwas schwergängig, die „Voyager“ (Captain Janeway) nimmt dann wieder Fahrt auf, während das Prequel „Raumschiff Enterprise“ (Captain Archer) bei uns durchfällt. Insgesamt aber ist unser Urteil klar: Star Trek gehört zu den besten Serien ever.

Dabei darf ich sie eigentlich gar nicht so gut finden. Denn sie beruht auf einer soliden atheistischen Weltanschauung, zumindest die Folgen mit Kirk und Picard. Denn der Schöpfer von Star Trek, Gene Roddenberry, bekannte sich zu einem „rationalen Humanismus“. Er war der Überzeugung, dass „Menschen fähig sind, ihre Probleme rational zu lösen und dass die Menschheit durch kritisches Denken und gemeinsame Bemühungen vorankommen und sich entwickeln wird“. Und so ist – in seinem Universum – die Erde nach einer Reihe verheerender Kriege zu einem friedlichen Ort geworden und hat sich mit anderen Planeten zu einer „Föderation“ zusammengeschlossen. Ihre Mitglieder sind gleichwertig, es gibt keinen Neid, keine Kriege, keine Habsucht mehr. Geld ist im Prinzip abgeschafft. Was man braucht, kann ein „Replikator“ herstellen. Die Zeit vertreibt man sich auf dem „Holodeck“. Zwar ist der Tod noch nicht besiegt, aber die Medizin sehr weit fortgeschritten – man braucht noch nicht einmal mehr Spritzen… Der Erfinder der Serie „Star Trek“ hat eine Utopie erschaffen, eine ideale Welt. Eine Welt, in der Religionen nicht mehr benötigt werden.

Auf anderen Planeten werden durchaus – noch – Götter angebetet. Sie werden dann von der Enterprise-Besatzung als Menschen einer höheren Zivilisationsstufe enttarnt wie in „Der Tempel des Apoll“. Oder sie sind von einer früheren Zivilisation zurückgelassene Computer, die von der noch besseren Technik der Enterprise besiegt werden, wie in der Episode „Die Stunde der Erkenntnis“. In „Der Gott der Mintakaner“ wird Captain Picard selbst für einen Gott gehalten. Er aber will die Mintakaner von ihrem Irrglauben befreien und sie lehren, selbst zu denken und zu handeln.

Die Botschaft ist die der Aufklärung: sapere aude – wage, dich deines Verstandes zu bedienen (I. Kant). Es klingt wie Luther, der auf dem Reichstag in Worms seine Thesen nicht widerrufen wollte, „wenn ich nicht durch Zeugnisse der Schrift und klare Vernunftgründe überzeugt werde; denn weder dem Papst noch den Konzilien allein glaube ich“. Er war allerdings der Meinung, dass man aus der Bibel zweifelsfrei den Willen Gottes erkennen könne.

Nach meiner Erfahrung aber lesen die Menschen die Bibel immer mit einem eigenen Schlüssel – der manchmal, aber nicht immer, durchaus aus der Bibel stammen kann. Für Luther war es sein Verständnis von der „Gerechtigkeit Gottes“ (Römer 1, 17), das bis in seine Bibelübersetzung hin wirksam wurde. Ich denke da eher an 1. Timotheus 2, 4: Gott will, dass allen Menschen geholfen werde.

Und so fühle ich mich Roddenberry in mancher Hinsicht näher als Luther: In seinem Misstrauen gegenüber denjenigen, die sich in ihrer Meinung auf einen Gott berufen – vor allem dann, wenn sie sich von anderen abgrenzen und meinen, etwas Besseres zu sein. Ich teile auch seine Vision von einer Welt, in der die Menschen gleichberechtigt sind, sich gegenseitig helfen statt sich Leid zuzufügen, und in der Kriege und Hunger ausgerottet sind. Es sind für mich sehr christliche Ziele.

Ich teile allerdings nicht seinen Optimismus, dass wir allein durch rationales Denken diese Welt errichten werden. Rational lässt sich der Terror eines Robespierre, Stalin oder bin Laden genauso begründen wie der Pazifismus eines M.L. King oder Gandhi. Und selbst wenn wir uns alle auf den kategorischen Imperativ I. Kants berufen würden („Handle nur nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, dass sie ein allgemeines Gesetz werde“) – in konkreten Fragen wie z.B. dem Asylgesetz würden wir zu unterschiedlichen, vielleicht sogar gegensätzlichen Positionen kommen.

Eine Welt, wie sie sich Roddenberry erdacht hat, „setzt einen ehrenwerten, humanistischen Geist ihrer Mitglieder voraus“, schreibt Henrik Hansemann über Star Trek. Und ob das gelingt, „muss stark bezweifelt werden“. Die „Föderation der Vereinten Planeten“ bleibt eine Utopie.

Damit wir dieser Utopie aber wenigstens näher kommen, müssen wir daran arbeiten – nicht nur alleine, sondern auch mit anderen zusammen. Und genau das ist der eigentliche Sinn von Kirchen und Religionsgemeinschaften: Dass wir uns organisieren, um gemeinsam für das Gute zu wirken. Wie das gehen kann, haben wir an vielen Stellen in der Flüchtlingsarbeit beobachten können.

Allerdings machen Religionen nur Sinn, wenn sie sich wirklich am Menschen orientieren und nicht an Dogmen. Wenn wir unsere Fähigkeiten und unseren Verstand dafür einsetzen, dass wir uns verständigen und gegenseitig helfen.

Und mit dieser Vision bin ich nach meinem Eindruck dann wieder ganz nahe an der von Jean-Luc Picard – und ich weiß, warum ich diese Serie liebe.

Bibel evolutionär

Nun aber.

Nachdem Legionen von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern aus Theologie, Soziologie, Psychologie, Archäologie und anderen Disziplinen die Bibel auseinandergenommen und wieder zusammengesetzt haben, kommt jetzt das ultimative schaik-michel-e1507967179979.jpgBuch über das Buch der Bücher, das „Tagebuch der Menschheit“ von Carel van Schaik und Kai Michel. Zumindest wenn man ihren eigenen Worten glaubt.

Das ist 50 Seiten sehr witzig und anregend, 50 Seiten nervig und dann 400 Seiten solide – insgesamt aber unbedingt lesenswert. Die Autoren lesen die Bibel aus evolutionsbiologischer Sicht, respektlos, wie es sich für Agnostiker gehört, aber auch – und das ist selten – voller Begeisterung. Die Bibel, sagen sie, „hat jede Menge ungehobener Schätze zu bieten. Es wäre schade, bliebe sie nur der Religion vorbehalten“ (S. 19). Und sie gehen davon aus: „Die Bibel hat zahllose Autoren. Gott war aller Wahrscheinlichkeit nicht darunter.“ (S. 24)

Ihre Grundthese: Über Jahrhunderttausende hat sich der Mensch der Umwelt als Jäger und Sammler angepasst. Diese genetische Grundausstattung, zu der auch die Religiosität gehört, tragen wir in uns. Dann kam der „Sündenfall“, die Sesshaftwerdung, die Vertreibung aus dem natürlichen Paradies, die dann auch in 1. Mose 3 ihren Niederschlag gefunden hat. Neue Katastrophen mussten bewältigt werden in einer Geschwindigkeit, die von der biologischen Evolution nicht mehr geleistet werden konnte. Der Mensch passte sich trotzdem an – mit Hilfe der „kulturellen Evolution“, die vor allem von den Vertretern der Religion übernommen wurde. Und die Bibel ist dafür ein, wenn nicht das hervorragende Zeugnis.

Nicht alle Argumente der Autoren finde ich gleichermaßen überzeugend. Wie kann ein Prozess, der vor über 10.000 Jahren stattgefunden hat, etwa 700 v.Chr. niedergeschrieben worden sein? Carel van Schaik und Kai Michel erwecken den Eindruck, als ob die Bibel ein Lehrbuch der kulturellen Evolution sei. Sie behandeln es aber eher als Bilderbuch ihrer eigenen Thesen.

Und sicher gibt es gute Gründe für die die These, dass es einen ständigen Konflikt zwischen intellektueller Priesterreligion und einfacher Volksreligion gab, zwischen Monotheismus und Polytheismus. Die Autoren sehen seinen Ursprung darin, dass eine herrschende Priesterkaste dem ständig widerstrebenden einfachen Volk seine Dogmen aufzwingen will. Ich glaube, dass diese Vorstellung eher dem Muster moderner säkularer Kirchen- und Religionskritik entspricht als der komplexen Realität damals.

Und doch hat mich dieses Buch fasziniert. „Die Bibel ohne Heiligenschein geht alle an“, schreiben die Autoren. Ja, sie fängt dadurch sogar noch einmal an zu leuchten. Religion ist komplex und ein Zusammenspiel vieler Menschen und Gedanken. Sie ist nicht Gegnerin, sondern Ursprung der Wissenschaft. Sie beschäftigt sich mit den wesentlichen Fragen der Menschen. Und gerade weil die Antworten so unterschiedlich sind, ja zum Teil widersprüchlich, sind sie immer noch aktuell.

Und ich glaube: Aktueller als die Autoren meinen. Carel van Schaik und Kai Michel behaupten, dass die Wissenschaft die Religion als Welterklärerin abgelöst hat und dass die Menschenrechte von modernen Institutionen mindestens genauso gut bewahrt werden wie von Religionen. Da ist etwas dran.

Aber ich glaube, dass die Kirche nicht nur eine Zukunft im Bereich der ursprünglichen intuitiven Religion hat. Ich entdecke gerade neue Zusammenhänge zwischen Glaube und Wissenschaft, zwischen meiner christlichen Tradition und der modernen Medizin. Die Realität ist wahrscheinlich komplexer als sich zwei säkulare Wissenschaftler – aber auch eine Menge Theologen – ausmalen können.

Insofern dürfte Shakespeares Satz in beide Richtungen stimmen: „Es gibt mehr Ding im Himmel und auf Erden, als eure Schulweisheit – und, wie ich hinzufüge: eure Theologie – sich träumt.“ Das „Tagebuch der Menschheit“ erzählt von mehr als einem solchem „Ding“.

 

Das Beitragsbild zeigt den „Sündenfall“ von Michelangelo.
http://www.heiligenlexikon.de/Fotos/Eva2.jpgTransferred from de.wikipedia to Commons by Roberta F. using CommonsHelper., 9 September 2007 (original upload date), Original uploader was Nitramtrebla at de.wikipedia, Public Domain, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=7556462

 

* Bruno Latour: Jubilieren

Jubilieren - Latour, Bruno„Jubilieren – oder die Qualen religiöser Rede, dazu möchte er etwas sagen, aber es gelingt ihm nicht.“ So beginnt Bruno Latour sein Buch über eine Sprachform, die, wie er meint, früher einmal so viel Kraft entfaltet hat und heute nur noch fade geworden ist. Und er schämt sich. Er schämt sich, weil es ihm nicht gelingen will, das rechte Wort zu finden. Aber er schämt sich auch „dessen, was sonntags, wenn er zur Messe geht, von der Höhe der Kanzeln herab ertönt; aber er schämt sich auch des ungläubigen Hasses oder der belustigten Gleichgültigkeit derer, die über die spotten“. Weiterlesen

Wo ist Gott?

auch 8. Teil der Reihe über die Exerzitien. Bingen, 23. Juli 2016 – siehe unter Themensuche

„Ich gebe dir das Ende einer goldenen Schnur in die Hand. Rolle sie zu einem Knäuel auf und geh ihr nach. Sie wird dich an das Tor zur Heiligen Stadt führen“, sagte der Maler und Mystiker William Blake (1757-1827). Vor Jahren bekam ich im Ansverus-Haus ganz Goldene Schnur Deteilreal eine solche goldene Schnur, als Symbol für mein Leben. Eigentlich aber waren es zwei ineinander verwobene Fäden. Weiterlesen

Nur eine Geschichte?

In meiner Jugend gehörte ich zu den Frommen im Lande und nahm die Bibel ziemlich wörtlich. Dann bekam ich das Buch „Jesus Menschensohn“ von Rudolf Augstein in die Hände, und meine Überzeugungen wurden sehr durcheinander gewirbelt. Ich ging zu meinem Religionslehrer, damals Propst in Angeln und später Bischof von Oldenburg, Wilhelm Sievers. Er meinte, dass Augstein tatsächlich genau den Stand der theologischen Forschung wiedergäbe. „Dann stimmt das also gar nicht, was in der Bibel steht?“, fragte ich. Mein Lehrer versuchte mir den Unterschied zwischen einem wissenschaftlichen Lehrbuch und einem Glaubensdokument deutlich zu machen. Aber ich war damit nicht zufrieden. Ich wollte, dass die Geschichten der Bibel meinen Glauben tragen und nicht umgekehrt. Ich wollte auch in Fragen des Glaubens Fakten, Fakten, Fakten! Weiterlesen

Den Austausch fördern

Kirche im Dialog (5). Siehe Themensuche

Um mit Menschen außerhalb der Kirche in einen Dialog treten zu können, müsste man ja eine gemeinsame Sprache finden. Doch die religiöse Mundart verschwindet langsam. Manche Wörter werden gar nicht mehr verstanden oder bekommen eine andere Bedeutung. Wenn ich etwas fürs Wochenblatt geschrieben habe, sollte es ausdrücklich „nicht so kirchlich oder pastoral“ sein. Weiterlesen

Dialog oder Mission?

Kirche im Dialog (4). Siehe Themensuche

Dass der Vorsitzende des Säkularen Forums Hamburg, Prof. Helmut Kramer, ausgerechnet der Nordkirche ein vordemokratisches Dialogverständnis vorwirft, kann nur bedeuten, dass er entweder eine selektive Wahrnehmung hat, ein Feindbild braucht oder Lust an der Provokation hat. Trotzdem ist auch mir nicht ganz klar, mit welchen Voraussetzungen und Zielen die Kirche in den Dialog hineingehen will. Weiterlesen

Die Säkularen

Kirche im Dialog (3). – siehe Themensuche

Richard Dawkins hat eine Mission. Er ist von Haus aus Evolutionsbiologe und damit der Ansicht, dass die Lebewesen, die Erde, ja das ganze Universum aus sich selbst heraus entstanden ist und sich entwickelt hat. Seine Gegner sind die Kreationisten. Diese meinen, dass alles erschaffen wurde. Von Gott erschaffen wurde. Weiterlesen