Wie ich wurde, was ich bin: Als Student in Heidelberg, Berlin und Basel
Nachdem ich in Neuendettelsau die Grundlagen der Theologie kennengelernt hatte, sollte es zum 4. Semester endlich an einer „richtigen“ Uni losgehen. Heidelberg gehörte damals zu den theologischen Fakultäten mit dem besten Ruf, nicht zuletzt wegen der Legenden im Alten Testament Claus Westermann und Hans-Walter Wolff. Als ich dort ankam, waren ausgerechnet diese beiden allerdings gerade in den Ruhestand gegangen.
Das machte aber nicht sehr viel. Denn die akademische Theologie sollte ohnehin nicht die zentrale Rolle in dieser Zeit spielen. Nun standen erst einmal existentielle Fragen im Vordergrund.
Denn in Neuendettelsau hatte ich angefangen, grundsätzliche Kritik an der Bibel zu üben – was war dann aber noch sicher? War es dann in letzter Konsequenz nicht möglich, dass es gar keinen Gott gab? Als Evangelikaler hatte ich gelernt, dass der Mangel an (richtigem) Glauben durchaus in die ewige Verdammnis führen konnte. Und da diese Überzeugung vor allem von meinem Vater vermittelt worden war, wurde daraus auch eine Auseinandersetzung in der Vater-Sohn-Beziehung. Und führte gleich zu den nächsten Fragen: Wer war ich und wer wollte ich sein?
In unserer WG in Bammental führte ich endlose Diskussionen mit meinem Freund Johannes. Wir engagierten uns in der katholischen Gemeinde in der Jugendarbeit, weil uns die Persönlichkeit des dortigen Pfarrers überzeugte.
Ich las psychologische Bücher. Vor allem Fritz Riemann ist mir mit seinen „Grundformen der Angst“ in Erinnerung geblieben. Nach der Lektüre war ich davon überzeugt, psychisch krank zu sein. Es war mir nur noch nicht klar, ob ich schizoid, hysterisch, zwanghaft oder depressiv war. Wahrscheinlich letzteres, denn damals konnte ich stundenlang Leonard Cohen-Songs hören und singen und übte dafür auch einige seiner Gitarrengriffe.
Ich lernte in der Tat in dieser Zeit viel über mich selbst, ohne dass ich zu abschließenden Ergebnissen kam – weder was die Gottes- noch was die Selbsterkenntnis anging. Irgendwann merkte ich dann auch, dass ich mich immer wieder im Kreis drehte. Und ich beschloss, die Gottesfrage zurück- und die Dämonen der Vergangenheit in einen imaginären Schrank zu stellen und sie nur dann herauszuholen, wenn sie allzu sehr poltern sollten.
Damit hatte ich auch das Gefühl, wieder handlungsfähiger zu werden. Ich belegte ein paar Seminare, sprach ein Mädchen an und ging ein paar Mal mit ihr aus – vor allem aber beschloss ich, den Studienort zu wechseln. Denn die spannende Frage für mich war nun: Würde ich es schaffen, als Junge vom Land allein in einer fremden Umgebung zu bestehen? Meine Wahl fiel auf West-Berlin. Der Härtetest.
Und für mich ein voller Erfolg. Berlin war aufregend, lebendig, wild. Durch die Mauer hatte ich den Eindruck, wie in einem Dampfkessel zu leben. Ich fand Freunde bei den Theologen und den Sozialpädagogen, versackte mit meinem WG-Nachbarn im Altensteiner Krug, trampte eine Zeitlang zu meiner Freundin in Heidelberg, besuchte Johannes in Göttingen. Es war die Zeit der Hausbesetzer-Szene, der Anti-Pershing- und der Anti-AKW-Demos. Und kennt jemand noch Helmut Gollwitzer, die Leitfigur der linken Theologen? Seine Überzeugung war: Wer als Christ seinen Glauben ernst nimmt, muss Sozialist sein – eine in den Siebzigerjahren äußerst umstrittene These. Ich konnte ihr gut folgen. Längst im Ruhestand, gab er ein Kolloqium bei sich zuhause. Und in seiner ehemaligen Dahlemer Gemeinde St. Anna – im III. Reich ein Zentrum der Bekennenden Kirche – machte ich Arbeit mit Kindern.
Es war toll, und nach zwei Semestern genug. Denn Berlin hatte keine „richtige“ theologische Fakultät, nur wie Neuendettelsau eine Kirchliche Hochschule. Ich aber wollte nun endlich mal richtig Theologie studieren.
Fiete empfahl mir Basel. Wieder eine gute Wahl.
Basel war klein, gemütlich, keine Massen-Uni wie Heidelberg und Hamburg, wo 70-100 Studierende in einem Seminar(!) keine Seltenheit waren. Die theologische Fakultät verbarg sich in einem alten Fachwerkhaus, drinnen viel Holz, ein Innenhof mit umlaufenden Balkons und Brunnen. Und trotzdem namhafte Theologen, zu denen wir oft einen persönlichen Kontakt hatten. Besonders drei Professoren haben mich nachhaltig geprägt: Der Tscheche Jan Milič Lochman schlug – wie schon Gollwitzer in Berlin – die Brücke zum Sozialismus, Walter Neidhard führte in die Kunst des Erzählens biblischer Geschichten ein, Markus Barth – Sohn vom berühmten Karl – lehrte uns, der neutestamentlichen Wissenschaft nicht alles zu glauben und selbst nachzudenken. Er kam dann auch mal mit auf eine „Stange“ in die „Hasenburg“.
Zum Frühstück gingen wir dann gerne in den „Teufel“ und abends bis zur Sperrstunde (24h!) in den „Braunen Mutz“. Dort trafen sich an langen Bänken Studenten, Banker und Handwerker zu Bier und Zwiebelwähe.
Zwei Auslandssemester erlaubte das BaföG-Amt, dann war es auch Zeit, ans Examen zu denken. Als „Nordelbier“ hatte ich die Wahl zwischen Kiel und Hamburg…