Es war ein Tiefschlag, wieder einmal. So sehr hatten wir gehofft, dass wir diesmal eine gute Nachricht bekämen. ass wenigstens für ein paar Monate so etwas wie Normalität einkehren würde. Dass die Krankheit ein wenig mehr in den Hintergrund treten könnte. Stattdessen eine weitere Metastase, fast 2 cm groß, voraussichtlich nicht sinnvoll zu operieren. Das bedeutet Chemo oder Immuntherapie mit ungewissem Ausgang, und die Lebenserwartung ist wieder um ein gutes Stück geschrumpft.
Gerade hatten wir wieder so etwas wie Hoffnung geschöpft. Die Blogbeiträge atmeten etwas von Vertrauen und Zukunft und Licht. Nun geht es wieder von vorne los. Ich höre wieder Leonard Cohen, „You want it darker“. Und wieder singe ich mit ihm, sehnsuchtsvoll und traurig: „I wish there was a treaty we could sign.“ Wie im Januar. Einen Monat später stellten wir eine Kerze auf mit der Aufschrift: „Es geht aufwärts“ und schrieben dazu: Gerade auch nach Rückschlägen.
Das stimmt. Doch es ist wie bei Sisyphos: Der Stein, den er gerade den Berg hinaufgerollt hat, rollt unweigerlich wieder herunter. Und er muss von vorn anfangen. Das macht nicht nur müde, es erschöpft auch. Die Kräfte werden mit den Monaten und Jahren ja weniger. Und die Gefahr wächst, dass der Stein, der den Berg herunterrollt, Sisyphos selbst erschlägt.
Der Schriftsteller und Existentialist Albert Camus hat diesen alten griechischen Mythos aufgenommen. So absurd ist die Situation des Menschen, meint er: Er sucht den Sinn in einer Welt, die keinen Sinn macht. Aber wenn man diese Situation annimmt und den Stein zur eigenen Sache macht, dann wird man frei. Dann kann man sich „Sisyphos als einen glücklichen Menschen vorstellen“. „Was bleibt, ist ein Schicksal, bei dem allein das Ende fatal ist.“ (aus: Der Mythos des Sisyphos)
Leonard Cohen scheint selbst das Ende angenommen zu haben. „I’m leaving the table“, singt er. Und so, wie er es singt, klingt es gut. Etwa so, wie es in der Bibel von Abraham, Hiob & Co gesagt wird: „Er starb alt und lebenssatt und wurde versammelt zu seinen Vorfahren.“
Soweit aber bin ich noch lange nicht. Auch wenn der Tod durchaus wieder in Sichtweite gekommen ist. Und auch wenn ich mir sogar vorstellen kann, mich einmal von der Arbeit zu verabschieden – noch sind nicht alle Gespräche geführt. Noch soll so mancher Spaziergang getan und manches Glas Wein geleert werden. Vor allem aber: Ich habe einmal versprochen, meine Frau nie allein zu lassen, weder in guten noch in bösen Tagen. Gut, wir haben damals bewusst gesagt: … bis der Tod uns scheidet. Aber es war nie die Rede davon, dass es so früh geschehen könnte. I’m NOT leaving the table. Not yet.
Beitragsbild: Tizian, Sisyphos. Gemeinfrei, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=3860214
Lieber Erik,
die Schlusssätze Deines Beitrages erklingen in meinen Ohren und füllen einen klangvollen Dur-Akkord! Sie beschreiben mit Klarheit und Festigkeit das,was ich mir so erhofft und gewünscht hatte! Das macht mich froh! Ja, wende Dich trotz allem mit Lust dem Leben zu! Tu all das, was Dir gut tut! Verliere weder Mut noch Zuversicht! Trotze dem Tod, kehr ihm den Rücken und lach ihn aus!
Ralf
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