* Ich und Du

Endlich habe ich es geschafft, „Ich und Du“ von Martin Buber durchzulesen. Es war nicht einfach, denn manchmal waren mir seine Gedanken fremd. Wo ich ihn aber verstanden habe, hat er mich fasziniert.

https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/thumb/8/81/Martin_Buber_portrait.jpg/762px-Martin_Buber_portrait.jpgUnd so fängt sein Buch an: „Die Welt des Menschen ist zwiefältig nach seiner zwiefältigen Haltung. Die Haltung des Menschen ist zwiefältig nach der Zwiefalt der Grundworte, die er sprechen kann. Die Grundworte sind nicht Einzelworte, sondern Wortpaare. Das eine Grundwort ist das Wortpaar Ich-Du. Das andere Grundwort ist das Wortpaar Ich-Es; wobei, ohne Änderung des Grundwortes, für Es auch eins der Worte Er und Sie eintreten kann. Somit ist auch das Ich des Menschen zwiefältig. Denn das Ich des Grundworts Ich-Du ist ein andres als das des Grundworts Ich-Es.“ (Ich und Du, S. 9) So geht es weiter, 160 Seiten lang.

Darin beschreibt er, wie wir in zwei Welten leben: der Es-Welt und der Du-Welt. Die Es-Welt ist leicht zu beschreiben, weil sie alles ist, was wir beschreiben können: Unsere Erfahrungen, Gedanken, die Dinge um uns herum. Auch unsere Gefühle, selbst die religiösen, gehören zur Es-Welt. Denn Gefühle werden „gehabt“, wir können sie von uns unterscheiden.ichunddu1.jpg

In der Du-Welt gibt es diese Unterscheidung nicht mehr. „Wer Du spricht“, schreibt Buber, „hat kein Etwas, hat nichts. Aber er steht in der Beziehung.“ Und „alles wirkliche Leben ist Begegnung. Die Beziehung zum Du ist unmittelbar. Zwischen Ich und Du steht keine Begrifflichkeit, kein Vorwissen und keine Phantasie,… kein Zweck, keine Gier … Nur wo alles Mittel zerfallen ist, geschieht die Begegnung.“ (Ich und Du, S. 11, 18 und 19)

„Das ist mir zu kompliziert“, sagte ein Freund, dem ich das zu erklären versuchte. Genau das ist ja das Problem: Alles, was ich erklären könnte, gehört zur Es-Welt. Die Du-Welt kann ich nicht erklären, sondern nur erleben. Buber selbst erzählt dazu eine Geschichte: Einmal kam ein junger Mann zu ihm, und er brachte ihm all die Aufmerksamkeit und Höflichkeit entgegen wie allen anderen. Aber er „unterließ nur, die Fragen zu erraten, die er nicht stellte“. (Begegnung, S. 58) Und das waren gerade die wesentlichen gewesen. Buber warf sich vor, sich nicht auf die Begegnung eingelassen, nicht vom Anderen her, wie der Andere gedacht zu haben.

Ähnlich redet er von Gott. „Glauben Sie an Gott?“, wurde Buber einmal gefragt. Er musste lange überlegen, bis er die Antwort für sich fand: „Wenn an Gott glauben bedeutet, von ihm in der dritten Person reden zu können, glaube ich nicht an Gott. Wenn an ihn glauben bedeutet, zu ihm reden zu können, glaube ich an Gott.“ (Begegnung, S. 56) Die Beziehung ist alles, die Erklärung nichts.

Oder aber, wenn es um das Leben nach dem Tod geht, in einer der chassidischen Geschichten, die Buber gesammelt hat: Einmal war der Sinn des Baalschem so gesunken, daß ihm schien, er könne keinen Anteil an der kommenden Welt haben. Da sprach er zu sich: „Wenn ich Gott liebe, was brauche ich da eine kommende Welt?“

So habe ich es selbst erlebt. Ich kenne wunderbare Bilder vom Sterben: Die Geschichte von der Brigg, die am Horizont verschwindet und auf der anderen Seite begrüßt wird. Udo Lindenbergs Song „Hinterm Horizont“. Oder Paul Gerhards „Befiehl du deine Wege“. Und alle diese Bilder waren verschwunden, als der Tod an die Tür klopfte. Was blieb, war das Bewusstsein – das Gefühl – der Glaube, dass die Beziehung zu Gott, wer oder was auch immer das sei, nicht abreißen würde. Aber das ist riskant, denn dessen kann ich mir nie sicher sein.

Trotzdem – es sind die Beziehungen, die mein Leben lebenswert machen. Nicht die Beziehungen, die ich habe, sondern die, die ich lebe.

Mich erinnern diese Gedanken auch an Bruno Latour: Religiöse Rede beschreibt nichts, sondern verändert und ist damit der Sprache der Liebe verwandt. Sie muss deshalb immer wieder neu gesucht werden und ist riskant.

Ich glaube, dass beide Recht haben: Martin Buber, der gläubige Jude, und Bruno Latour, der bekennende Atheist.

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Zitiert habe ich aus den Büchern „Ich und Du“, Heidelberg 1983, 11. Aufl., und „Begegnung. Autobiographische Fragmente. Heidelberg 1986, 4. Aufl.
Bildnachweis: Das Porträt von Martin Buber: The David B. Keidan Collection of Digital Images from the Central Zionist Archives
Die beiden Fotos vom Buch „Ich und Du“: (c) Erik Thiesen

4 Gedanken zu “* Ich und Du

  1. Ralf Liedtke schreibt:

    Das Alles hört sich wirklich sehr komplex an und ich ahne, warum ich in der Vergangenheit Martin Buber, dessen Name mir immer mal wieder begegne, bis heute aus dem Weg ging.

    Ich fürchte auch, dies wird so bleiben. Um so mehr danke für die gute und verständliche Zusammenfassung der z.T. großartigen Gedanken. Besonders berührt hat mich der Satz aus einer der zitierten chassidischen Geschichten: „Wenn ich Gott liebe, was brauche ich dann die kommende Welt?“ Und damit sind wir wieder bei der Frage der Auferstehung.

    Ergänzen möchte ich: Und wenn ich für mich spüre, dass auch Gott mich liebt, gilt das dito in umgekehrter Weise. Und damit sind wir wieder bei der Beziehung und dem nimmermüden Dialog.

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  2. gebrocheneslicht schreibt:

    Aus einer anderen chassidischen Geschichte: Ein Zaddik – wörtlich „Gerechter“, im Chassidismus ein besonderer Ehrentitel – sagte einmal: Ich bin Zaddik geworden, weil mich mein Lehrer alles gelehrt hat, was er wusste – und ich alles gehört habe, was ich brauchte.“
    Mehr braucht es offenbar nicht.

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