Gewaltig

New York und Massachusetts – USA ’88, 2. Teil

Kirche in Deutschland verbindet man nicht automatisch mit den Eigenschaften aufregend, spannend, innovativ. Das war 1988 nicht anders. Und so war ich gespannt, was mir das „Land der unbegrenzten Möglichkeiten“ zu bieten hatte. Wie gingen dort Kirche und Gesellschaft, Kirche und Politik, Kirche und Spiritualität zusammen? NY St Patrick

Und die USA beeindruckten, zuerst durch ihre schiere Größe. Ich war von Fuhlsbüttel losgeflogen und landete auf dem John-F.-Kennedy-Airport. Das war schlicht eine andere Dimension. Von Hamburg war ich es gewohnt, dass die Kirchen zur Skyline zählten. In New York verschwand selbst die St. Patricks Cathedral zwischen den Häuserschluchten. Und für die Garagenmiete in der Lexington Avenue bekam man in Hamburg eine Dreizimmerwohnung.

Gleich am ersten Abend wartete schon ein Highlight auf uns. Auf dem Broadway lief Sarafina. Das Musical hat den Kampf gegen die Apartheid zum Thema – ein sehr passender Auftakt für unsere Reise.

Freedom is coming, das war 1988 noch eine Vision für Südafrika. Die Apartheid wurde offiziell erst drei Jahre später aufgehoben. An dieser Frage wurde damals in Deutschland wie in den USA leidenschaftlich diskutiert, wie politisch Kirche sein darf. „Kauft keine Früchte aus SA“, forderten die Linken. Wie heikel das Thema war, hatte ich in einer meiner ersten Predigten in der Eirene-Kirche in Langenhorn erlebt. Ich hatte dort nur das Wort fallen gelassen, ohne inhaltlich dazu etwas zu sagen. Nach dem Gottesdienst war ich dafür emotional heftig angegriffen worden.

MS HausAber auch in Amerika sollte uns das Thema nicht so schnell loslassen. Nachdem einer Sightseeing-Tour durch New York fuhren wir aufs Land, nach Sandisfield in Massachusetts. Dort wohnte der Professor für Neues Testament Walter Wink auf einem wahrhaft friedlichen und fast paradiesischen Anwesen. Sein Garten ging hinunter bis zum plätschernden Creek, seine Frau arbeitete in der eigenen Töpferei, und wir diskutierten in seinem Wohnzimmer – über Apartheid, Gewalt und was Jesus dazu sagen würde. MS Pottery

Walter Wink war wesentlich frommer als ich von deutschen Theologen gewohnt war, dafür allerdings auch wesentlich politischer. Er hatte gerade den 2. Teil seiner Trilogie über die „Mächte und Gewalten“ herausgebracht, von denen besonders in den Paulus-Briefen immer wieder die Rede ist. Die Frommen interpretieren sie als die Mächte des Satans, die eine durchaus reale unheimliche Wirkung haben. Ehrlich gesagt – ich habe sie nicht ganz so ernst genommen.

MS Diskussion

Mit W. Wink (M) und A. Ebert

Für Walter Wink aber waren sie durchaus real. Es seien die negativen politischen und gesellschaftlichen Kräfte, meinte er. Es wäre die reale Gewalt, die zum Beispiel die Menschen in Südafrika erlebten. Und genau ihnen hatte Jesus den Kampf angesagt.

Zwischen Gewalt und Gewaltlosigkeit vertrat Wink den „3. Weg“ Jesu. Die meisten Menschen, meinte er, tun Jesu Weg als Idealismus ab. Sie verstehen seine Aufforderung, die andere Backe hinzuhalten, als trottelige Gutmütigkeit. Er aber verstand Jesu Botschaft als Aufruf zu aktiver Gewaltlosigkeit („militant nonviolence“).

Darf Kirche politisch sein, fragte sich unser Kirchengemeinderat vor einiger Zeit. Für Walter Wink keine Frage: Um Jesu willen – sie muss!

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