So steht’s geschrieben!

Stell Dir vor, es ist Mittwoch, 1h in der Nacht. Du stehst an einer Fußgängerampel. Sie zeigt rot. Du schaust rechts, du schaust links, es kommt kein Auto. Was machst Du? Du bleibst (a) stehen; die Ampel zeigt ja rot. Du gehst (b) über die Straße, aber mit einem schlechten Gewissen. Oder Du gehst (c) ohne jegliches schlechte Gewissen rüber.

Diese drei Möglichkeiten gibt es auch im Umgang mit der Bibel. Wie stehst Du z.B. zur Homosexualität? Du lehnst sie (a) radikal ab, im Extremfall in Verbindung mit der Forderung der Todesstrafe (3. Mose 20,13, Römer 1,26-27). Denn so steht es in der Bibel. Oder (b) Du akzeptierst sie, aber doch nicht so richtig, also prinzipiell ja, aber nicht gleichwertig zur Heterosexualität, und deshalb dürfen Schwule und Lesben auch nur gesegnet, aber nicht getraut werden, also irgendwie mit schlechtem Gewissen. Oder aber, (c), Du siehst die Gesetze der Bibel als zeitgebunden an, stellst Hetero- und Homosexualität gleich und befürwortest die Ehe für alle.

Die Bibel ist zweifellos eine Grundlage unseres Glaubens. „Sola scriptura“, meinte Luther sogar, allein die Schrift. Aus ihr gewann er die Kraft und die Überzeugung, gegen Kaiser und Kirche zu kämpfen. Er war auch davon überzeugt, dass sie „durch sich selbst glaubwürdig, deutlich und ihr eigener Ausleger“ sei. Denn er hatte einen Schlüssel gefunden, um die Bibel aufzuschließen. Er fand ihn bei Paulus im Römerbrief (Kapitel 1,17): die Rechtfertigung des Sünders durch den Glauben. Danach beurteilte er die Bücher des Alten und Neuen Testaments.

Für mich ist ein anderer Schlüssel wichtig. Auch er steht bei Paulus: „Gott will, dass allen Menschen geholfen werde.“ (1. Timotheus 2,4). Und Jesus sagt: „Gebote sind für den Menschen da, nicht die Menschen für die Gebote“ (er bezog es auf den Sabbat, Markus 2,27, meinte es aber sicher auch allgemein). Danach beurteile ich die Aussagen und Gebote der Bibel. Deshalb muss ich darüber immer wieder nachdenken, abwägen, fühlen, reden, streiten – und komme nie zu einem Ende. In manchen Fragen habe ich allerdings schon eine ziemlich entschiedene Meinung. Ich gehöre übrigens zur Gruppe (c), in beiden oben beschriebenen Fällen.

5 Gedanken zu “So steht’s geschrieben!

  1. Nicole Alberd schreibt:

    Ach wie wunderbar! Danke für diese Gedanken zu diesem brandaktuellem Thema!
    Dachte ich doch in den letzten Tagen immer wieder: „wie denke ich denn nun darüber? Kenne ich eigentlich alle Konsequenzen? Ach, da denke ich später mal drüber nach, jetzt erstmal einkaufen/Kind bei Mathe helfen/dem Elternabend folgen/arbeiten….“

    Ich bin auch in beiden Fällen c). Und das ist gut so!:-)

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  2. Ute Klingwort-Finster schreibt:

    Im zweiten – wesentlichen – Fall bin ich auch für c); bei der Ampel zögere ich und bleibe dann doch wie ein Idiot bei Rot stehen, obwohl weit und breit nichts zu sehen ist (also a)…

    Ja, ich bin gespannt auf das Ergebnis der Abstimmung im Bundestag und ich bin auch „gespannt“ – muss ich gestehen – auf alles, was nächste Woche auf Hamburg zukommt. Auch hierzu steht einiges „geschrieben“, nämlich zum Beispiel im Grundgesetz über die bürgerlichen Freiheiten. Dass die während des G 20-Gipfels eingeschränkt werden, ist klar und unvermeidlich; schließlich wollen wir nicht, dass ein Anschlag auf einen der Staatsgäste verübt wird oder dass ein Konvoi von Linksextremen (oder anderen Krawallmachern) gestoppt wird. Aber ich bin auch froh darüber, dass so viele Demonstrationen angemeldet worden sind, wobei ich es wiederum für dämlich halte, „gegen G 20“ zu protestieren. Wie kann man dagegen sein, dass sich Politiker auf höchster Ebene über wichtige Fragen unserer Zukunft austauschen, um wenigstens ansatzweise zu Lösungen zu kommen? Sehr wohl kann man dafür demonstrieren, dass sinnvolle und weiterführende Kompromisse gefunden werden, dass also dieser aufwändige Gipfel ein paar vorzeigbare Ergebnisse bringt – wenn schon halb Hamburg zur Festung wird und viele Einzelhändler Umsatzeinbußen befürchten müssen. Leider wird es Bilder von Gewalt und Krawall geben, Vermummte, die Polizisten angreifen, Randalierer, die Steine werfen, Reifen anzünden, Scheiben einschlagen.
    Hätte der Gipfel in Elmshorn oder auf Helgoland stattfinden sollen? Nein, denn zu unserer Demokratie gehört auch das Recht zu demonstrieren, und so viele Schiffe gibt es ja gar nicht, um Tausende von Demonstranten auf die Insel zu bringen… Abgesehen von der logistischen Unmöglichkeit, so viele Hotelzimmer zur Verfügung zu stellen.
    Oder: Die Politiker zelten im Stadtpark oder gleich in Wacken; eine lockere Stimmung würde vielleicht Herrn Trump dazu bringen, das Pariser Klimaabkommen doch wieder gut zu finden.

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  3. Ute Klingwort-Finster schreibt:

    Inzwischen, nach Artikeln in der „Zeit“ u.a., bin ich nicht mehr sicher, ob der G 20-
    Gipfel wirklich in Hamburg stattfinden muss. Werden die Bedenken vieler Hamburger ignoriert, nur damit Frau Merkel gut dasteht? Was „bringt“ dieses Treffen – außer Einschaltquote und vielleicht mehr Stimmen bei der nächsten Wahl?
    Also, ich verstehe jeden, der Bedenken gegen dieses Meeting mitten in Hamburg hat.
    Jemand hat – halb im Scherz – vorgeschlagen, dass die Regierungschefs sich doch auf eine gemeinsame Reise mit einem Kreuzfahrtschiff begeben sollten. Nicht die schlechteste Idee…

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