Positive Schwingungen

Wer mit einer gefährlichen Krankheit lebt, fragt sich natürlich: Was hilft, wenn die ärztliche Kunst an ihre Grenze gekommen ist? Was kann ich selbst dagegen tun? Und immer wieder begegnen mir drei Dinge: Bewegung, ausgewogene Ernährung und eine positive Einstellung. Für mich ist das ganz dicht dran an dem, was wir in der Kirche „glauben“ nennen. Glauben ist mehr als eine Einstellung, mehr als richtiges Denken, sondern „Gott lieben von ganzem Herzen, von ganzer Seele, von ganzem Gemüt und mit all deiner Kraft“, wie es im 5. Buch Mose und bei Jesus heißt. 

Die Psychologin Dr. Jutta Seeland beschreibt diese Haltung in eigenen Bildern, wie in ihrer Mail auf den Beitrag „Gnade und Gott“.

Lieber Herr Thiesen,

gerade eben habe ich mir noch einmal Ihren Beitrag ‚Gnade und Gott‘ durchgelesen. Ich habe damals (am 8. Mai) nicht darauf geantwortet, weil ich so ein unwohles Grummeln im Bauch hatte, dass ich nicht so ungefiltert weitersenden wollte.

Heute trau‘ ich mich und hoffe, dass ich mein ‚Unwohlsein‘ in Worte fassen kann, die Sie erreichen, ohne irgendwelchen Schaden anzurichten.

Meiner – allerdings unmaßgeblichen – Meinung nach, ist man, wenn man Gnade erfährt, nicht unabhängig, nicht frei. Auch, wenn es ‚Gott‘ ist, der einem die Gnade zuteil werden lässt, wobei dies letztlich auch nur eine Hypothese ist, die den Glauben braucht, um relevant zu sein.

Hier kommt nun wieder der Gottesbegriff ins Spiel, und da habe ich es mit meiner Argumentation natürlich schwer – einem Pastor gegenüber, der für eine ziemlich bestimmte Weiterverbreitung eines Gottesbegriffs ordiniert wurde.

Für mich, und da bewege ich mich wieder auf sichererem Boden, da es ja meiner ist,  ist Gott, seit ich mich mit den Inhalten der Quantenphysik und -philosophie beschäftigt habe, etwas ganz anderes, als mir die Kirche, auch die reformierte evangelische, bisher vermittelt hat.

Bei dem Gottesbild, das mir die Kirche vermittelt, bleibe ich Kind. Ein Leben lang. Und abhängig. Auch ein Leben lang. Das liefert mich aber aus – auch der Gnade dieses Gottvaters. Ich kann viel mehr damit anfangen, dass es ‚im Himmel‘, also im Universum (neudeutsch und wissenschaftlicher), Schwingungen gibt, derer ich mich bedienen kann, und das meine ich keinesfalls respektlos. Da alles, und das ist kein Novum und auch nicht strittig, aus Schwingung besteht, aus Schwingung höchst unterschiedlicher Frequenz, ist genau diese Schwingung für mich ‚göttlich‘. Die Vorstellung, dass jeder Gedanke schon Schwingung ist, die Resonanz erzeugt, lässt mich zwar manchmal schwitzen, denn wer hat schon immer nur freundliche Gedanken, aber letztlich gibt mir diese Vorstellung viel mehr Möglichkeit, selber mein Leben zu gestalten.

Und diese – für mich göttliche – Schwingung ist im Guten wie im Bösen etwas, das mir Gestaltungsmöglichkeiten an die Hand gibt, die nicht von der Gnade eines Vaters abhängen, sondern mich in Verantwortung bringen. Das klingt irgendwie nicht besonders aufregend, solange alles ’normal‘ läuft. Das löst richtig heftige Gefühle aus, wenn ich krank werde und nicht weiß, warum. Der Prämisse folgend, dass wir jeden Tag ‚Wirkung‘ (er)leben, der eine ‚Ursache‘ vorangegangen ist, lässt manchem den voreiligen Schluss zu, dass ich nun auch noch  ’schuld‘ bin an meiner Erkrankung. Ganz so schlicht verstehe ich das nicht. Zur Entstehung einer Erkrankung gehören viele Faktoren, und manche brauchen auch viele Jahre, um ‚Wirkung‘ zu produzieren. Das kann ich im Nachhinein – schon gar nicht als Betroffener – ja nicht immer auflösen. Aber wenn ich davon ausgehe, dass Schwingungen miteinander in Resonanz gehen, kann ich zumindest versuchen, ‚gesunde Schwingung‘ zu erzeugen, indem ich mir mich gesund vorstelle und das fühle. Letzteres ist keine einfache Übung, wenn die medizinischen Befunde einem Angst machen.

Wenn es schwerfällt, sich eine positive Zukunft vorzustellen, ist es aber vielleicht möglich, den Umweg über die Vergangenheit zu machen, indem man sich an glückliche Momente erinnert, sie noch einmal ganz intensiv durchlebt. Und mit diesem Gefühl im Bauch dann auf die Route 66!

Nochmal, für mich ist Gott diese riiiiesige Schwingung, auf die ich zugreifen, und mit Hilfe derer ich gestalten kann. Mich macht dieses Gottesbild ehrfürchtiger und dankbarer, als es ein Gottvater-Bild je könnte, weil es eben nicht ‚menschlich‘ konfiguriert ist, sondern in seinem unendlichen Reichtum der Möglichkeiten, die uns gegeben sind, absolut göttlich. Das macht Menschen verantwortlicher, sicher. Aber steht nicht in der Bibel „Macht Euch die Erde untertan“? Da steht nichts von „Ich mach‘ das für Euch“.

Mir gibt dieses ‚Gottesbild‘ nicht nur mehr Verantwortung, sondern auch ganz viele Möglichkeiten. Und Freiheit, ganz viel Freiheit.

Sie erinnern sich, dass ich Ihnen von den Überlebensstrategien meiner Patienten erzählt habe? Die kämpferischen, die für sich irgendetwas gefunden hatten, das sie für wohltuend und gesundmachend hielten, haben überlebt. Sie haben mutig und entschlossen ihr Schicksal in die eigene Hand genommen. Und natürlich haben sie auch geglaubt – an die gesundmachende Kraft ihrer persönlichen Strategie nämlich! Der Glaube an die eigene Kraft – und an das jeweilige Hilfsmittel, (und davon gab es so viele unterschiedliche wie Patienten), hat den Berg ‚Krebs‘ versetzt!

Die Opfer, und ich formuliere jetzt bewusst so pointiert, die ’nur gebetet haben‘ und in ihrer Angst geblieben sind, haben sich viel früher auf den Weg in ‚andere Räume‘ machen müssen.

Was ich Ihnen mit diesem langen Sermon – entschuldigen Sie bitte, aber ich habe es nicht kürzer hinbekommen – sagen möchte, ist:

Glauben Sie an sich, an ihre Kraft, an Ihre Möglichkeiten! Wenn Sie dazu einen gnädigen Gott brauchen, völlig okay, aber dann machen Sie ihn auch zu einem gesundmachenden Gott! Und glauben Sie an die Reise auf der  Route 66! Nicht mit ‚vielleicht‘ und ‚mal gucken‘, sondern so, als wenn Sie schon gebucht hätten!

Ich hoffe, ich habe Sie nicht irgendwie gekränkt (schlimmes Wort) mit meiner obigen kurzgefassten Auseinandersetzung mit dem Gottesbegriff.

Ich denke viel an Sie und Ihre Frau, und ich möchte Sie im nächsten Sommer strahlen sehen in Amerika!

Herzliche Grüße, auch an Ihre Frau,

Jutta Seeland

Ein Gedanke zu “Positive Schwingungen

  1. gebrocheneslicht schreibt:

    Liebe Frau Seeland,

    es ist nun ein wenig Zeit vergangen seit Ihrer Mail. Sie können sich vielleicht vorstellen, dass es in der Zeit seitdem nicht langweilig geworden ist – der Umzug hat uns sehr in Atem gehalten. Und seit zwei Wochen gehe ich auch wieder zur Bestrahlung, die mich gerade in den letzten Tagen einige Energie gekostet hat. Nächsten Freitag bin ich dann hoffentlich durch.

    Sie haben mich mit Ihrer Mail und mit Ihren Gedanken keineswegs gekränkt, im Gegenteil.

    Denn das Unbehagen, das Sie zum Ausdruck gebracht haben, teile ich durchaus. Es ist das Unbehagen an der bisherigen Theologie, die die Gnade – zumindest in unserem westeuropäischen Verständnis – im Bereich des Rechts verortet hat. So bleibt der Empfänger der Gnade immer passiv und in der Hierarchie unten. Kennt das Konzept der Gerechtigkeit noch, zumindest in einigen Konstellationen, gleichwertige Partner, so braucht das Konzept der Gnade einen Mächtigen – der die Gnade gewährt – und einen Ohnmächtigen, der sie empfängt. Es ist das religiöse Prinzip, das im Wort „Islam“ schon zum Ausdruck kommt („Unterwerfung“) und im Christentum weit verbreitet ist.

    Dem habe ich das griechische Konzept der Gnade gegenüber gestellt. Und immerhin kommt unsere Vorstellung ja aus der griechischen Welt und Sprache, und die hebräische korrespondiert damit: Gnade als Schönheit, Anmut, Leichtigkeit, Genuss und Wohltat. Das ist für mich ein wesentlicher Aspekt von dem, was Sie „gesunde Schwingungen“ nennen.

    Ich gestehe, dass ich das Unbehagen mit der Krankheit nicht loswerde. Es bricht immer einmal wieder an die Oberfläche – manchmal in Träumen oder im mentalen Nebel zwischen Aufwachen und Aufstehen, manchmal durch eine Bemerkung oder andere Anlässe. Aber wir sehen zu, dass wir unsere Aufgaben in den Fokus bekommen. Heute ist es – noch – der Umzug; die letzten Kisten warten darauf, ausgepackt, die letzten Bilder, an die Wand gebracht zu werden. Auch die Bestrahlungen gehören zu den Aufgaben des Tages. Das Ziel ist klar: Kill the cancer. Und in einer guten Woche beginnen die Gespräche über den Einstieg in die pastorale Arbeit. Dann dauert es nicht mehr lange bis zu den Exerzitien Teil 2 in Bingen, und danach sehen wir weiter.

    Ich danke Ihnen sehr für Ihre Begleitung und Ihr Mutmachen. Das ist uns, meiner Frau und mir, enorm wichtig!

    Seien Sie herzlich gegrüßt
    Erik Thiesen

    (Antwort vom 17. Juni)

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