Serie „Die AfD und ich“ – siehe Themensuche
Alles spricht dafür, dass die AfD nicht viel mit mir zu tun hat. AfD-Wählerinnen und Wähler sind die anderen: Die mit den anderen Werten, anderen Zielen, anderen Sorgen und anderen Methoden. Höre ich einen Björn Höcke oder eine Frauke Petry, widersprechen ihre Aussagen so ziemlich allem, für das ich mich ein Leben lang eingesetzt habe: Dass alle Menschen dieselben Rechte haben, dass wir füreinander einstehen sollten, einander verstehen. Dass alle ihre eigene Meinung sagen dürfen und, soweit es andere nicht stört, jede und jeder nach eigener Fasson selig werden darf, wie der Preußenkönig Friedrich II. formulierte.
Es ist leicht, die Rede von Björn Höcke in Dresden („Wir brauchen eine erinnerungspolitische Wende um 180 Grad“) intellektuell auseinander zu nehmen, wie der Bundesrichter Thomas Fischer auf „Zeit Online“. Aber die AfD hat keinen intellektuellen Anspruch. Im Juni 2016 bezog sich Höcke noch auf auf den hauseigenen Philosophen und Sloterdijk-Schüler Marc Jongen. Jongen bescheinigt den Deutschen eine „thymotische Unterversorgung“. Der Begriff Thymos kommt aus der griechischen Philosophie und bezeichnet so etwas wie emotionale Leidenschaft, die sich auch in Zorn und Empörung ausdrücken kann.
In Dresden kam Höcke ganz ohne philosophische Bezüge aus. Für ihn und sein Publikum gilt, was Adrian Daub über Trump und seine Wählerschaft schreibt: „Für sie haben Kriminalität, Wirtschaft, Außenpolitik nichts mit Fakten, Statistik, Trendlinien zu tun, sondern vor allem mit Gefühl.“ Es ist ein Gefühl, dass alles schlechter wird, dass sich keiner kümmert und schon gar nicht um mich. Politik, Gesellschaft, Kirchen, alle lassen uns alleine. Und die AfD arbeitet daran, die neue „Kümmerer-Partei“ zu werden.
Man kann gegen diese Politik protestieren. Man kann sie intellektuell demontieren. All das dient aber in erster Linie dazu, die eigene Meinung zu bestätigen und die eigenen Reihen zu schließen. Ich glaube, dass es noch einen anderen Weg gibt.
Der Organisationspsychologe Prof. Peter Kruse hat untersucht, welche Werte die Deutschen grundsätzlich vertreten. Und er stellte fest, dass etwa die Hälfte individuell orientiert sind („eigene Zielstrebigkeit, persönliche Autonomie, Wachstumsoptimismus, Wettbewerbsfähigkeit, stabiler Lebensrahmen“) und die andere Hälfte gemeinschaftsorientiert („tragfähiges Wir-Gefühl, soziale Achtsamkeit, praktische Anteilnahme, gleiche Bildungschancen, kooperatives Handeln“). Und die Befragten meinten weiter, dass die individuellen Werte in Deutschland gut verwirklicht seien, die gemeinschaftsorientierten aber nicht – und dass auch keine Hoffnung bestünde, dass sie sich entwickeln würden.
Und da hatte ich eine Ahnung, dass mir das Anliegen der AfD gar nicht so fremd ist. Ich sympathisiere deutlich mit den gemeinschaftsorientierten Werten. Und genau auf diese Werte bezieht sich auch Björn Höcke. Und ich glaube: Eine aussichtsreiche Auseinandersetzung mit den Menschen, die AfD wählen, liegt genau hier: Wenn wir uns umeinander kümmern. Wenn wir das Gefühl vermitteln können, dass wir eine tragfähige Gemeinschaft sind. Und um das zu erreichen, sollten wir uns nicht gegeneinander, sondern miteinander engagieren.
„Und die Befragten meinten weiter, dass die individuellen Werte in Deutschland gut verwirklicht seien“
Witzig. Das hätte ich ganz anders bewertet. Aber ist natürlich immer auch eine Frage der Perspektive.
„“ine aussichtsreiche Auseinandersetzung mit den Menschen, die AfD wählen, liegt genau hier: Wenn wir uns umeinander kümmern.“
Da interessiert mich jetzt, wie du dir das konkret vorstellst. Magst du das noch ausführen?
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Die Ergebnisse der Werte-Studie fand ich auch überraschend und habe mir den Vortrag von Peter Kruse gleich nochmal angehört. Vielleicht bin ich ja leicht zu überzeugen, aber seine Argumente fand ich plausibel. Die Dokumentation vom ganzen Kongress fand ich dann dann noch einmal hier.
Und wie ich mich um die AfD kümmern will? Das weiß ich selbst noch nicht so recht. Im Moment bin ich auch gesundheitlich etwas außer Gefecht gesetzt und kann mich noch nicht konkret drum kümmern. Keiner aus meinem Bekannten- und Freundeskreis hat sich bis jetzt zu dieser Partei bekannt. Aber es soll da jemanden gben, der mal bei uns im Kirchenvorstand war und jetzt in der Hamburger Bürgerschaft sitzt. Wenn ich wieder kann, werde ich mich mal auf den Weg machen. Und dann, soweit es geht, im Blog davon berichten.
Ich finde schon mal den Versuch spannend, aus der kirchlichen Komfortzone rauszugehen. Mal sehen, was passiert.
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Ich wollte mehr drauf hinaus, was du dir unter deinem letzten Absatz vorstellst. Wer soll sich worum genau kümmern und engagieren?
Bin aber natürlich trotzdem gespannt auf zukünftige Berichte.
Hab ja in meinem Blog gerade mal eine sachliche Diskussion mit einem AfD-Anhänger versucht und fand das Ergebnis zumindest interessant, wenn auch natürlich nicht extrem erfreulich.
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„Wer soll sich worum genau kümmern und engagieren?“
Im Zweifel immer ich selbst. Mache ich auch, will ich auch – wenn es meine Gesundheit wieder zulässt. Aber ich habe gute Leute hier vor Ort: Eine Kollegin und mit ihr viele Engagierte, die sich um die Flüchtlingsarbeit kümmern und damit nicht nur den Flüchtlingen, sondern vor allem dem Stadtteil viel Gutes getan hat – Stichwort: sozialer Frieden. Und ein paar tolle Leute aus der Lokalpolitik. Ich träume nicht davon, dass wir alle einer Meinung sind. Aber dass wir im Gespräch bleiben. Und auch wenn es nicht klappen sollte, würde es den Einsatz und Versuch lohnen.
„Hab ja in meinem Blog gerade mal eine sachliche Diskussion mit einem AfD-Anhänger versucht und fand das Ergebnis zumindest interessant, wenn auch natürlich nicht extrem erfreulich.“
Hab mich mal auf deinem Blog rumgetrieben. Gefällt mir gut. Politisch scheinen wir uns nicht viel streiten können. In Fragen der Religion schon 😉 Kannnst du verraten, wo die Diskussion mit dem AfD-Anhänger steht? Die interessiert mich natürlich.
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Danke für die Erläuterung, und natürlich freue ich mich auch, dass dir mein Blog gefällt.
Die Diskussion mit Gerhard Rhiel findest du hier: https://ueberschaubarerelevanz.com/2016/12/20/gastbeitrag-von-gerhard-rhiel-warum-ich-mit-der-afd-sympathisiere/
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Konnte die Diskussion nur überfliegen. Die Idee fand ich gut, alle Beteiligten haben sich ziemlich gut gefetzt und nix geschenkt. Was mir zum Schluss fehlte: Dass sie sich den Schweiß von der Stirn wischen und einer sagt: Jetzt gehen wir alle mal ein Bier trinken. Alle bis auf deutschesweb, den fand ich auch nach Besuch seiner Webseite etwas unheimlich.
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Nee. Mit Leuten, die so auftreten, gehe ich nirgendwohin, fürchte ich. Da war auch kein Schweiß auf der Stirn. Und Bier trink ich eh keins.
Aber danke für dein Feedback. Ich denke, ich verstehe schon ungefähr, was du meinst.
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