Nachdenken über Jesus

Jesus sei ganz Gott und ganz Mensch, heißt es. Aber wie ist das zu verstehen? Die Menschen stritten sich, ob „der Sohn“ mit „dem Vater“ nun wesensgleich sei oder nur wesensähnlich – griechisch ὁμοούσιος oder ὁμοιούσιος. Es ging um einen Buchstaben, den kleinsten im Alphabet, das ι. Deshalb wurden Kriege geführt und Konfessionen getrennt. War es das wert?

Nein, definitiv nicht. Schon die Fragestellung ist mir herzlich egal.

Wichtig ist mir nicht, ob er mit dem Vater, sondern mit mir wesensähnlich oder sogar wesensgleich ist. Denn ich habe das tiefe Gefühl: Er steht auf meiner Seite. Er ist wie ich. Oder ich wie er. Oder besser: Ich auf seiner Spur.

Wie er habe ich einen handwerklichen Beruf ausgeschlagen. Uns zog es wohl beide eher zu Büchern – ihn zur Heiligen Schrift, mich eher zu Karl May. Beide suchten wir unseren eigenen Weg, gerade auch in der Auseinandersetzung mit der Familie. Mir gefällt auch sein Hang zum Feiern, ob in Kana, bei den Zöllnern oder den Pharisäern.

Er sucht und findet immer wieder die positive und leichte Seite im Leben – und an Gott. Gott ist jemand, der die Vögel und Blumen beschützt – und mich erst recht. Gott fragt nicht nach Schuld und Irrwegen. Wer zurückfindet wie der „verlorene Sohn“, bekommt erst einmal einen Kaffee oder gleich ein Festmahl ausgerichtet. Und dabei weiß er sehr wohl um die Gefahren und Untiefen des Lebens, um die Wankelmütigkeit des Schicksals, um die Unberechenbarkeit des Vaters. Schau nicht zu sehr dahin, sagt Jesus. Hoffe gegen die Erfahrung.

Und immer wieder sucht er den Weg des Friedens, des Ausgleichs, der Gerechtigkeit. Auch wenn ihn das in große Schwierigkeiten bringt. Schließlich hat er nur die Wahl, entweder seinen Weg zu verlassen oder ans Kreuz zu gehen. Und dieser innere Kampf, wie er ihn im Garten Gethsemane ausgefochten hat, ist mein Kampf mit der Krankheit. „God, Thy will is hard, but you hold every card…“ (Jesus Christ Superstar). Und von seinen letzten Worten am Kreuz darf keines fehlen. Denn sie alle umfassen das Leben wie das Sterben: „Mein Gott, mein Gott, warum hast Du mich verlassen?“ Mk. 15,34 und Mt. 27,46), „Es ist vollbracht“ (Joh. 19,30) und „Vater, in deine Hände lege ich meinen Geist.“ (Lk. 23,46).

Paulus selbst betont immer wieder, dass wir mit Jesus eins sind. Ja, wir sind mit ihm gestorben und auferstanden (Römer 6,3-5). Jesus lebt in uns und wir in ihm. Das kann ich so allerdings (noch?) nicht ganz nachvollziehen.

menas-meditationVorerst reicht es mir, wenn ich Jesus als meinen Freund bezeichnen kann. Der mich stützt und unterstützt und gleichzeitig den Raum gibt, damit ich mich entfalten kann. Der mir die Wahrheit sagt, die gerade gut ist für mich. Der meinen Weg mit mir geht.

Diese Ikone liegt auf meiner Meditationsmatte; ich gehe täglich daran vorbei. Sie erinnert mich an meine Sehnsucht, geborgen und aufgehoben zu sein und zur Ruhe zu kommen. Die Realität sieht zurzeit anders aus. Aber diese Ikone holt mich immer wieder ein bisschen aus der Realität heraus in die Wirklichkeit Jesu. Das tut gut.

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Beitragsbild: Jesus-Mosaik in der Ayia Napa Kapelle, Zypern. Bild von dimitrisvetsikas1969 auf Pixabay
Menas-Ikone: Die Quelle kann ich nicht mehr zurückverfolgen. Bitte ein Hinweis, wenn eine Urheberrechtsverletzung vorliegt.

 

Wirklich oder wahr?

Im nächsten Jahr feiert die Kirchengemeinde Niendorf ihr 250-jähriges Jubiläum. Vor ihrer Gründung gehörte sie zum Hamburger Kirchspiel Eppendorf, politisch aber zur Herrschaft Pinneberg und unterstand dem dänischen König. Zwischen den reichen Hamburgern und den ärmlichen Schleswig-Holsteinern gab es oft Streit, meist um Geld und Personalfragen. Wobei die „Pfeffersäcke“ die Nase immer ein wenig höher trugen.

Das Verhältnis wird schön von einer Geschichte illustriert, die ich von einem alten Niendorfer hörte: Es muss irgendwann in den Jahren vor dem Bau der Kirche geschehen sein. Die Eppendorfer hatten ihre alte Kirche renoviert und Kirchengestühl eingebaut. Da aber nicht genug Platz zur Verfügung stand und die Niendorfer sowieso mit den kirchlichen Abgaben im Rückstand waren, waren alle Sitzplätze für die Hamburger reserviert. Das erfuhren die Niendorfer Bauernjungs, überquerten in der Nacht vor der Einweihung die Grenze zur Hansestadt, brachen in die Kirche ein, stapelten das Gestühl auf dem Vorplatz und verbrannten es. Es hat die Freundschaft der Nachbarorte nicht vertieft.

Diese Geschichte erzählte ich gerne bei so mancher Kirchenführung. Bis mich ein anderer alter Niendorfer fragte, woher ich sie habe. Und ich erzählte, ich hätte sie gehört und sie stünde doch in der Kollau-Chronik.

Neugierig geworden schaute ich nun selber nach. Und siehe da, ich fand die Stelle. Allerdings hörte sie sich anders an. Der Streit ging um die Besetzung der Pfarrstelle. Man konnte sich nicht einigen. Und dann heißt es: „Es kam so weit, daß, als die Eppendorfer Kirche neu gebaut war, man die Kirchenstühle neu verpachtete und die alten Rechte der Holsteiner nicht achtete. Sie beschwerten sich und vernagelten die neuen Stühle, obwohl sie nicht übermäßig pünktlich in der Bezahlung der Kirchstände zu sein pflegten.“ Was auch immer das Vernageln bedeutete, es war ein unfreundlicher Akt der Pinneberger. Aber nichts von Bauernjungs, nichts von Freudenfeuer – und das Ganze passierte auch nicht kurz vor 1770, sondern 1631. Und die Vorstellung, dass hier in der Gegend nur arme Geestbauern lebten? Als ich das einem Nachfahren einer alten Niendorfer Bauernfamilie erzählte, wiegte er mit dem Kopf und meinte: Nein, arm waren sie nicht. Richtig reich auch nicht. Aber durchaus vermögend.

Meine Geschichte von den armen, aber tapferen Niendorfern, die sich gegen die hochnäsigen Geldsäcke aus der Stadt auflehnten, fiel ziemlich in sich zusammen. Das mag in diesem Fall harmlos gewesen sein. Aber aus solchen Vorstellungen können auch Mythen gewoben werden: So ist er nun einmal, der Niendorfer an sich. Macht nicht viel von sich her, hat aber innen ein aufrechtes Herz. Mit der Realität hat das dann nur noch am Rande zu tun.

Ich zeige gerne mit dem Finger auf Donald Trump und seine „alternativen Fakten“, lache über den Stern, der auf die Hitler-Tagebücher hereingefallen ist und frage mich, warum Claas Relotius so lange beim Spiegel mit seinen Reportagen aus Fakt und Fiction durchgekommen ist. Dabei bin ich selbst keineswegs gefeit davor, gerne das aufzunehmen und zu glauben, was sowieso in mein Weltbild passt.

Ja, sagte ich, als ich meinen Irrtum eingestehen musste, es gibt eine Wirklichkeit und es gibt eine Wahrheit. Und meine Geschichte mit den Bauernjungs ist eben wahr, denn sie illustriert doch wunderbar die Situation, wie sie zur Zeit der Kirchengründung existierte.

Diese Einstellung fand ich wieder beim Regisseur Werner Herzog, der in einem Interview mit dem Tagesspiegel gesagt hat: „Ich habe Dokumentationen gedreht, in denen so gut wie jedes Detail erfunden ist und die genau deshalb viel mehr Wahrheit enthalten als viele andere, die sich buchhalterisch an Objektivismus klammern.“

Ganz ähnlich gehen wir ja auch mit den biblischen Geschichten um, wenn wir sie nicht wörtlich nehmen wollen, weil wir dann mit der Naturwissenschaft in Konflikt kommen – von der Schöpfungsgeschichte über die Sintflut bis hin zu den Wundern Jesu: Wenn sie auch vielleicht nicht wirklich passiert sind, so sagen wir, drücken sie doch eine tiefere, eine göttliche Wahrheit aus.

Woher aber wissen wir von dieser Wahrheit, woher weiß Herzog, welche Wahrheit wirklich wahr ist? Liegt sie in den Geschichten, die aber womöglich erfunden – oder vielmehr gefunden – wurden, um eine dahinter liegende Wahrheit zu erzählen?

Ich bewege mich da auf unsicherem Boden. Wir können nur ahnen, wer die Autoren der Bibel wirklich waren – welche Erfahrungen sie gemacht, welche Verletzungen sie in ihrem Leben davon getragen, mit welchen Dämonen sie gekämpft haben. Wir kennen ihre Welt und ihre Motive nur in Umrissen. Und ich bin ganz anders, lebe in einer anderen Zeit und habe andere Herausforderungen zu bestehen.

Wahrheit entdecke ich, wenn ich genau danach frage, was unsere Welt zusammenhält. Was uns gut tut. Indem ich nach Gott frage und dem Sinn. Und ich entdecke, dass es die eine Wahrheit nicht gibt. Was für mich früher einmal wahr war, ist fraglich geworden. Was für mich heute wahr ist, sieht eine andere völlig anders. Und auch das gilt: Ich entdecke in den Gedanken des anderen eine Wahrheit, die mir völlig plausibel scheint. Aus einem Bibeltext leuchtet eine Erkenntnis, die mein Leben hell macht. Aber wenn ich nicht vorsichtig mit dieser Wahrheit umgehe, ist sie schnell wieder verschwunden.

„Zart und genau“, schrieb Kurt Marti, „sind … Kategorien …, die göttlich zu nennen erlaubt ist, weil ihr Recht … dem Willen entspringt …, zart und genau zu sein, d. h. den Menschen, den Dingen zutiefst gerecht zu werden.“

Den Menschen und Dingen gerecht zu werden bedeutet, immer wieder neu hinzuschauen. Denn sie können ganz anders sein und ganz anders werden als ich vorher dachte. Das gilt auch für Werner Herzog. Ich weiß noch nicht einmal, ob er den Satz wirklich so gesagt hat. Denn das Interview führte ausgerechnet Claas Relotius.

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Das Zitat aus der Kollau-Chronik stammt aus Dr. Adolf Hansen und Rudolf Sottorf, Die Kollauer Chronik II. Band, Seite 80, Altona 1929. 
Und „Zart und genau“: Kurt Marti, Zärtlichkeit und Schmerz, Seite 116, Darmstadt 1981.

 

Mit der AfD reden – Fortsetzung

Mein letzter Beitrag zur AfD endete mit einer Kapitulationserklärung. „Ich kann es einfach nicht“, schrieb ich damals, Mitte März. „Ich habe es ehrlich versucht, viele Anläufe habe ich gemacht, aber ich schaffe es definitiv nicht, Rechtspopulisten wie die AfD wirklich zu verstehen.“ Inzwischen bin ich mir nicht mehr so sicher, ob das Verständnis wirklich so wichtig ist. Ich glaube, es ist viel wichtiger, überhaupt miteinander zu reden. Denn
1. wer miteinander redet, schießt nicht. Und nimmt sich
2. überhaupt erst wahr. Und hat dann auch
3. die Chance zu erahnen, warum der oder die andere so denkt.

Denn wenn es stimmt, was Berger und Luckmann von der „gesellschaftlichen Konstruktion der Wirklichkeit“ schreiben, ist das Verständnis füreinander ohnehin Glückssache. Und wer dann noch das Gegenüber von der eigenen Meinung überzeugen kann oder auch nur Verständnis dafür weckt, hat schon das große Los gezogen.

Also wollte ich anfangen, nicht über die, sondern mit der AfD zu reden. Weiterlesen

* Miteinander reden

Das Gespräch mit der AfD geht weiter – ein Vorwort

Blinde und Elefant.jpgFünf weise Männer, alle blind, bekommen den Auftrag, einen Elefanten zu beschreiben. Der erste sagt: „Ein Elefant ist wie ein langer Arm“ – er hatte nur den Rüssel berührt. Der zweite steht an den Füßen und meint: „Nein, er ist wie eine Tonne.“ Der dritte betastet ein Ohr und sagt: „Nein, wie ein Fächer.“ Der am Schwanz entgegnet: „Keineswegs, ein Elefant ist wie ein großer Pinsel.“ Und der fünfte berührt den Rumpf und sagt: „Wie eine Tonne mit Borsten.“

Wir sind wie die Weisen und sehen alle nur einen Teil der Wirklichkeit – Buddha selbst soll dieses Gleichnis erzählt haben. Ich glaube aber, dass es nicht stimmt.

Denn es geht davon aus, dass es nur eine Wirklichkeit gibt. Und wenn wir nur alle Informationen zusammentragen, dann werden wir sie erkennen. Ich aber glaube, dass die Weisen gar nicht alle den Elefanten berührt haben, sondern der erste einen dicken Schlauch, der zweite einen Baum, der dritte ein großes Tuch, der vierte einen Staubwedel, und nur der fünfte hat den Elefanten berührt. Sie haben verschiedene „Wirklichkeiten“ untersucht.

Vor einiger Zeit habe ich auf diesem Blog mit einer evangelikalen Christin diskutiert. Irgendwann haben wir das Gespräch im gegenseitigen Einvernehmen beendet, ohne wirklich zueinander gekommen zu sein. Wir haben in zwei verschiedenen Wirklichkeiten geredet.

Was völlig normal ist, wenn man den Soziologen Peter L. Berger und Thomas Luckmann glaubt. Sie sind davon überzeugt, dass wir uns unsere Wirklichkeit konstruieren. Sie beschreiben Wirklichkeit – und nun wird es etwas theoretisch – „als Qualität von Phänomenen, die ungeachtet unseres Wollens vorhanden sind – wir können sie ver- aber nicht wegwünschen. ‚Wissen‘ definieren wir als die Gewißheit, daß Phänomene wirklich sind und bestimmbare Eigenschaften haben.“ (Die gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit, S. 1) Wenn man den Alltag beobachtet, zeigt sich aber, dass in verschiedenen Gesellschaften verschiedene Wirklichkeiten gelten, die durch verschiedene Vorgänge erzeugt werden. (Wikipedia) Wie wir Menschen das machen, kann man hier ganz gut nachlesen.

Ein kleiner Rückblick in die Geschichte: Die Reformation wird kirchlicherseits gerne als Ursprung der Toleranz gesehen. Das ist nicht ganz falsch. Aber nicht deswegen, weil die Reformatoren tolerant waren. Ganz im Gegenteil. Durch ihre Intoleranz haben sie das einheitlich-katholische Weltbild des Mittelalters zerstört. Plötzlich gab es auf engem Raum zwei und mehr „Wahrheiten“ – die katholische und evangelischerseits gleich eine ganze Reihe. Im Augsburger Religionsfrieden 1588 – „cuius regio, eius religio“, der Herrscher bestimmt die Konfession seiner Untertanen – wurde diese Vielfalt erstmals akzeptiert. Noch in meiner Jugend gab es auf dem Land praktisch keine Katholiken – mit dem einen Mädchen in der Klasse kamen wir klar. Als ich in Franken studierte und von den handgreiflichen Auseinandersetzungen zwischen protestantischen und katholischen Schülern eines Bamberger Gymnasiums hörte, dachte ich: Das ist Mittelalter. Es war wohl eher der 30-jährige Krieg… Heute leben wir eng zusammen mit verschiedenen Glaubensrichtungen und Weltanschauungen, manche kompatibel, andere nicht so.

Und immer wieder machen wir den Versuch, eine dieser „Wirklichkeiten“ zur dominierenden zu erklären. Im Iran klappt das mit dem Islam noch ganz gut. Die Franzosen bekommen mit ihrem Laizismus schon Probleme mit Katholiken und Moslems. In Deutschland hat sich der Staat entschieden, sich aus weltanschaulichen Fragen herauszuhalten und mit allen Gruppen zusammen zu arbeiten, die auf dem Boden des Grundgesetzes stehen. Was, wie ich finde, die bei weitem beste Methode ist. Aber auch die bei weitem komplizierteste.

Deshalb diskutieren wir in Abständen immer wieder einmal über Leitkulturen, Verdrängung der Religionen ins Private und der Frage, ob und wie der Islam zu Deutschland gehört.

Und damit sind wir bei der AfD. Darüber mehr im nächsten Blog.

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Beitragsbild: By Skydeas – Own work, CC BY 3.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=30881279
Bild im Text: By Illustrator unknown – From The Heath readers by grades, D.C. Heath and Company (Boston), p. 69., Public Domain, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=4581263

 

Es ist an der Zeit

„Du musst mir helfen“, sagt Abel Baumann alias Gott zu Jacob Jacobi. Die Sache mit der Erde ist ihm über den Kopf gewachsen. Er braucht einen neuen Messias. Was aber befähigt den 49-jährigen Psychologen zum Nachfolger Jesu Christi? Sicher, er gehört zu den netten Menschen, die sich – wie die meisten von uns – auf der Welt etwas mehr Liebe, Frieden und Gerechtigkeit wünschen. Aber das ist nicht alles. Er glaubt. Und Gott sagt: „Wenn Menschen nicht nur wünschen, sondern glauben, dann setzt das ungeahnte Energien frei.“ Weiterlesen