Berufungen

Exerzitien 19. Teil, Bingen 2016, die „zweite Woche“.

(Die kursiven Texte sind wörtlich meinem Binger Tagebuch von 2016 entnommen) 

PHILIPPUS UND NATHANAEL

Meine „Lieblingsberufung“ ist die des Nathanael: Philippus, bereits von Jesus überzeugt, will nun auch seinen Freund gewinnen. Doch Nathanael sträubt sich. „Was kann aus Nazareth schon Gutes kommen?“ Philippus versucht nun erst gar nicht, ihn zu überzeugen, sondern meint schlicht: „Komm und sieh selbst.“ Nathanael gibt sich einen Ruck. Und als Jesus ihn sieht, meint er: „Hier kommt ein aufrechter Mensch.“ – Das entspricht meiner Erfahrung: Menschen lassen sich kaum durch Diskussionen von Jesus überzeugen. Sie müssen sich schon selbst aufmachen und sehen. Und wenn sie dann so positiv empfangen werden wie Nathanael von Jesus, dann ist eine gute Grundlage gelegt.

LEVI

Jesus kommt an einer Zollstation vorbei und fängt mit Levi, dem Zöllner, ein Gespräch an. Levi ist es nicht gewohnt, dass ein Israelit respektvoll mit ihm spricht und steigt gerne ein – zunächst vorsichtig, dann immer vertrauensvoller. Und als sich Jesus bei ihm einlädt, ist seine Bude abends voll.

Das ist keine typische Bekehrungsgeschichte. Jesus überschreitet einfach eine Grenze, redet mit jemandem, mit dem sonst niemand redet. Und er feiert. Hat Jesus an dem Abend nur „gute Gespräche“ geführt? Oder nicht auch einfach mal Witze gerissen, Smalltalk gemacht oder den guten Wein, den es bei Levi sicherlich gab, genossen? Reden und feiern – könnte das ein Programm für die Gemeinde sein?

PETRUS

Jesus steht am Ufer und fordert die erfolglosen Fischer auf, noch einmal die Netze auszuwerfen. Sie tun es, mit unglaublichem Erfolg. Auch ich habe Erfahrungen von Fülle gemacht, und es ist mir in meinem Leben schon viel geschenkt worden. Und doch bleibt mir die Geschichte fremd, ja ich wehre mich gegen diese Erfolgsgeschichte. Vielleicht weil mir beigebracht wurde: Nur wer Erfolg hat, ist etwas wert? Weil ich erfahren musste, dass andere mit weniger Aufwand einfach erfolgreicher waren? Sympathischer und entlastender ist mir Martin Buber: „Erfolg ist keiner der Namen Gottes.“   

Nachdem Petrus Jesus als Sohn Gottes angeredet hat, bekommt er einen neuen Namen. „Hat sich durch meine Berufung auch mein Name oder mein Wesen verändert?“, fragt der Exerzitienmeister. Wenn meine Berufung zum Pastor gemeint ist und wenn ich meinen Lebensweg von Schulzeiten bis heute in den Blick nehme, lautet die Antwort: Ja, durchaus. Am Anfang war ich doch sehr zurückhaltend. Heute müssen meine Gesprächspartner manchmal aufpassen, dass sie überhaupt zu Wort kommen…

Was aber bedeutet es, wenn Petrus die „Schlüssel des Himmels und der Erde“ bekommt? Vielleicht: Den Menschen, denen ich begegne, die göttliche Sphäre im Hier und Jetzt aufzuschließenim gegenseitigen Trost, in guten Gesprächen, in begeisternden Aktionen, Türen für Menschen „draußen“ öffnen.

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