Weltfrieden

Auf der Suche nach entspannender Unterhaltung landeten wir eines Abends beim Netflix-Film „Miss Undercover“. Der Streifen ist nicht weiter erwähnenswert. Es geht um eine harte, ziemlich schlampige FBI-Agentin (Sandra Bullock), die undercover bei einem Schönheitswettbewerb eingeschleust wird, um einen Terroranschlag zu verhindern. Dazu wird sie von einem Styling-Berater (Michael Caine) innerhalb von drei Tagen soweit fit gemacht, dass sie bei der Miss-Wahl den 3. Platz erreicht. So weit, so unglaubwürdig.

Und doch gibt es einige nette Szenen, besonders wenn die Wahl selbst auf die Schippe genommen wird. So sollen die Kandidatinnen sagen, was ihnen das Wichtigste für unsere Gesellschaft ist. Die Antwort ist praktisch vorgegeben.

Weltfrieden also. So erwartbar wie belanglos.

Eine ähnliche Veranstaltung wie eine solche Miss-Wahl gibt es auch im kirchlichen Bereich. Ihr Titel: Weihnachtsgottesdienste. Darsteller: Die leitenden Bischöfe der evangelischen und katholischen Kirche. Ich lehne mich mal aus dem Fenster und formuliere jetzt schon den Text für die Tagesschau am 24. Dezember 2018:

„Die Kirchen thematisieren in ihren Weihnachtsansprachen besonders die Flüchtlingsfrage und die Missbrauchsfälle in ihren Reihen. Der leitende Bischof der Evangelischen Kirche in Deutschland zeigte sich besorgt über den schwindenden Zusammenhalt in unserer Gesellschaft. Es brauche mehr ziviles Engagement, so der Bischof, damit den demokratiefeindlichen Tendenzen begegnet werden könne. In diesem Zusammenhang dankte er ausdrücklich den Ehrenamtlichen, die sich gerade auch im Bereich der Kirche für die Geflüchteten einsetzen. Der Vorsitzende der deutschen Bischofskonferenz verurteilte noch einmal die Missbrauchsfälle und versicherte, dass die Kirche alles dafür tun würde, für die Opfer einzutreten…“

Ich bin gespannt, ob sich die Bischöfe an mein Drehbuch halten werden. Da ich aber von ihnen zu solchen Gelegenheiten noch nie etwas Überraschendes gehört habe, wird dieses Szenario nicht weit von der Wirklichkeit entfernt sein. Es sollte mich freuen, wenn es anders wird.

Ausgelöst wurden meine Befürchtungen übrigens von einem Artikel, den Bischof Bedford-Strohm in der kirchlichen Zeitschrift „Zeitzeichen“ zum Thema „Musik“ veröffentlichte. Dort tauchten dann Sätze auf wie: „Singen tut der Seele gut … Als Bischof darf ich bei vielen Festveranstaltungen dabei sein … Die Männerstimmen des Männergesangvereins … Das Weihnachtsoratorium … Der Landfrauenchor, der Lieder aus der Heimat singt … Die Kindergartenkinder … der Gospelchor, der eine Begeisterung ausstrahlt … Das Luther-Oratorium … Großer Gott, wir loben dich … Kirchentag … Viele Menschen gewinnen im Singen neue Kraft für den Alltag…“ Der Bischof findet alles super.

Das ist alles nicht falsch, und doch nehme ich es ihm nicht ab. Entweder hat er einen unendlich weiten oder überhaupt keinen Geschmack. Ich persönlich habe schon unsägliche Posaunenchöre und langweilige Festgottesdienste erlebt. Für mich liegen Welten zwischen Fritz Baltruweit und Detlev Jöcker. Mir liegt der Blues näher als die Klassik. Und Kinderchöre gewinnen sehr, wenn mein eigener Sprössling mitmacht.

Natürlich erkenne ich ehrenamtliches Engagement an. Ich habe fantastische Kinderchöre gehört, und das Weihnachtsoratorium hat mich schon zu Tränen gerührt. Aber ich finde bei weitem nicht alles toll, nur weil es von der Kirche kommt.

Wenn alles gleich gültig ist, wird es gleichgültig. Wenn ich nur das Erwartete und Erwartbare sage, werde ich banal und egal.

Denn für den Weltfrieden sind wir doch irgendwie alle.

 

Begrenzte Bedeutsamkeit

Heinrich Bedford-Strohm ist mit dem Reformationsjubiläum zufrieden, Margot Käßmann sowieso, Thies Gundlach auch, wie man auf evangelisch.de hören kann. Friedrich Schorlemmer und Christian Wolff nicht so, wie sie in ihrem Memorandum öffentlich machten. Sie sind „beunruhigt, dass sich die Begeisterung für die Themen des Reformationsjubiläums sehr in Grenzen hält und es in diesem Jahr noch nicht gelungen ist, zum Kern reformatorischer Erneuerung der Kirche vorzudringen“.

Was also wollen sie besser machen als Thies Gundlach, der „Cheftheologe der EKD“, der in einem Artikel der Zeitschrift „Pastoraltheologie“ ebenfalls nach der Relevanz der Reformation gefragt hat? Weiterlesen

* Das Reformationsjubiläum – ein Rückblick

Fast 250 Menschen waren am Reformationsfest in die Verheißungskirche gekommen. Es war ein schöner Gottesdienst – „Balsam für unsere protestantischen Seelen“, schrieb Daniel. Gerne wäre ich dabei gewesen. Für Gottesdienste gibt es einfach keinen Ersatz.

Und mein Eindruck ist: Was dieser Gottesdienst für die Niendorfer Gemeinde gewesen ist, war das Reformationsjubiläum für die evangelische Kirche: Balsam. Aber die Wunde bleibt.

Die Wunde

Mitgliederverlust – Bedeutungsverlust – und demnächst Finanzverlust, so lautete schon die Diagnose vor 20 Jahren. Und man versuchte gegenzusteuern. Die Qualität der Arbeit wurde gesteigert, Strukturen verschlankt und die Werbung professionalisiert. Methoden, die man vor allem aus der Unternehmensberatung kennt.

Das Jubiläum hat davon profitiert. Die Renovierung der Lutherstädte, die Konzerte und Festivals, Bücher und Lesungen –  das hatte und hat Qualität. Und auch die Werbung lief: Lutherbier oder Segensroboter und erst recht der kleine Playmo-Reformator – das war kreativ, schräg und erfolgreich. Luther war Gesprächsstoff. Für diese Zeit. Aber man wollte ja mehr.

Das Jubiläum sollte nun vor allem spirituelle Impulse setzen. Gott neu denken und entdecken. Werte stärken. Einfach gesellschaftlich wieder relevanter werden. Und das ist, soweit ich sehen kann, nicht gelungen. Die Wunde bleibt.

Die Predigt

Der EKD-Bischof Heinrich Bedford-Strohm hat am 31. Oktober in Wittenberg den zentralen Gottesdienst gefeiert. War bestimmt schön. Aber seine Predigt lässt mich ratlos zurück. Ich empfinde sie als eine Aneinanderreihung von Banalitäten und Beschwörungen: „Wir Christen sind auch heute viele, und die Botschaft von der Vergebung und Liebe, die uns trägt, kann auch heute noch unsere Gesellschaft mitprägen … Die Welt braucht das gemeinsame Zeugnis von Christus so dringend! … das Wichtigste ist: dass wir die Liebe selbst ausstrahlen, von der wir sprechen…“ Das ist ja nicht falsch. Aber bin ich der einzige, der damit sonst wenig bis nichts anfangen kann?

Rechtfertigung heute

Bedford-Strohm, Margot Käßmann und unzählige andere haben versucht, die reformatorische Botschaft ins 21. Jahrhundert zu übersetzen. Ich glaube, dass das nicht funktioniert.

Luther hatte Angst vor der Hölle, vor Gott und wohl auch seinem Vater. Er las Römer 1,17 „Denn darin wird offenbart die Gerechtigkeit, die vor Gott gilt, welche kommt aus Glauben in Glauben; wie geschrieben steht (Habakuk 2,4): »Der Gerechte wird aus Glauben leben.« Und er interpretierte: Nicht der Mensch soll Gott gerecht werden, sondern Gott macht den Menschen gerecht. Für ihn eine unglaubliche Befreiung; er machte sie nicht nur zum Zentrum seines Glaubens, sondern zur Theologie überhaupt. Und die lutherischen Theologen bauten sie aus: Die „Rechtfertigungslehre“ wurde zum lutherischen Dogma. Ich selbst bin drauf ordiniert.

Vor 500 Jahren entfaltete diese Lehre eine unglaubliche Wucht, weil sie den Nerv der Zeit traf – religiös, sozial, politisch. Aber die Fragen der Menschen ändern sich, und die Lehre musste angepasst, uminterpretiert und damit verdünnt werden. Heute bedeutet Gnade: Gott liebt dich, wie du bist und beurteilt dich nicht nach deiner Leistung. Das erinnert mich immer wieder an Margarine-Werbung. Oder: Luther ist für mich einer, der zu seiner Meinung steht. Wenn das alles ist… Es ist nicht das, was ich mir unter „Gott neu denken“ vorstelle.

Eine Reformation der Theologie

Einer, der für unsere Zeit immer Gott neu denken wollte, ist Eugen Drewermann. In seinem Buch „Wendepunkte“ mahnt er einen Perspektivwechsel an. „Aus Theologensicht“, schreibt Drewermann, „weiß man, wer Gott ist, was er plant und was er tut, weil er sich selbst geoffenbart hat.“ In der Bibel, in der kirchlichen Tradition, in das eigene Gefühl, je nach theologischer Tradition. Und so kommt man dann auch zu objektiven Aussagen über Gott und die Welt. „Die Wahrheit ist: wir sehen nicht mit Gottes Augen! Wenn Gott sich offenbart, dann ist es, weil er uns die Augen öffnet, daß sein Licht in unsere Seele fällt. Dann heben wir das Haupt zum Himmel gleich den Blumen, die den Blütenkranz zur Sonne wenden.“ Erinnert an Tersteegen, Gott ist gegenwärtig, 6. Strophe.

Schön auch Drewermanns Bild: „Das Christentum der Lehramtsdogmen ist wie ein Teleskop, das all die Zeit falschrum gehalten wurde: statt von der Erde her damit die Sterne zu betrachten, nahm man das Objektiv als Okular und wähnte sich damit an Gottes Statt. Man sah die Erde von den Sternen aus. Man sah nicht Gott, man sah nur alle Menschen – ins Winzige verkleinert!“ Die Dogmen machen den Menschen klein. Die Berührung Gottes öffnet seine Blüten.

Das heißt aber: Theologie müsste sich verabschieden von allgemeinen Aussagen über Gott und die Welt. Sie kann nur existentiell betrieben werden. Und genau das ist auch, nach meiner Meinung, die Kraft von Luthers Theologie. Er hat seine persönliche und ganz existentielle Frage theologisch aufgearbeitet, immer wieder vertieft, verallgemeinert und sein Leben dafür eingesetzt. „Die Erfahrung macht den Theologen“, sagte er. Die Praxis, nicht die Theorie. Die subjektive Unmittelbarkeit, nicht die objektive Analyse. Das machte ihn stark, aber auch sehr, sehr fehlbar.

Luthers Theologie hat mich geprägt, keine Frage. Aber ich bin nicht er. Seine Fragen stellen sich für mich so nicht. Warum sollte ich seine Antworten übernehmen?

Er ist nicht mein Vorbild. Jesus schon. Zumindest wie ich mir Jesus vorstelle. Oder besser: Wie er zu mir spricht, ganz persönlich, und mich öffnet für die Gegenwart Gottes.

 

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Bild: (c) Erik Thiesen – und wie man sieht: Auch bei uns ist Reformation. Und zumindest zeitweise stehe ich fest drauf… Den Hinweis auf Eugen Drewermann bekam ich von Thomas Hirsch-Hüffell über Facebook. Und Daniel ist der Freund und Kollege Daniel Birkner.

Künstlicher Segen?

Ute war in Wittenberg und ist auf den Segens-Roboter getroffen. Und sie erzählte, dass diese persönliche Begegnung sie etwas mit ihm versöhnt hat.

Genau genommen war nicht der Roboter die Ursache, sondern die ehrenamtliche Mitarbeiterin, die sie dort sensibel und freundlich angesprochen hat. Sie erklärte Hintergrund und Möglichkeiten der Installation und deren Grenzen. Das Angebot, den Roboter in den Segen einzubeziehen, war völlig offen. Weiterlesen