Die heiligen drei Könige

„Da Jesus geboren war zu Bethlehem in Judäa zur Zeit des Königs Herodes, siehe, da kamen Weise aus dem Morgenland nach Jerusalem und sprachen: Wo ist der neugeborene König der Juden? Wir haben seinen Stern aufgehen sehen und sind gekommen, ihn anzubeten.“ Nur beim Evangelisten Matthäus steht diese Geschichte, die zu einer der bekanntesten der Bibel werden sollte: die Geschichte von den Heiligen drei Königen. Und wir sehen: Sie waren offensichtlich weder heilig noch drei noch Könige.

Drei wurden sie erst im 3. Jahrhundert, wegen der drei Geschenke, Könige  im 8. Jahrhundert, ihre Namen, Hautfarben und Altersangaben bekamen sie erst im Mittelalter. Und heilig gesprochen wurden sie von der katholischen Kirche nie. Hat es sie überhaupt gegeben?

Die einen sagen so, die andern so. Ich gehöre eher zu den Skeptikern. Für den Historiker ist die Faktenlage außerordentlich dünn, dünner noch als bei den anderen Geschichten von Jesus. Überhaupt ist es schwierig, die Bibel historisch zu „beweisen“, denn archäologische Funde aus der Zeit sind selten. Und für die, die es gibt, gilt die Aussage des Detektivs Phil Marlowe aus Raymond Chandlers „Lebwohl, mein Liebling“: „‚Ein Beweis‘, sagte ich, ‚ist immer etwas Relatives. Ein sehr starkes Überwiegen von Wahrscheinlichkeiten. Und dann ist noch die Frage, wie sehr einen diese Wahrscheinlichkeiten beeindrucken.'“ Aus diesem Grund drehen sich die Diskussionen um die Historizität der Bibel auch bis heute im Kreis. So behauptet der Theologe Armin Baum: „Die Evangelien enthalten keine frei erfundenen Legenden, sondern früheste historische Nachrichten über die Worte und Taten Jesu von Nazareth.“ Der Religionskritiker Richard Dawkins meint dagegen, die Evangelien seien „von Anfang bis Ende frei erfunden und reine Fiktion“.

Viele andere Theologen weisen allerdings darauf hin, dass es den biblischen Autoren nicht darum ging, historische Fakten aufzuzählen, sondern zum Glauben aufzurufen. Fiktion sei für antike Autoren keine Unwahrheit, sondern ein Stilmittel, um eine theologische Wahrheit zum Ausdruck zu bringen (Manfred Diefenbach). Und Klaus Wengst versteht zum Beispiel die Ostergeschichten als „wirkliche Gleichnisse“ und „wahre Geschichten“.

Das klingt kompliziert und arg abgehoben. Ich kann es in meiner Situation allerdings ganz gut nachvollziehen. Die biblischen Erzähler wussten sehr wohl um die historischen Umstände, und die waren damals nicht gut: Besatzung durch die Römer, Ungerechtigkeit, Armut, Krankheit. Und sie erzählten dazu die Gegengeschichte: Von Jesus, der Menschen befreit, heilt und aufrichtet. Diese Geschichten beglaubigen sich nicht durch historische Beweise, sondern durch ihre Wirksamkeit.

Auch unsere objektive Lage ist nicht gut, wenn wir nach den Aussagen der Wissenschaft und Schulmedizin gehen. Wir brauchen die Gegengeschichten, die uns Hoffnung geben. Und die von den Männern aus dem Osten ist eine solche Hoffnungsgeschichte: Sie folgten ihrem Stern und kamen zum Kind, das heilen kann. Davon erzählen ihre Geschenke, Gold, Weihrauch und Myrrhe. Alle drei waren damals anerkannte Heilmittel.

Ob diese Geschichte wahr ist, hängt nicht von ihrer historischen Glaubwürdigkeit ab, sondern ob wir sie glauben können. Und wenn wir sie glauben können, dann kann sie womöglich helfen.

Alles wirkliche Leben ist Begegnung

Predigt in der Heiligen Nacht

Ich war mir nicht sicher, ob ich an Weihnachten wirklich auf der Kanzel würde stehen können. Aber es wurde wahr. Gemeinsam mit Pastor Hendrik Hoever, dem Gospelchor ReJOYce unter der Leitung von Christoph Schlechter und Gudrun Fliegner am Klavier gestalteten wir die Christmette in der Kirche am Markt. Und hier ist die Predigt:

Liebe Gemeinde!

Zu den Wünschen, die wir in den letzten Wochen ausgetauscht haben, gehörte gerne auch einmal: „Ich wünsche dir besinnliche Weihnachten.“ Nun ist der Heiligabend fast vorbei. Und ich fürchte, dass er in den meisten Häusern nicht das war, was wir unter besinnlich verstehen. Vielleicht finden wir ja in einem Gottesdienst Besinnlichkeit. Vielleicht wurde uns besinnlich zumute, wenn wir in der Familie die Weihnachtsgeschichte gelesen oder ein nachdenkliches Gedicht gehört haben. Vielleicht haben wir den Heiligabend aber auch schon aufgegeben, was Besinnlichkeit angeht, und wir hoffen auf die kommenden Tage, auf Besinnung nach dem ganzen Trubel.

Mit Besinnung verbinden wir ja, dass wir zur Ruhe kommen. Dass wir uns besinnen auf das, was Sinn macht und was wirklich wichtig ist – was uns wirklich wichtig ist. Haben wir aber nicht genau das heute Abend gemacht oder zumindest versucht?

Gut, zur Ruhe sind wir bisher vielleicht eher nicht gekommen. Aber dieser ganze Stress: Geschenke einkaufen, Wohnung schmücken, Essen vorbereiten, die ganzen Weihnachtsfeiern – das machen wir doch nicht so einfach zum Spaß. Oder zumindest nicht nur. Sondern weil es uns etwas wert ist. Weil wir es uns wert sind. Weil es für uns Sinn macht.

Zum Beispiel die Geschenke. Seitdem ich denken kann, wird über den Konsum und den Kommerz von Weihnachten geschimpft. Ich finde, das ist ungerecht diesem Fest gegenüber. Wir sind nicht mehr konsum- und kommerzorientiert als auch sonst im Jahr. Wenn wir etwas brauchen oder einfach nur haben wollen, dann kaufen wir es gleich. An Weihnachten aber geht es uns darum, anderen eine Freude zu machen, ihnen etwas Besonderes zu schenken. Nicht immer gelingt es uns, und nicht immer machen wir uns genug Gedanken darüber. Aber wenn es uns einmal glückt, dann war es die ganze Mühe wert.

Oder die Menschen, mit denen wir zusammen feiern. Am liebsten mit der Familie. Weil diese Menschen uns auch meistens am nächsten stehen. Das geht auch ganz gut, besonders wenn die Kinder klein sind. Das wird allerdings oft komplizierter, wenn die Kinder größer werden, eigene Interessen haben, eine eigene Meinung, eine eigene Vorstellung davon, wie ein schöner Weihnachtsabend aussieht. Soll man auf die traditionelle Ente verzichten, nur weil eine Tochter Veganerin ist? Oder wie ist es mit dem gemeinsamen Kirchgang? Wie teuer dürfen die Geschenke sein – und sind sie nicht ohnehin der Ausdruck schlechten Gewissens, dass man sich unterm Jahr nicht umeinander gekümmert hat?

Solche Konflikte können die besinnliche Zeit sehr schnell und effektiv schreddern. Deshalb greifen nicht wenige zu pragmatischen Lösungen: Man trifft sich einfach nicht mehr. Die einen fahren nach Fuerteventura, die anderen feiern bei Freunden. Und Onkel Peter mit seinen skurrilen politischen Ansichten wird ohnehin schon seit Jahren nicht mehr eingeladen.

Es hat ja auch etwas für sich, Weihnachten mal unter Palmen zu feiern. Und ist es nicht irgendwie logisch, dass wir gerade zum Fest der Liebe unangenehmen Diskussionen und gegenteiligen Meinungen aus dem Weg gehen und lieber unter uns bleiben? Ich kann das gut verstehen. In den letzten Monaten habe ich ein paar Diskussionen über Religion oder Politik mit Menschen geführt, die so gar nicht meiner Meinung waren. Wir haben uns nicht gerade gestritten, kamen aber inhaltlich auch nicht zueinander. Und das, obwohl ich die besten Argumente hatte. Fand ich. Aber das fanden die anderen wohl auch.

Und dann passierte es, dass wir manchmal doch noch zueinander kamen. Nicht inhaltlich. Aber auf einer anderen, der persönlichen Ebene. Das war im direkten Gespräch meist leichter als im Internet. Weil wir uns dort eher zeigen konnten: Mir liegt etwas an dir. Du hast zwar völlig skurrile Ansichten, aber du bist nett. Ich will dir nichts Böses und merke, dass du es auch mit mir gut meinst. Wir sind uns begegnet.

„Alles wirkliche Leben ist Begegnung“, meint der Philosoph Martin Buber. Ich glaube, hier liegt auch das Geheimnis und das Ziel von Weihnachten: dass wir uns begegnen. Dass wir uns hinter den Geschenken und Traditionen als Menschen wahrnehmen. Ich glaube, dass hier auch der Schlüssel für den Frieden in unserer Gesellschaft ist: dass wir uns trotz unterschiedlicher, ja manchmal gegensätzlicher Ansichten persönlich gewogen sind.

Nur so kann ich mir auch den ewigen Frieden vorstellen, von dem der Prophet Jesaja spricht – die Worte der Bibel haben wir vorhin gehört, jetzt hören wir sie von ReJoyce.

Prince of Peace (Jesaja 9, 1 und 5-6), hier als Podcast:
ReJoyce:

Ich versuche eine Übersetzung aus dem Englischen: Die Menschen, die in der Finsternis wandelten, haben ein großes Licht gesehen: Licht ist über ihnen angebrochen, den Bewohnern in einem Land, das dunkel ist wie der Tod. Weil ein Kind für uns geboren ist, ein Sohn ist uns gegeben. Es trägt das Zeichen der Herrschaft auf seiner Schulter; Er soll genannt werden wunderbarer Ratgeber, im Kampf Gott gleich, Vater für alle Zeit, Prinz des Friedens. Groß soll seine Herrschaft sein, und grenzenlos der Friede, der Davids Thron und seinem Königtum gewährt wird, mit Gerechtigkeit von nun an für immer. Der Herr der Heerscharen wird dies mit Leidenschaft tun.

Es ist möglich, dass Jesaja selbst durchaus in militärischen Kategorien dachte: dass da jemand kommt, der stärker ist als die furchtbaren Assyrer und die Ägypter; ein zukünftiger König, der sie alle mit der Kraft Gottes besiegen wird. Bis heute brauchen wir ja Polizei und Militär, um Konflikte in den Griff zu bekommen.

Ich glaube allerdings nicht, dass dies Gottes Weg ist. Denn wir haben es bis heute dadurch nicht geschafft, dauerhaft Friede und Gerechtigkeit zu schaffen. Gewalt gebiert nur neue Gewalt, und wirkliche Gerechtigkeit entsteht nur dort, wo der Mensch in seiner Einzigartigkeit gesehen wird. Egal ob menschliche oder Gottes Herrschaft – immer wenn sie mit militärischer Gewalt durchgesetzt werden sollte, war das Ergebnis Leid, Tod und Ungerechtigkeit. Ich glaube, dass Gottes Weg viel persönlicher ist.

Der „Prinz des Friedens“ ist ein kleines Kind. Jesaja sagt von ihm, dass er bereits geboren ist. Und das heißt: Der Friede ist unter uns, aber er muss noch wachsen. Und er wächst, mit jeder Begegnung.

Christen haben den „Prince of Peace“ immer schon mit Jesus identifiziert. Und genauso wie der Prinz muss das Kind in der Krippe noch wachsen. Und als Jesus erwachsen war, hat er kein System von Richtigkeiten aufgestellt und keine Dogmatik entwickelt. Er ist den Menschen begegnet, und diese Begegnung hat sie heil gemacht. Er hat die Menschen ermutigt, an einen Gott zu glauben, der wie ein Vater ist, und dem Leben zu vertrauen. Damit wir im Frieden mit uns und mit den anderen Menschen leben können.

Nun ist diese Welt noch nicht in Ordnung. Selbst in unseren Familien gibt es so manche Bruchstellen, bei den einen mehr, den anderen weniger. Und einige von ihnen sind auch heute wieder aufgebrochen. Jesaja aber macht uns Mut: Der Grund für den Frieden ist schon gelegt. Und Weihnachten erinnert uns auch in diesem Jahr wieder daran, dass das Licht schon in die Welt gekommen ist. Wenn Sie eine Krippe zuhause stehen haben, dann können Sie erkennen, wie das aussehen kann: Menschen ganz unterschiedlicher Herkunft versammeln sich unter einem Dach und kommen gut miteinander aus.

Das wäre eine Weihnachtsbotschaft, die wir gut ins neue Jahr 2018 mitnehmen könnten, jeder und jede Einzelne von uns.

Amen.