Zwischenruf: Homosexualität und Kirche

Im „Zwischenruf“ reagiere ich auf Zeitschriftenartikel, die ich gerade gelesen habe. Manchmal möchte ich einfach Dampf ablassen. 

In den „Zeitzeichen 1/19“ las ich in einem Artikel über das christliche Eheverständnis von Horst Gorski – diese Zeitschrift ist nur für Abonnenten abrufbar, deshalb zitiere ich ausführlicher:

„1996 veröffentlichte der Rat der EKD [eine Schrift unter dem Titel] ‚Mit Spannungen leben. Eine Orientierungshilfe des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland zum Thema Homosexualität und Kirche‘, die unter Vorsitz von Wilfried Härle von einer im Jahre 1994 eingesetzten Ad-hoc-Kommission erarbeitet wurde. Der Text beginnt mit einer Entschuldigung für das Homosexuellen in der Vergangenheit angetane Unrecht. Sodann werden die biblischen Aussagen zu Sexualität und Homosexualität einer gründlichen Prüfung unterzogen. Es zeige sich, dass es keine biblischen Aussagen gibt, die Homosexualität in eine positive Beziehung zum Willen Gottes setzen. Homosexuelle Praxis als solche wird als dem ursprünglichen Schöpferwillen Gottes widersprechend qualifiziert. Angesichts der zentralen Stellung, die das Liebesgebot in der Heiligen Schrift habe, dürfe jedoch auch homosexuelles Zusammenleben nicht von seiner Geltung ausgenommen werden. Dies hebe jedoch den biblischen Widerspruch nicht auf. Die damit gegebene Spannung müsse ausgehalten werden.“

Bis hierher war ich gekommen. Eine ähnliche Argumentation höre ich, mal mit stärkerer, mal mit weniger Ablehnung der Homosexualität verbunden, immer wieder. Als die Nordkirche gegründet wurde, wollte der pommersche Bischof Abromeit das Thema „Homosexualität und Pfarramt“ wieder auf die Tagesordnung setzen. Der nordelbische Bischof Ulrich aber erklärte kategorisch: Über manche Dinge diskutieren wir nicht mehr.

Vor einigen Jahren erhielt ich im Zusammenhang mit einer Taufe einen Anruf einer Frau aus Leipzig. Sie wollte gerne Patin werden, sei aber nicht in der Kirche. Ich erklärte ihr: „In der Tat kann nur Patin werden, wer Mitglied der Kirche ist. Aber wir finden bestimmt eine Lösung.“ Daraufhin meinte sie: „Ich finde Kirche ja prinzipiell gut, und ich glaube auch an Gott.“ Und ich dachte: Das sagen sie alle. Und ich glaube ihnen ja auch, aber es geht trotzdem nicht.

Aber dann sprachen wir weiter, und sie erzählte: „Ich habe hier in Leipzig einen Gottesdienst besucht, und da hat der Pfarrer gesagt: Homosexualität ist Sünde, und deshalb sind Homosexuelle auch keine vollwertigen Mitglieder am Tisch des Herrn. Naja, und weil ich lesbisch bin, bin ich eben ausgetreten.“ Und ich antwortete ihr: „Recht so. Wenn ich schwul wäre, und ein Pfarrer würde das zu mir sagen, hätte ich es genau so gemacht. Ich bin mir nur nicht sicher, ob ich danach überhaupt noch mit einem Vertreter der Kirche gesprochen hätte.“ Und dann erzählte ich ihr von Hamburg: „Einer meiner früheren Pröpste ist bekennend schwul gewesen und jetzt einer der wichtigsten Theologen in der EKD. Und mit der Meinung des Leipzigers Pfarrers stimme ich überhaupt nicht überein.“ Es wurde noch ein gutes Gespräch – und, womit ich überhaupt nicht gerechnet hatte – zwei Wochen später besuchte sie mich und trat wieder in die Kirche ein. – Der „frühere Propst“ ist übrigens derselbe, der auch den zeitzeichen-Artikel geschrieben hat.

Ich selbst bin mit der Vorstellung groß geworden, Homosexualität sei ebenso Sünde wie vorehelicher Geschlechtsverkehr. Dann lernte ich die historisch-kritische Methode kennen. Das heißt: Die Bibel in ihrem historischen Kontext verstehen. Damals, vor zwei- bis dreitausend Jahren, war es einfach die Aufgabe des Mannes, viele Kinder zu zeugen. Es war eine Frage des Überlebens für die Familie, den Clan, das Volk. Wer sich freiwillig aus dieser Aufgabe verabschiedete, versündigte sich an seinen Nächsten. Onan zum Beispiel, ein Enkel des Erzvaters Jakob, „ließ seinen Samen zur Erde fallen“ (1. Mose 38,8-10) – nicht durchs Onanieren übrigens, sondern durch einen Coitus interruptus – und wurde dafür von Gott getötet. Sexualität war keine Privatsache, sondern Dienst an der Gemeinschaft. Das galt nicht nur für biblische Zeiten, sondern im Prinzip noch bis ins vorletzte Jahrhundert hinein.

Keiner wird bestreiten, dass sich Zeiten und Rahmenbedingungen grundlegend geändert haben. Kein Bischof tritt mehr für die Sklaverei ein, obwohl diese Gesellschaftsform für die biblischen Autoren völlig selbstverständlich war. Und ausgerechnet bei der Homosexualität tun wir so, als ob wir mit der Moral von Halbbeduinen die Welt von heute retten könnten.

Die Orientierungshilfe baut eine „Spannung“ auf zwischen dem Liebesgebot und dem Wortlaut der Bibel. Diese Spannung existiert nicht, wenn wir den Wortlaut der Bibel in den Dienst der Liebe stellen. Hat nicht Jesus so etwas immer wieder gefordert?

Im Artikel beschreibt Horst Gorski dann, dass die evangelische Kirche in den vergangenen 20 Jahren große Schritte getan hat auf dem Weg zur Gleichberechtigung von hetero- und homosexuellen Partnerschaften. Aber sie laviert immer noch hin und her. Und ich finde es schon unbefriedigend, dass darüber überhaupt geredet werden muss.

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Beitragsbild von geralt auf Pixabay

 

3 Gedanken zu “Zwischenruf: Homosexualität und Kirche

  1. Christina schreibt:

    Möchte dir und allen Kommentatoren mal ein Buch empfehlen. Weiß nicht wohin damit. Deshalb an dieser Stelle „Feuer auf Erden“ Fritz Binde. Sagt jemandem der Name Fritz Binde was? Fritz Binde – Ein Anarchist wird Evangelist der „Gebildeten“. Ich fand das Buch unheimlich gut. Rüttelt auf. Lässt nachdenken.

    Zwei Kapitel aus dem Buch kann man auf dieser Seite online lesen:

    1. Warum kann der Gebildete nicht der Bibel glauben?

    https://das-wort-der-wahrheit.de/2017/03/warum-kann-der-gebildete-nicht-der-bibel-glauben-fritz-binde/

    2. Was ist wahre Freiheit?

    https://das-wort-der-wahrheit.de/2017/03/1885/

    Gesamtes Inhaltsverzeichnis:

    – Warum kann der Gebildete nicht der Bibel glauben?
    – Im Namen des Gesetztes
    – Wie enthüllt sich das Geheimnis der Person Jesu?
    – Hoch die Freiheit!
    – Religiöse Leute
    – Wonach lohnt es sich zu ringen?
    – Eine notwendige Operation
    – Ein verhängnisvolles Draußen
    – Was ist mächtiger als Sünde?
    – Schicke dich an, deinem Gott zu begegnen
    – Zu spätes Suchen: vergebliches Suchen
    – Unentrinnbar
    – Seelsorgerliche Winke für neue Jesus-Nachfolger

    Vielleicht kommt ja jemand auf den Geschmack.

    Gottes Segen !!! 🙂

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  2. Veronika Hansberg schreibt:

    Ja, das ist im Grunde das, was mich an der politischen Entwicklung in unserem Land – so nenne ich es mal – der letzten ca. vier Jahre so erschüttert. Ich war eigentlich davon ausgegangen, dass „bestimmte Dinge eben nicht mehr diskutiert werden“. Dass es ein flächendeckender Konsens ist, dass z.B,.Behinderte nicht diskriminiert werden, dass Frauen diegleichen Rechte haben wie Männer usw. Diese Dinge haben wir ein für alle Mal hinter uns gelassen, dachte ich. Aber: Nichts haben wir. Diese letzten Jahre haben gezeigt: Alles ist umstößlich, Würde ist und bleibt antastbar. Alles steht immer und immer wieder zur Diskussion und auch zur Disposition. Ich bin erschüttert darüber. Und Dinge wie die oben geschilderten in Leipzig (Sachsen, tut mir leid, aber das ist überzufällig) bei Kirchens tragen zur dieser Destabilisierung der Werte bei. War ich vorher naiv oder was?

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