Nachdenken über Gott

„Wenn dir der Gedanke kommt, dass alles, was du über Gott gedacht hast,
verkehrt ist, und dass es keinen Gott gibt, so gerate darüber nicht in Bestürzung.
Es geht vielen so. Glaube aber nicht, dass dein Unglaube daher rühre,
dass es keinen Gott gibt.

Wenn du nicht mehr an den Gott glauben kannst, an den du früher geglaubt hast,
so rührt das daher, dass in deinem Glauben etwas verkehrt war,
und du musst dich besser bemühen, zu begreifen, was du Gott nennst.

Wenn ein Wilder an seinen hölzernen Gott zu glauben aufhört, heißt das nicht,
dass es keinen Gott gibt, sondern nur, dass der wahre Gott nicht aus Holz ist.“
(Leo Tolstoi)

Mit dem Krebs veränderte sich mein Bild vom Glauben, von Gott. Vielleicht war es auch gar keine Veränderung, sondern eine Intensivierung; die Grundlinien waren schon früher gelegt. Aber die Voraussetzungen hatten sich verändert.

Mein erster Lehrer auf dem Weg war Leonard Cohen: You want it darker. Was ist, wenn der Krebs kein Versehen Gottes war, kein „Ich geh denn mal kurz Kaffee trinken“, während der Teufel den Hiob quält. Was ist, wenn er den Krebs wollte?

Wir kennen diesen dunklen Gott, den Richter und den, der das Leid Unschuldiger zulässt. Martin Luther nennt ihn „deus absconditus“ – den verborgenen Gott. Für den „natürlichen“ Menschen verborgen und unverständlich. Der Glaubende wendet sich dem „deus revelatus“ zu, der sich in Jesus offenbart hat – als derjenige, der die Sünde wegnimmt und den Menschen nur Gutes will.

Für mich wird der Mensch dadurch entmündigt und Gott nicht ernst genommen. Für mich gibt es keinen „lieben Gott“ mehr, einen, der von seinen dunklen Seiten reingewaschen wird.

Widerspricht das aber nicht der gesamten biblischen Botschaft? Ist Gott nicht Liebe, menschenfreundlich und gut?

Ja, auch. Er ist sogar ganz großartig. Wenn er in allem ist und alles in ihm, dann ist sein Wesen ebenso schön und grandios, wie es das Leben eben – auch – ist.

Er ist beides, mal so und mal so, gut und böse, die coincidentia oppositorum (Nicolaus von Kues), das Zusammenfallen der Gegensätze. In der Theorie. Und deshalb in der Praxis vor allem: Unberechenbar.

Wie ich damit umgehen kann, habe ich bei Psychologinnen und Neurobiologen, Ärztinnen und Theologen gelernt. Die Kunst scheint darin zu bestehen, die Realität und eigene Wahrnehmung nicht zu leugnen – und dann die Fähigkeit zu haben, auf das Gute zu schauen.

Unsere Freundin Jutta Seeland (Psychotherapeutin) betont mit Gerald Hüther (Neurobiologe), dass unser Bewusstsein nicht nur unser Verhalten, sondern sogar das Verhalten unserer Zellen beeinflusst. Ärzte sagen, dass nachgewiesenermaßen – neben der Bewegung – eine gute Einstellung eine positive Wirkung hat. Für alle anderen alternativen Therapien gibt es keine ausreichenden Belege.

Giovanni Maio (Arzt) sagt: „Hoffnung ist ein Offensein für das, was kommen wird, und ein Vertrauen darauf, es bewältigen zu können.“ Und Fulbert Steffensky (Theologe): Hoffen ist „zu handeln, als gäbe es einen guten Ausgang“. Schließlich noch Sebastian Murken (Religionspsychologe): „Eine Religion hilft vor allem denen, die stark daran glauben, dass sie ihnen hilft.“

So verstehe ich auch die Botschaft Jesu: Er weiß darum, wie gefährlich das Leben ist. Er weiß um die Gefahr voPsalsssssssssssssssssn Hunger und Krankheit, um Unterdrückung und Folter. Und doch sagt er: Sorget nicht! (Matthäus 5,25ff.) Wenn wir ihn nicht für unzurechnungsfähig halten sollen, dann meint er damit: Schaut auf die hoffnungsvolle Seite des Lebens. Geht nicht auf in den Bedrängungen der Welt. Sucht die gute Seite Gottes als Verbündete.

Es ist also wenig hilfreich, einfach nur auf Gott zu vertrauen und zu glauben, dass er es schon gut machen werde. Weniger „Der Herr ist mein Hirte“ (Psalm 23,1) als vielmehr: „Mit meinem Gott kann ich über Mauern springen.“ (Psalm 18,30)

Ich halte den Psalm 23 immer noch für einen schönen Text, der trösten kann und beruhigen und in den Schlaf wiegen. Aber er trägt mich nicht mehr, wenn es darauf ankommt. Genausowenig wie der Satz, den Margot Käßmann anlässlich ihrer Krebserkrankung gesagt hat: „Ich kann nicht tiefer fallen als in Gottes Hand.“ Ich fürchte: Doch, ich kann. Ich muss nicht. Selbst wenn ich bisher immer gehalten wurde, kann ich beim nächsten Mal durchgereicht werden. Zu vielen ist es schon passiert.

Die Frage, wie ich denn mit einem unberechenbaren Gott umgehen soll, werde ich nicht durch das Fürwahrhalten solcher Glaubenssätze lösen, auch nicht, indem ich über ihn rede, sondern mit ihm. Ganz grundsätzlich sagt Martin Buber dazu: „Wenn an Gott glauben bedeutet, von ihm in der dritten Person reden zu können, glaube ich nicht an Gott. Wenn an ihn glauben bedeutet, zu ihm reden zu können, glaube ich an Gott.“

Im Grunde ist es das Gottesbild der Bibel, besonders des Alten Testaments. Dort wird eigentlich relativ wenig über Gott geredet, dafür umso mehr mit ihm. Einer der für mich wichtigsten Texte steht in 2. Mose 3, die Unterhaltung des Mose mit Gott am Dornbusch. Mose erhält von Gott den Auftrag, die Hebräer aus Ägypten zu befreien. Mose lehnt ab. Alles spricht dagegen, dass er es könnte. Gott besteht darauf. Mose verlangt Garantien. Gott gibt ihm keine. Nur seinen Namen.

Und der lautet eben nicht: „Ich bin, der ich bin“ – ich bin der Ewige, der Herrscher des Himmels und der Erde. Das ist griechisches Denken. Er lautet: אֶֽהְיֶ֖ה אֲשֶׁ֣ר אֶֽהְיֶ֑ה „Ich werde mich als der erweisen, als der ich mich erweisen werde. Mit anderen Worten: Du wirst es nur herausfinden, wenn du es ausprobierst.

Und Mose geht los. Mit nichts an der Hand als den Trick mit der Schlange (2. Mose 4,2-4) und einem Bruder, der zur Not für ihn reden soll. Nicht gerade viel gegen den Herrn der damals bekannten Welt.

Es hätte schief gehen können. Und es ist auch nicht gerade glatt gegangen. Aber die Hebräer konnten Ägypten verlassen.

Schließlich ist er dann doch gestorben, bevor er am Ziel war. Sein Lebenstraum hat sich nicht erfüllt, aber seine Aufgabe hat er bewältigt.

Und ich glaube, genau das ist Leben: Nicht dass wir unsere Träume verwirklichen können, sondern dass wir eine Aufgabe haben und sie bewältigen, jeden Tag neu. Václav Havel hat gesagt: Hoffnung ist nicht die Überzeugung, dass etwas gut ausgeht, sondern die Gewissheit, dass etwas Sinn hat, egal wie es ausgeht.“

 

18 Gedanken zu “Nachdenken über Gott

  1. Ralf Liedtke schreibt:

    Lieber Erik,

    Du schriebst an anderer Stelle (Aufs Leben schauen) als Antwort auf Thomas, Du habest ein anderes Gottesbild. Das mag so sein und führt zu sicher zu anderen persönlichen Deutungen.
    Auch in unseren „Gesprächen“ spüre ich, dass wir Gott persönlich unterschiedlich betrachten. Warum auch nicht! Ich bin näher bei Thomas, der schrieb: „Gott hat uns Menschen zu seinem „Ebenbild“, zu einem Gegenüber auf Augenhöhe geschaffen. Darin liegt unsere unantastbare Würde und auch eine persönliche Freiheit, die mit einer unendlich großen Verantwortung verbunden ist. Seitdem hat er sich – im Prinzip – wieder verabschiedet, weil er alles in unsere Hände übergeben hat“.

    Wenn Du aus dieser Beschreibung heraus Gott als einen „unbewegten Beweger“ ableitest, der nur „außerhalb unserer Welt“ existiert, denn wo sollte er dann, in Nichts?, überzeugt mich diese Argumentation nicht.

    Gott kann sich sehr wohl zurückziehen und muss dabei nicht unbewegt zuschauen. Er ist da, und der Dialog mit ihm bleibt zu jeder Zeit möglich, direkt oder auf dem Wege über andere Menschen oder auch Teile der Schöpfung. „Gott ist ein Tätigkeitswort, das erst Wirklichkeit wird, wenn ich ihn ausprobiere, in die Beziehung“, sehr schön und treffend von Dir beschrieben.

    In Deinem Gottesbild ist Gott „mal so, mal so, gut oder böse, das Zusammenfallen von Gegensätzen. In der Theorie. Und deshalb in der Praxis unberechenbar“. Ich sehe das anders. Für mich ist es eher die Dialektik des Lebens, die unberechenbar und von vielen Zufällen abhängig ist, die wir meist nicht steuern können. Und die Menschen selbst! Für mich „vermenschlicht“ diese Annahme Gott. In der Konsequenz kann mir dieser Gott Angst machen oder ich kann ihm den „schwarzen Peter“ zuschieben. Dann mache ich ihn zum „Sündenbock“
    .
    Vielleicht überfordert uns Menschen diese „geschenkte“ Verantwortung Denn wir werden seinem „Ebenbild“ nur selten gerecht und handeln immer wieder fehlbar. Sind nicht wir es, neben der „Dialektik des Lebens“, die unberechenbar sind. Wenn ich Gott wäre („unzulässige“ Personifizierung, aber trotzdem mal angenommen) würde ich immer wieder den Kopf schütteln und an den Menschen verzweifeln. Straft es uns wegen dieser Unvollkommenheit? Nein, er schenkt uns immer wieder seine Liebe, geduldig und verständnisvoll. Wie ein guter Vater.

    Eugen Newermann schreibt: „Um zu verstehen, wie Gott sich offenbart in Menschen, muss man begreifen, was Verzweiflung ist – und wie sie sich von Gott her wandelt in Vertrauen“ (Wendepunkte). In seiner Offenbarung öffnet er uns die Augen, so „dass sein Licht in unsere Seele fällt.“ Gott ist nicht sichtbar, er ist in uns selbst. Wir können nur über uns selbst zu ihm einen wirklichen Zugang finden, selbstbestimmt, mit Vertrauen, in Würde und großer Freiheit. Gott ist also allgegenwärtig in uns und wir stehen in der Verantwortung, unser Leben bestmöglich zu gestalten. Gott spricht in unserem Inneren in dem, was wir fühlen, denken, wissen, spüren. Er redet in unser Herz hinein, wir müssen es ihm nur öffnen.

    Du schreibst zum Abschluss: „Und ich glaube, genau das ist Leben: Nicht das wir unsere Träume verwirklichen können, sondern dass wir eine Aufgabe haben und sie bewältigen.“ Das ist mir persönlich zu wenig, vielleicht typisch protestantisch, vielleicht Deiner besonderen Situation geschuldet? Ich versuche meine Aufgaben im Leben bestmöglich zu lösen. Aber meine Träume lasse ich mir nicht nehmen. Und seitdem ich einen Flügel zu Hause stehen habe, ist ein Jugendtraum in Erfüllung gegangen.

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    • gebrocheneslicht schreibt:

      Lieber Ralf,

      wir treffen uns in manchen Deiner Aussagen, z.B. Gott ist also allgegenwärtig in uns. Und wenn es möglich ist, die eigenen Träume zu verwirklichen, bin ich mit dabei. Sie waren auch immer wieder Meilensteine auf dem Weg, meine Aufgaben in dieser Welt zu erfüllen. Beides – Träume und Aufgaben – müssen sich nicht ausschließen, aber wenn es darauf ankommt, kommt es mir auf die Aufgabe an.

      Worauf ich aber hinaus will, hat Bonhoeffer ausgedrückt in seinem geheimnisvollen Satz: Einen Gott, den es gibt, gibt es nicht. In der Bibel steht auch: Gott schuf den Menschen nach seinem Bilde – und nicht: Gott ist und sieht aus wie der Mensch. Die Dialektik oder auch das Paradox besteht darin, dass Gott kein Objekt, sondern reines Subjekt ist und doch von uns angeredet werden und Gegenüber sein kann.

      Navid Kermani sagt in seiner Rede vor dem Bundestag zum 65. Jubiläum des Grundgesetzes:

      Einem Paradox ist notwendig der Rätselcharakter zu eigen, ja, es hat dort seinen Platz, wo Eindeutigkeit zur Lüge geriete. Deshalb ist es eines der gängigsten Mittel der Poesie.

      Und dann wendet er es auf die ersten Artikel des GG an. Sehr spannend, sehr poetisch und der religiösen Sprache sehr nahe.

      Zurück zu Gott: Ich glaube nicht, dass er sich zurück gezogen hat. Er ist immer und überall gegenwärtig. Der Mensch kann die Kommunikation verweigern – und immer, wenn auch nur eine Seite die Kommunikation verweigert, findet sie nicht statt. Wo sie aber stattfindet, ist es immer der offene Dialog. Gott muss sich nicht zurückziehen, um dem Menschen die Freiheit zu geben. Das würde ja bedeuten, dass er nichts anderes als befehlen könnte. Ich glaube vielmehr, dass auch die „göttlichen Gesetze“ der Bibel Suchbewegungen des Menschen nach einer angemessenen Wirklichkeitsbewältigung sind und, wenn sie sich bewährt haben, „göttlich“ genannt werden.

      Aber vielleicht sind wir selbst an dieser Stelle nicht so weit auseinander wie es auf den ersten Blick scheint. Den Rückzug Gottes habe ich mit dem deistischenVerständnis verbunden: Gott hat die Welt erschaffen, sich dann aber zurückgezogen und den Naturgesetzen die Ordnung der Welt überlassen.

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      • Ralf Liedtke schreibt:

        Lieber Erik,

        auch ich empfinde viel Gemeinsames, aber auch Trennendes in unseren Gedanken. Doch warum auch nicht? Schlimm wäre, wenn wir uns die Berechtigung und die für uns als individuell empfundene „Wahrheit“ absprechen würden.

        Wir argumentieren mitunter für mich empfunden auf unterschiedlichen Ebenen, was es für mich schwierig macht, den Kern besser zu erhellen. Natürlich sprichst Du auch von Dir, wirfst Deine berechtigten Zweifel auf, aber versuchst auch Deine Meinung, dann eher „religions-wissenschaftlich“ zu begründen. Und zerstreust für mich den Zweifel anderer, der Dich eigenlich selber treibt. Bleibst auch konkreten Fragen und Zweifeln für mich empfunden offen.

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  2. Thomas schreibt:

    Ihr Lieben, ich kann zutiefst die Gedanken von Ralf nachempfinden und nachvollziehen. Mir geht es persönlich einfach nur darum, ehrlich festzustellen, dass das jeweilige Gottesbild eine sehr individuelle und manchmal auch willkürliche Setzung ist – und wenn nicht unsere eigene, dann diejenige von Menschen, die ihr Gottesbild als normsetzend an die großen Kirchen weiter gegeben haben.

    Es gibt einen Gott oder es gibt ihn nicht – wer will im Ernst das beurteilen ? Argumente dagegen oder dafür sind doch wirklich nicht verobjektivierbar und schon gar nicht zu verallgemeinern. Ich glaube schon, dass es neben der naturwissenschaftlich erklärbaren Realität auch eine „gefühlte“ Wirklichkeit gibt – aber sie bleibt doch sehr persönlich und sollte nicht verallgemeinert werden.

    Es leben in uns Träume, Hoffnungen, Visionen von gelingendem Leben, die ich sehr ernst nehme – und im Grunde sind für mich die unterschiedlichen biblischen Texte aus unterschiedlichen Situationen und Epochen Ausdruck der großen menschlichen Hoffnung nach gelingendem Leben.

    Als junger Mensch haben mich die Worte Dorothee Sölles sehr bewegt, als sie sagte, dass nach Ausschwitz die Rede von einem allmächtigen Gott nicht mehr möglich ist ! Da hilft auch alles Lamentieren und ausgeklügelte theologische Argumentieren nichts ! Menschen und auch ein Gott, die hier zugeschaut haben und nicht eingegriffen haben, haben jedes Recht verwirkt, sich auf Gott zu berufen oder sich selbst als Gott darzustellen. Und so ist es ja munter weitergegangen in der Geschichte unserer Erde… Und trotzdem habe ich immer wieder das Gefühl, dass im Leben einzelner Menschen etwas „göttliches“ aufleuchtet in der Art und Weise, wie sehr sie der Liebe, der Gerechtigkeit, der Menschenfreundlichkeit – vielleicht Gott selbst – treu geblieben sind !

    Einer meiner Söhne sagte mir bei einem gemeinsamen Besuch in Jerusalem und der Westbank : Ich verstehe es nicht und ich brauche es nicht – Euer ständiges Gerede von Gott ! Ich brauche keinen , der für mich stirbt ! Ich kann sehr wohl die Verantwortung für mich und auch die Momente persönlichen Scheiterns übernehmen ! Und ich brauche auch Euer „Jenseits-Gerede“ nicht ! Irgendwann muss doch einmal Schluss und gut sein ! Hoffentlich haben wir dann etwas Konstrukives aus unserem Leben gemacht ! Sein Lieblingswort – er ist kirchlich und gesellschaftlich sehr engagiert wie seine Geschwister – ist jenes von Albert Schweitzer : „Das einzig wichtige im Leben eines Menschen sind die Spuren der Liebe, die er im Leben anderer Menschen hinterläßt !“

    Diese Worte haben mich doch sehr verunsichert …

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    • gebrocheneslicht schreibt:

      Lieber Thomas,

      heißt es dann, dass „Gott“ aufgeht in Nächstenliebe? Dann brauchen wir in der Tat die Konstruktion „Gott“ nicht wirklich, oder?

      Ich bleibe bei Buber hängen: Die eine Ebene ist die Ich-Es-Welt. In dieser Welt reden wir über etwas: Wir definieren Gott, beschreiben ihn, stellen ihn uns vor. Er ist der Allmächtige, der uns sagt, wo es lang geht – oder auch nicht, dann muss er sich aber auch zurückziehen. Er stirbt für uns, an diesem „Fakt“ können wir uns dann festhalten, das ist dann die Garantie für unsere Erlösung. Er ist unsere Hoffnung, weil er uns auffängt. So wird Theologie betrieben, so ist im Prinzip der Ansatz einer Predigt: Ich sage euch jetzt einmal, was Sache (!) ist.

      Die andere Seite ist die Ich-Du-Welt. Ich erfahre Gott nur, wenn ich mit ihm rede. Ralf fragt nun zu recht: Wie geht das, woran merke ich, dass es Gott ist und nicht meine Einbildung? Genau das fragte ich in den Exerzitien, und der Pfarrer meinte: Probieren Sie es aus. Gehen Sie in den Meditationsraum und beten Sie. Und ich ging und schaute die Wand an und dann das Kreuz in der Ecke, und ich redete. Ich tat so, als ob es Gott gebe. Und es passierte etwas. ich weiß nicht was, und natürlich weiß ich bis heute nicht, ob Gott irgendwo da war. Aber ich habe mit ihm geredet! Einbildung? Irgendwie schon.
      Das ist auf derselben Ebene, die Steffensky in Bezug auf die Hoffnung beschreibt:

      Sich um die Gewissheit des guten Ausgangs nicht zu kümmern und zu tun, als sei es schon sicher, dass unserer Arbeit Erfolg beschert ist.

      Auch eine Einbildung. Oder die Liebe. Es ist doch wurscht, ob es sie gibt. Aber wenn wir lieben, sagen wir ausgerechnet zu diesem einen Menschen: You’re the one and only. Und nur wir sagen es zu diesem einen Menschen. Wenn das noch ein zweiter sagen würde, gäbe es in der Regel ein Problem. Das spricht doch auch sehr für Einbildung, oder?

      Die Ich-Du-Welt ist durch und durch subjektiv und deshalb vom Prinzip her nicht beschreibbar. Das macht es ja so kompliziert.
      Eine Beziehung baut zwar auf vorherigen Erfahrungen auf, aber sie „ist“ nicht einfach, sondern muss immer wieder neu gelebt werden. Wie schnell Beziehungen ins Nichts versinken können, erleben wir. Noch mehr aber, wie Beziehungen eine wunderbare Macht entfalten, geradezu explodieren.
      Diese Ich-Du-Welt lässt sich nicht beschreiben, sondern nur erzählen.

      Auf diesem Hintergrund wird es interessant sein, was mir zur Predigt am 24. März einfallen wird: Jeremia beklagt sich, dass Gott ihn überredet und verführt habe, Schrecken zu predigen, und ihm die Zuhörer Schreckliches tun, das er dann wieder seinen Zuhörern wünscht. An Jer. 20 kaue ich sehr.

      Was mir gerade einfällt: Vielleicht rede ich mal mit Jeremia selbst statt nur über ihn nachzudenken. Aus manchen Gesprächen kann man ja noch was lernen…

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  3. Ralf Liedtke schreibt:

    Ja, Ihr Lieben, es freut mich sehr, dass meine spontanen Gedanken ebenso spontane Reaktionen bei Euch ausgelöst haben. Ich habe es fast erwartet, mehr noch erwünscht. Mir scheint, dies Thema ist für uns in unserem jeweiligen Leben ein ganz elementares. Es geht nicht um falsch oder richtig, wahr oder unwahr. Es geht um uns ganz persönlich, so wie wir in unserer Individualität sind, um unsere ganz eigenen Gedanken, Gefühle, Hoffnungen, Ängste oder auch Träume.

    Und ist es nicht schön, dass wir uns so offen darüber austauschen, uns akzeptieren können im Gemeinsamen wie Unterschiedlichen und es offensichtlich wechselseitig als Bereicherung oder Ergänzung zu uns empfinden? Mir tut das gut und am Liebsten würde ich mit Euch jetzt gemeinsam an einer ruhigen Stelle auf das unendliche Meer schauen und unsere Gedanken und Gefühle kreisen lassen.

    Lieben Dank Euch beiden!

    PS: Lieber Thomas, wenn Du magst, schicke mir Deine Kontaktdaten. Ich fände es wirklich schön, wenn wir uns auch mal direkt kennenlernen würden (ralf.liedtke.pep@t-online.de oder einfach 0172 423 3837).
    Auch wenn die Worte Deines Sohnes verunsichert haben, sind sie nicht auch wirklich authentisch und zeugen sie nicht auch von einer Reife, auf die Du stolz sein könntest?

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  4. Thomas schreibt:

    Ja, so ist es, lieber Ralf … So empfinde ich es auch … Wir sind eben „Kinder der Aufklärung“ , haben den Ausgang des Menschen aus der selbstverschuldeten Unmündigkeit durchlebt – ob nun Christ oder nicht ! Ein Zurück gibt es für den modernen Menschen wohl nicht mehr – und wie selbstverständlich gesetzte Prämissen werden nicht mehr reaktionslos hingenommen … Ich melde mich ganz sicher in den nächsten Tagen !

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    • gebrocheneslicht schreibt:

      Ich mische mich mal in Euren Dialog, denn mir ist wieder Steffensky eingefallen. Diesmal zu Aufklärung und Vernunft. Natürlich können wir dahinter nicht zurück. Aber wir sollten ihr auch nicht zuviel zutrauen. Steffensky schreibt:

      Der Glauben braucht seine hinkende Schwester, die Vernunft, diese schöne, kühle Gefährtin. Es ist nicht die Aufgabe der Vernunft, alles zu legitimieren, was der Glaube sagt. Sie steht oft schweigend und staunend vor der Kühnheit und der Leidenschaft des Glaubens. Aber es ist ihre Aufgabe,diesen Glauben vor den größten Fehltritten zu bewahren und seine Bedenkenlosigkeit zu Fall zu bringen.

      Der Glaube lässt die Vernunft hinter sich, wenn es um das Wesentliche geht – die Begegnung.

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  5. Ute Klingwort-Finster schreibt:

    Und wenn wir nun alle in Gottes Hand fallen – ganz am Ende? Und wenn Gottes Hand groß genug für uns alle ist?
    Sollte unser Leben mit dem Tod nicht zu Ende sein, dann wäre doch alles möglich.
    Wir wissen es nicht. Leider, leider. Aber ich möchte es so gern hoffen. Nicht nur für mich und alle, die mir wichtig sind (und das sind viele!!) , sondern besonders für alle, die im Leben zu kurz gekommen sind. Was ist denn das sonst für ein Gott.

    Ich habe den Eindruck, wieder ganz von vorn anzufangen mit meinem Nachdenken über Gott…

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    • gebrocheneslicht schreibt:

      Ja, liebe Ute, darin besteht ja gerade unser Glaube: Zu hoffen, als ob es einen guten Ausgang gäbe. Und zu erfahren: Die Hoffnung trägt, sie wird gestärkt. Und dann wieder die anderen Erfahrungen, die die Hoffnung schreddern. Wir hoffen, wir glauben, wir stärken uns. Wir erfahren Wunder – aber wir haben sie nicht. Gott gibt uns nur soviel, wie wir gerade jetzt brauchen, nicht mehr, sagt Bonhoeffer, damit wir uns nicht auf uns, sondern ganz auf ihn verlassen. Deshalb haben wir auch keine Botschaft, die wir weitergeben könnten. Wir können nur helfen zu hoffen, mit anderen und für andere hoffen. Und mit Jesus den Weg bis zu Ende gehen. Neugierig, was dann noch kommen wird.

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  6. Thomas schreibt:

    Lieber Erik, diese Zeilen oben an Ute kann ich natürlich gut nachvollziehen. Nur ganz ehrlich die Frage : Ist es denn so negativ, wenn ein Mensch auf sich selbst vertraut oder die lieben Menschen, die ihn umgeben – sofern es diese denn in seinem Leben gibt ? „Gott gibt uns nur soviel, wie wir gerade brauchen, nicht mehr, damit wir uns nicht auf uns, sondern ganz auf ihn verlassen !“ Das ist ja – sehr sarkastisch gesagt – eine ganz ausgeklügelte Masche, andere an sich zu binden und nicht aus dem göttlichen Umklammerungsgriff zu entlassen ! Zuckerbrot und Peitsche ! Hier kommt bei mir der Verdacht auf, dass mit einem solchen Gottesbild aber auch alles unternommen wird, den Menschen auf keinen Fall erwachsen werden zu lassen, sondern in einer dauerhaften Bindung zu halten.

    Liebe Ute, mir geht es immer wieder mal wie Ihnen : dieses Gefühl, wieder ganz von vorne anzufangen in meinem Nachdenken über Gott. Auf jeden Fall beunruhigt es mich zunehmend, wie die Theologie von „selbstverständlichen“ Voraussetzungen ausgeht, die für viele überhaupt nicht so selbstverständlich sind, sondern – gelinde gesagt – einfach nur Postulate sind …

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  7. Ralf Liedtke schreibt:

    Nachdenken über Gott hört für mich nie auf! Warum auch!

    Weil, lieber Thomas, da bin ich bei Dir, es zu viel scheinbar gültige Postulate gibt, die nicht selbstverständlich sind, weil sie letztlich aus menschlicher Feder stammen. Daraus entstehen Zweifel, die zu Fragen führen. Auf manche finden sich Antworten, andere bleiben offen. Aber auch zeitweilige Antworten können neue Zweitel aufwerfen.

    Und mit dem Postulat Bonhoefers habe ich persönlich große Probleme, es ist nicht mein Gottesbild, was es ausdrückt. Ich kann es nachvollziehen, wenn ich es in den konkreten historischen Zeitrahmen und seine innere Befindlichkeit setze. Aber es ist mir kein Wegweiser oder Ricjtschnur.

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  8. Ute Klingwort-Finster schreibt:

    Lieber Thomas, bei Bonhoeffer würde ich davon ausgehen, dass er sich auf eigene Erfahrungen bezieht – in Untersuchungshaft, voller Sehnsucht nach Freiheit, schwankend zwischen Hoffnung und (wie sich herausstellt: berechtigter) Angst vor dem Tod, nach außen hin den tröstenden Seelsorger darstellend, gleichzeitig innerlich voller Selbstzweifel. Dermaßen zerrissen, führt seine Gotteserfahrung ihn ja gerade zu Aussagen wie: Wir leben vor und mit Gott ohne Gott, wir müssen uns auf eine gott- und religionslose Welt einstellen. Wir müssen mündig werden (als Kinder der Aufklärung…)!
    Da ist Gott gerade nicht der „deus ex machina“, der immer dann aus dem Kasten springt, wenn man ihn braucht, der uns wie Marionetten führt, der uns kleinhält. der liebe und der strafende Herr. Wir sollten besser nicht mit ihm „rechnen“.

    Die Theologie ist, so verstehe ich sie, eine Geisteswissenschaft, die mithilfe bestimmter Methoden zu bestimmten Ergebnissen kommt. Glaube und Theologie sind zweierlei – oder?

    Gestern Abend sind wir zufällig in die „Markus-Lanz“-Sendung hineingestolpert und waren zutiefst gerührt von den beiden (einzigen) Gästen. Klaus von Dohnany und Giovanni di Lorenzo tauschten sich über ihre Väter bzw. Großväter aus, die als Gegner des NS-Regimes ein ähnliches Schicksal teilten. Dietrich Bonhoeffer war ja Dohnanys Onkel (Bruder seiner Mutter).

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  9. gebrocheneslicht schreibt:

    Lieber Thomas, lieber Ralf, Ihr beide könnt Euch wiederfinden in dem Gedanken

    „Gott hat uns Menschen zu seinem „Ebenbild“, zu einem Gegenüber auf Augenhöhe geschaffen. Darin liegt unsere unantastbare Würde und auch eine persönliche Freiheit, die mit einer unendlich großen Verantwortung verbunden ist. Seitdem hat er sich – im Prinzip – wieder verabschiedet, weil er alles in unsere Hände übergeben hat“.

    Ich steige ein. Ich bin Eurer Meinung. Und ich erhöhe: Wir streichen „im Prinzip“. Die Welt, wie wir sie sehen, läuft nicht nach den Gesetzmäßigkeiten irgendeines Gottes, sondern nach den Naturgesetzen – denen, die bekannt sind und denen, die noch entdeckt werden. Und auch wenn Menschen nie alles entdecken werden – für das Unbekannte brauchen wir keinen Platzhalter. Im Gegenteil, er hindert uns nur im Erkenntnisprozess. Und ich erhöhe noch einmal: Was für die Zukunft gilt, gilt auch für die Vergangenheit. Dass wir Gott noch als Schöpfer bezeichnen, ist unser Zugeständnis an unsere Tradition und vielleicht auch ein bisschen Mitleid. Aber im Grunde wissen wir: Die „Schöpfung“ und unsere Würde brauchen keine göttliche Begründung. Sie brauchen gar keine Begründung, wir können sie selbst setzen. Eine göttliche Begründung braucht nur, wer Macht ausüben und etwas gegen andere Menschen durchsetzen will.

    Das war aber im Grunde auch schon so zur Zeit des Alten Testaments. Die Zehn Gebote sind nicht vom Himmel gefallen oder einem Gott geschrieben und Mose übergeben worden. Sie sind das Ergebnis eines langen Prozesses der Gesetzes- und Normenfindung, der das Überleben in der Halbnomadenwelt gut 1000 v.Chr. sicherte. In den letzten Jahrgängen habe ich ihn mit Konfis regelmäßig durchgespielt. Und wir sind, denke ich, alle der Überzeugung: Homophobie ist abzulehnen, auch wenn sie in der Bibel manifest ist. Es gibt keine „ewigen Gesetze“.

    Geht Ihr diesen Weg mit?

    Als ich diesen Weg, es war noch im Studium, gegangen war, fühlte ich mich zum ersten Mal richtig frei. Und dieses Gefühl möchte ich nie mehr missen. Es war meine persönliche Aufklärung, der Weg aus der (selbstverschuldeten?) Unmündigkeit.

    Aber dann bekam ich plötzlich ein Gefühl: Gott fehlt (Martin Walser). Zunächst hatte ich das Gefühl, von meinen eigenen Wurzeln abgeschnitten worden zu sein. Und dann war ich ja weiterhin Theologiestudent auf dem Weg ins Pfarramt. So ganz ohne Gott wäre das schwierig geworden. Aber es fehlte auch etwas in meinem Herzen.
    Und ich machte mich auf die Suche nach dem Gott, der mir meine Freiheit lässt und vielleicht sogar selbst in die Freiheit führt. Ich suchte ihn in der Bibel und fand dort unzählige Art und Weisen zu glauben. Und ich hatte das Gefühl, dass er irgendwie in allen Buchstaben und allen Gedanken war, die das eine sagten und das Gegenteil auch. Aber je genauer ich hinschaute und analysierte, desto mehr verflüchtigte sich dieser Eindruck. Gott verflüchtigte sich, wohin ich auch schaute in der Welt.

    Das war meine erste Reise zu Gott.

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    • gebrocheneslicht schreibt:

      Auf meiner zweiten Reise schaute ich auch auf mich selbst. Ihr schreibt

      Gott ist nicht sichtbar, er ist in uns selbst. Wir können nur über uns selbst zu ihm einen wirklichen Zugang finden, selbstbestimmt, mit Vertrauen, in Würde und großer Freiheit. Gott ist also allgegenwärtig in uns und wir stehen in der Verantwortung, unser Leben bestmöglich zu gestalten. Gott spricht in unserem Inneren in dem, was wir fühlen, denken, wissen, spüren. Er redet in unser Herz hinein, wir müssen es ihm nur öffnen.

      und

      Ich glaube schon, dass es neben der naturwissenschaftlich erklärbaren Realität auch eine „gefühlte“ Wirklichkeit gibt – aber sie bleibt doch sehr persönlich und sollte nicht verallgemeinert werden.

      Und auch da gehe ich mit. Allerdings konnte ich auch hier ihn nicht identifizieren. War das, was ich hörte, Gottes Stimme oder nicht? Bei Ignatius hoffte ich Kriterien zu finden für die „Unterscheidung der Geister“ – und fand gerade einmal vage Richtlinien. Und ich merkte: In der Begegnung mit Gott gelten andere Richtlinien als die der Eindeutigkeit und Logik. In der Begegnung kann das eine Wort heute dies und morgen das Gegenteil bedeuten. Weil Worte nicht in erster Linie dazu da sind, Informationen auszutauschen, sondern eine Beziehung zu begründen und zu festigen und Vertrauen zu stiften. Es ist wie in der Liebe. Der Satz „Ich liebe dich“ will nicht als Information aufgefasst werden, sondern eine Beziehung begründen und festigen, aber auch vortäuschen. Als Jesus rief „Mein Gott, warum hast du mich verlassen“, wünschte er keine Diskussion über die Theodizeefrage. Und ich fragte weiter, nach welchen Regeln denn diese Welt der Gottesbegegnung spielt, und fand Hinweise bei Bruno Latour, Martin Buber und vielen anderen.

      Und immer machte ich die Erfahrung: Je genauer ich auf Gott schaute, versuchte, ihn zu identifizieren, zu analysieren und zu beobachten, desto mehr entzog er sich. Er verhält sich anders als ein Ding, das es gibt. Deshalb kann ich so viel mit Bonhoeffers „Einen Gott, den es gibt, gibt es nicht“ anfangen.

      Gott konnte ich allenfalls erahnen. Und diese Ahnung war von Einbildung nicht wirklich zu unterscheiden. Aber sie eröffnete mir Welten, machte das Leben erst sinnvoll und reich. Mein Leben! Andere mögen das ganz anders empfinden. Gott begegnete ich nur – in der reinen Begegnung. Keine Gestalt auf der anderen Seite, die dann gleichzeitig meine Seite war, ich konnte es nicht unterscheiden.

      Und wem begegnete ich? Mir selbst, dem Leben, meiner Aufgabe, meinem Sinn… Und ich fragte, natürlich, warum mir das Leben – und damit Gott selbst – diesen Krebs geschickt hat. Und bekam keine befriedigende Antwort. Nur die Aufforderung, diese Aufgabe zu bewältigen. Und ich fragte, wie Mose, nach Hilfsmitteln. Sowas wie Mut und Hoffnung und Kraft. Und „Gott“ sagte: Geh erst einmal los, dann bekommst du genug. Und ich ging los und bekam. Aber nie auf Vorrat. Das Kontingent Hoffnung, was ich gerade mal zusammengeklaubt hatte, löste sich spätestens beim nächsten PET/CT-Ergebnis oder auch nur bei Rückenschmerzen in Luft auf. Und ja, ich will es anders, aber ich bekomme nicht mehr. Es ist anstrengend, weil ich keine Kraft habe über diesen Tag hinaus. Und so kam ich wieder auf Bonhoeffer: Gott gibt uns nur soviel, wie wir gerade brauchen. Warum macht er das? Vielleicht, damit wir Vertrauen lernen? Seht die Vögel unter dem Himmel…

      Alle diese Erfahrungen machte ich nur, nachdem ich selbst losgegangen war. Wäre ich auf der Couch sitzen geblieben und mich gleich in die Situation ergeben („Herr, mir geschehe, wie du willst“), wäre nichts weiter passiert. Aber ich bekam eine Aufgabe. Diese Aufgabe war nahe bei dem, was mir immer schon viel Spaß gemacht hat. Insofern verwirkliche ich auch jetzt einige meiner Träume. Aber damit habe ich Glück gehabt. Ich glaube, dass das Leben kein Wunschkonzert ist. Genauer: Mein Leben. Gerne hätte ich im Ruhestand das Haus am See bewohnt, wäre die Route 66 gefahren, zum Tadsch Mahal und hätte dies und jenes gemacht. Vielleicht ist das eine oder andere noch drin. Aber es ist nicht mein Lebensziel. Und nicht das, was mir Kraft und Energie und Spaß gibt. Deshalb musste ich unbedingt auf die Kanzel und sitze hier am PC.

      Es sind zwei lange Kommentare geworden, länger als so mancher Blogpost. Und Ihr könnt mir bei Gelegenheit verraten, ob Ihr dabei geblieben oder wo Ihr ausgestiegen seid…

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  10. Ralf Liedtke schreibt:

    Lieber Erik,

    um es gleich vorweg zu sagen: ich bin mit einem gewissen auch freudigen Staunen dabei geblieben, also nicht ausgestiegen. Lieben Dank für Deinen wirklich gelungenen Versuch des Verstehens. Ich fühle mich in meinen Gedanken verstanden und freue mich auch, dass Du sie in weiten Teilen „mitgehen“ kannst.

    Meine erste Reise weist durchaus Ähnlichkeiten auf, nur begann sie zeitlich viel, viel später. Sie führte mich zu einem Wiedereintritt in die Institution Kirche. Und es war aus heutiger Sicht betrachtet nicht diese Institution, die meine Neugierde und mein Interesse wieder erweckte. Es waren konkrete Menschen wie Du, denen ich begegnete, durch die ich im Religiösen mit mir selbst Kontakt aufnahm und mich drängenden Fragen stellte, die im Laufe der Jahre ein Eigenleben verstärkt hatten. Und es war das Gefühl, dass „Gott“ auf diese Weise mit mir Kontakt aufnahm, „anwesend“ war, zu einem Zeitpunktals ich ihn für mich wollte und brauchte.

    So verstärkten sich ursprüngliche Gefühle und Gedanken, meine Vorstellung über Gott „schwankte“ und auch mir erging es so, dass ich ihn nicht wirklich fassen konnte.Doch je mehr ich über mich, mein Leben, meine Aufgaben und Rollen nachdachte und je stärker ich in diese eigene subjektive „Innerlichkeit“ ging, um so mehr hatte ich das Gefühl, etwas Neues zu entdecken. Das gilt bis heute und ich erahne immer noch so viel Geheimnisvolles, was sich mir vielleicht einmal öffnet, vielleicht auch nicht. Letztlich hängt hier vieles von mir selbst ab.

    Bezüglich Deiner dritten Reise, wenn ich das richtig verstanden habe, geht es mir partiell anders. Aber meine Lebenssituation ist auch eine andere, so dass ich letztlich glaube, dass diese uns auch subjektiv prägt, auch in unserem individuellen Nachdenken über Gott. Ich habe eigentlich nie wirklich versucht, Gott zu identifizieren oder zu analysieren. Mir ging es von Beginn an mehr darum, ihm zu „begegnen“ oder ihn mitunter einfach zu „spüren“. Achtsamer und aufmerksamer in meinem Inneren und nach außen für „Signale“ oder „Botschaften“ zu werden, die ich früher „übersehen“ hatte. Wollte ich ihn wirklich mal „greifen“, spürte ich schnell die Schwierigkeit, ein „Bild“ zu gewinnen, dass ich auch in Worte fassen konnte. Das geht mir bis heute so und auch in diesen Zeilen spüre ich das Unvermögen oder auch die Unfähigkeit, Worte zu finden..

    Gott hat sich aus der Verantwortung zurückgezogen, was nicht bedeutet, dass er nicht da ist. Ich erlebe immer mal wieder, dass er über mein Inneres oder durch andere Menschen mit mir „spricht“. Ob dies nun „real“, eine Ahnung oder Einbildung ist, ist mir im Grunde egal. Viel wichtiger ist mir, ob ich mich dadurch angenommen oder bestärkt fühle, ob ich eine Antwort oder vielleicht auch eine gute neue Frage gefunden habe. Oder eine Erkenntnis, mit der ich mir selbst und anderen Liebe schenken kann.

    Ist er „abwesend“, suche ich selbst auch nicht die „Begegnung“. Suche ich sie, gelingt mir auch nicht immer der Kontakt. Das erinnert mich stark an die Beziehung zu meinen Kindern, besser umgekehrt aus deren Sicht gestaltet. Höre ich länger nichts, weiß ich, alles ist gut und ich werde nicht gebraucht. Dann mische ich mich auch nicht ein! Werde ich gebraucht, bin ich meist da. Und dennoch wünschte ich mir selbst, mehr aus ihrem Leben zu erfahren und mit ihnen zu sein.

    Danke, dass Du nochmals in die Tiefe gegangen bist und versuchst hast, unseren Gedanken zusammenzuführen. Das war es wert, finde ich!

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