In diesem Jahr habe ich zwei Gottesdienste gehalten, und jeder war auf seine Weise ein Highlight. Im Januar war es die Kombination mit der Musik. Ich erinnere mich noch an den Auftakt, Picinellis C-Dur Sonate, von Andrii Spharkyi auf der Posaune gespielt, und ich bin immer noch und immer wieder ganz geflasht. Es war ein schöner Gottesdienst.
Während dieser Gottesdienst besonders war wegen der Dinge, die in ihm geschahen, gewann der zweite seine Bedeutung vor allem durch die, die vor ihm passierten. Denn am Freitag und am Sonnabend ging es mir so schlecht, dass nicht klar war, ob ich wirklich auf die Kanzel würde steigen können. Nein, eigentlich war völlig klar, dass ich es nicht könnte. Glieder-, Magen- und Rückenschmerzen waren schon schlimm genug. Vor allem mein Kreislauf machte mir zu schaffen – ich kam kaum unfallfrei vom Sofa zum Sessel. Bis in die Nacht war nichts, aber auch gar nichts mit mir anzufangen. Und Ute meint, dass ich mit dieser Beschreibung noch nicht einmal besonders dramatisiere.
Und doch habe ich meine Kollegin Friederike Waack nicht angerufen und sie gebeten, die Predigt zu übernehmen. Obwohl ich wusste, wie es mir geht, habe ich diesen Gedanken nicht zugelassen. Denn ich wollte diesen Gottesdienst und wäre nur gewichen, wenn mich der Krebs von der Kanzel geschubst hätte. Und das wollte ich doch erstmal sehen.
Ich weiß nicht, was mich dazu getrieben hat. So unvernünftig kenne ich mich sonst nicht. Es war auch nicht so sehr eine bewusste als vielmehr eine instinktive Entscheidung. An dieser Stelle gönnte ich dem Tiger keinen Zentimeter. Ich dachte an Sonja (Ein Mann namens Ove): Wir können an den Tod denken oder wir können weiterleben. Gottesdienst bedeutete für mich Leben. Ich hatte mich vorbereitet und wollte meine Gedanken mit euch teilen. Ich wollte euch sehen. Ich wollte nicht zuhause liegen und an den Tod denken.
Ich glaube, dass ich noch nie mit solch wackeligen Beinen zur Kirche gegangen bin. Aber es gelang. Ich weiß nicht, ob mir diese Erfahrung in anderen Situationen nützen wird. Aber ich habe sie gemacht, und sie hat schon ihren Wert in sich.
Ich glaube, dass ich in einem gewissen Rahmen Entscheidungen treffen kann. Welche Medikamente will ich nehmen und welche Therapie durchführen? Blog schreiben oder Netflix gucken? Gottesdienst ja oder nein? Gespräche führen oder doch lieber nicht? Diese Entscheidungen beeinflussen mein Leben und seine Qualität. Aber ich spüre eine Grenze. Auf den Zeitpunkt meines Todes habe ich keinen Einfluss. Weder durch innere Vorstellungen, indem ich mir z.B. ausmale, wie wir die Route 66 fahren, noch durch irgendwelche anderen Entscheidungen.
Ich glaube, dass Gott der Herr ist über Leben und Tod. Er bestimmt Anfang und Ende des Lebens. Ich weiß nicht, ob Gott den Tod irgendwann für jeden Menschen von Anfang an vorherbestimmt hat oder ob er das adhoc entscheidet. Mir geht es aber ganz gut damit, das Ganze ihm zu überlassen.
Meine Aufgabe ist es, die Zeit zwischen Geburt und Tod zu gestalten und die Möglichkeiten auszuloten. Im Moment ist die Route 66 in weite Ferne gerückt. Aber ausgeschlossen ist sie immer noch nicht. Ich schaue täglich auf das Schild im Wohnzimmer und freue mich daran und weiß: Wenn die Zeit dafür kommt, werde ich sie nutzen. Das Straßenschild ist ein Symbol für die Zukunft, wie (un-)wahrscheinlich sie auch immer sein mag.
Am Gottesdienst-Wochenende habe ich erfahren, wie recht Fulbert Steffensky hat, wenn er schreibt: Hoffen ist „zu handeln, als gäbe es einen guten Ausgang“.
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Beitragsbild: Aus dem Gottesdienst am 17. Januar; Gudrun Fliegner an der Orgel und Andrii Spharkyi mit der Posaune © Ingelor Schmidt
Route 66: © Erik Thiesen
Das ist genau die Haltung zum Leben, die mich so stark beeindruckt. Respekt! Beim Februar-Gottesdienst hat man/habe ich dir die Anstrengung nicht angemerkt. Du wirktest frisch und gelassen.
Ich bewundere diese Einstellung sehr – inklusive der wunderbaren Zitate. „…handeln, als gäbe es einen guten Ausgang“.
Meine 94 jährige Tante, die seit einem halben Jahr das Bett nicht mehr verlassen kann, sagte vor einigen Tagen zu mir, sie sterbe ja nun bald, aber: „Ich würde am liebsten mal kurz runterkommen und erzählen, wie es mir da oben geht“.
An dieser Vorstellung halte ich mit meinem ganzen Verstand fest. Gegen alle Vernunft und alles Wissen. Helmut Schmidt hat sich für seine Trauerfeier einen Gottesdienst im Michel gewünscht, obwohl er „eigentlich“ nicht an Gott glaubte. Aber es kann ja nicht schaden… Wer weiß, vielleicht sehen wir uns doch wieder. Ich möchte das so gern glauben.
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Das Besondere daran war, dass ich nicht das Gefühl hatte, eine Entscheidung zu treffen. Ich sah die „Realität“ sehr klar. Und normalerweise spielt sie für mich eine sehr große Rolle. Diesmal habe ich sie einfach hinter mir gelassen – vielleicht weil sie eine solch eindeutige Sprache sprach („Geh nicht!“). Und so war das „Doch“ kein bewusstes Abwägen, sondern „irgendetwas“ sprach in mir. In dieser Form hatte ich das noch nicht erlebt.
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Auf das Leben schauen, heißt ja nicht, sich nicht mit dem Tod auseinanderzusetzen. Für mich geht es eher um das Maß und um den Zeitpunkt, wann was in welcher Form ansteht. Als ich Anfang 20 war, konnte ich manchmal nicht schlafen, weil mich starke Gedanken an den Tod daran hinderten. Das war durchaus befremdend. Heute, wo ich auf die 70 zugehe, schaue ich viel stärker auf das Leben und auf seine Geheimnisse, die ich in und außer mir noch entdecken möchte. Die Aussicht auf den Tod, der in der Wahrscheinlichkeit viel näher gerückt ist, ist dabeI ein eher stiller Begleiter,
Doch sterben werden wir alle, wie alles Leben sind wir vergänglich. Alles hat seine Zeit, ist dafür ein schönes Wort.Diesem Schicksal, aber vielleicht auch dieser Gnade, können wir nicht entgehen. Allein der Zeitpunkt bleibt eher vage und unbestimmt oder mit anderen Worten „wann unsere Stunde schlägt“.
Auf das Leben schauen, hilft, lebendig und aktiv zu sein sein und zu bleiben. Die eigenen Hoffnungen und Träume wachzuhalten und weiter zu verfolgen, selbst wenn das mitunter Außenstehenden naiv erscheinen mag. Doch ist es dies nicht wert!
Das Ganze vollzieht sich für mich im Alter ein gutes Stück illusionsloser, abgeklärter aber nicht weniger leidenschaftlich. Auch dafür hat Fulbert Steffensky für mich sehr treffende Worte gefunden: „Je älter ich werde, umso mehr höre ich auf, die Welt zu erklären. Auch unser Glaube erklärt nichts. Es gibt die großen und unüberbrückbaren Widersprüche zwischen den Versprechungen Gottes und dem Zustand dieser Welt. (…) Wenn wir Christenmenschen von Hoffnung sprechen, darf man uns nicht vorwerfen können, wir seien Leute, die nicht so genau hinschauten. (…) Hoffnung lernen heißt auch Illusionen verlernen, auch die Illusionen über Gott.
In diesem Sinne: Auf das Leben!
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Ich möchte noch einen Gedanken, den ich vergaß, anfügen. Ist Gott der Herr und Entscheider über Leben und Tod? Ich mag das nicht wirklich glauben, zu unwahrscheinlich ist mir diese Annahme bei der Anzahl von Lebewesen und Pflanzen allein auf diesem Planeten. Was müsste er da alles im Blick oder vorprogrammiert haben.
Aber auch ein Glaube daran hilft mir nicht weiter. Mein „Schicksal“, das so einseitig in den „Händen einer nicht vorstellbaren Kraft“ läge? Das würde ja bedeuten, dass dieses entweder von vornherein fest in Beton gegossen ist oder auf Knopfdruck beliebig oder auch nicht „ausgelöscht“ wird, sollte ich nicht will „willfährlich“ handeln? Die real wahrnehmbaren Tatsachen sprechen eine andere Sprache. Abscheuliche „Verbrecher“ kommen ins betagte Alter, andere, die ein langes glückliches Leben verdient hätten, sterben jäh und früh.
Ich glaube an eine grundlegende „Schöpfung“ und damit auch einen „Schöpfer“, den wir Gott nennen. Alles andere sind für mich Interaktion oder auch „Begegnungen“ mit diesem direkt wie mit Menschen, die seinen, den „göttlichen Willen“ verkörpern und mit nahebringen. Vermutlich hat jeder Mensch seine Bestimmung, seinen Auftrag.- den kann er erkennen oder auch nicht. Er kann ihn erfüllen oder auch nicht. Vielleicht sogar ohne bewusstes Erkennen.
Manch „gut und edel Gemeintes“ führte geschichtlich betrachtet zu seinem Gegenteil. Und passiert uns dies in unserem Alltag nicht auch. Was ist also jeweils das Gute und Böse im Alltäglichen und im Weltgeschehen und wer bestimmt richtet darüber? Und ist es immer so einfach, darüber Recht zu sprechen – im Rahmen welcher höheren moralischen Instanz?
„Schöpfung“ kann nicht vollkommen sein. Sie mit den „Akteuren“ entwickelt sich stetig weiter. Und führt auch ein „Eigenleben“, das aus meiner Sicht selbst der „größte Schöpfer“ nicht beeinflussen kann, wenn er dieses, wir untestellen das so einfach, überhaupt will. Ich hege zu dieser „vermuteten“ Intention große Zweifel.
In dieser meiner Version des Glaubens haben dann nicht zuletzt auch „Zufälligkeiten“ ihren schicksalshaften Platz. Den ersten Weltkrieg, auch wenn ihn dann alle Beteiligten mit großem „Hurra!“ angenommen haben, wollte eigentlich keiner. Bei einem Verkehrsunfall zufällig zur falschen Zeit am falschen Ort? Oder Gene seit der Geburt mit bekommen, über die ich mich freuen oder verzweifeln kann?
Fazit: Wenn das „Göttliche“ selbst in uns Menschen mit manifest ist, ohne dass wir uns selbst zu Göttern aufmachen – ein fataler Trugschluss- , dann bleibt für mich nur der Weg der Interaktion mit diesem. Um damit meinen „Schöpfer“ zu greifen und meiner Bestimmung näher zu kommen. Oder?
PS: Für „Rechtschreibfehler“ oder andere stilistische Ungereimheiten haften andere. Mir kam es zu späterer Stunde allein auf den Gedanken an!
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Lieber Ralf, dann gehen wir mal in die Interaktion, d.h. ins konkrete Leben. Und hier heißt die Frage doch immer und für alle: Was kann ich tun, was soll ich tun in meiner Lage?
Für mich persönlich lautet zurzeit die wichtigste Frage: Gibt es Maßnahmen, mit denen ich mein Leben verlängern kann? Nehmen wir an, ich soll am 8. Oktober sterben (Jahr ist egal). Wenn ich nur die Möglichkeit habe, den Termin auf den 20. Oktober zu verschieben, wenn ich ab jetzt nur noch Broccoli esse, werde ich das wahrscheinlich tun (dabei spielt es keine Rolle, ob ich nur meine, diese Möglichkeit zu haben).
Und ich habe irgendwann in den letzten Tagen oder Wochen für mich entschieden, dass ich keinen Einfluss auf diesen Zeitpunkt hatte. Und diese Entscheidung war nicht das Ergebnis theoretischer Überlegungen. Sie war und ist für mich „richtig“, weil sie mich entlastet und tröstet (Du erinnerst Dich? für Ignatius das wichtigste Kriterium).
Die Verantwortung für den Zeitpunkt meines Todes lege ich also aus meinen Händen. Wohin? Da kommt Gott dann als erster in Frage. Insofern: Herr des Lebens und des Todes – zugegeben, eine missverständliche Formulierung, weil es hier nicht um die Lebenszeit, sondern den Zeitpunkt des Lebens(endes) geht. Und dann habe ich einfach mal spekuliert: Hat Gott diesen Zeitpunkt (z.B. 8. Oktober) schon vor aller Zeit festgelegt? Oder fällt ihm am 8. Oktober gerade ein, dass es Zeit sein könnte? Eine solche Frage aber ist nichts als Spielerei.
Dann aber verändert sich auch die Geschichte mit dem Broccoli: Wenn er mit meinem Todeszeitpunkt nichts mehr zu tun hat, werde ich ihn nur noch essen, soweit er in meiner Lebenszeit förderlich ist. D.h.: tut er mir gut, schmeckt er mir, fühle ich mich dadurch fitter und besser? Wenn dadurch auch noch der Zeitpunkt des Todes (positiv) beeinflusst werden sollte, wie manche meinen, soll mir das recht sein. Ist aber nicht meine Frage.
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Danke, lieber Erik, für diese Gedanken, die mir einleuchten. Du stellst die für Dich wichtigste Frage, für mich würde sie – in Deine Situation hineinversetzt – auch so lauten.und ja, die Verantwortung für den Zeitpunkt des Todes aus den eigenen Händen geben, entlastet. Es bedeutet, das, was ich nicht beeinflussen kann, radikal zu akzeptieren mit all den Gefühlen, die da mit hineinspielen.
Aber es heißt ja nicht, nicht weiter auf das Leben zu schauen und aus diesem das Beste zu machen, das zu tun, wozu Du in der Lage bist. Dafür wünsche ich Dir weiter die Kraft, den Mut und die Zuversicht. Möge Dir die Sonne noch lange scheinen und Dich, immer wenn es wieder ungemütlich wird, mit ihren Strahlen wärmen.
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Auch Dorothée Sölle hält die Schöpfung nicht für ein abgeschlossenes Werk, das „Gott“ irgendwann ausgetüftelt hat, sondern für einen Prozess, an dem wir Menschen kontinuierlich mitwirken. Wir schreiben mit unseren je individuellen Leben die Schöpfung fort. Dadurch gestalten wir sie auch, in die eine oder andere Richtung.
Wenn Gott will, dass wir leben – und davon gehe ich aus -, schließt dies unseren Tod (leider!?) mit ein. „Mitten wir im Leben sind mit dem Tod umfangen“ habe ich mal im Chor mitgesungen.
Inzwischen muss ich wieder öfter daran denken; anders als du, lieber Ralf, bei dem es anscheinend umgekehrt ist. Ich habe zwar mit Anfang 20 auch gelegentlich an den Tod gedacht, aber eher mit einer Mischung aus Neugier und Scheu. Heute denke ich viel konkreter darüber: Wie viele Jahre bleiben mir wohl noch? Was für ein Segen, dass wir es nicht wissen!
Mit dem Broccoli geht es mir ähnlich wie Erik. Wenn er mir gut tut und – vor allem! – gut schmeckt, esse ich ihn. Aber nur dann. Der Gesundheitswahn als Religion(sersatz) hat mich (noch) nicht in seinen Fängen.
Dies ist ja auch wieder ein ganz, ganz weites Feld. Heutzutage gehört es fast zur Allgemeinbildung, zu wissen, dass die Ernährung einen Einfluss darauf hat, wie alt wir werden und ob wir lange gesund bleiben. Aber auch wieder nur sehr bedingt!! Letztlich bleibt unser Leben doch in Gottes Hand.
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Ja, lieber Ralf und Ihr anderen alle : „Desillusionierung ist eine wesentliche Voraussetzung menschlicher Reifeprozesse!“ Ich glaube, das ist ein Zitat des unvergleichlichen Erich Fromm. Mir – nicht allen – tut dieser Satz gut und hilft mir, dieses Leben zu leben und nicht vor meiner Wirklichkeit zu fliehen.
Ist Gott der Schöpfer unserer Welt ? Mag sein, aber es bleibt für mich Spekulation. Bleiben wir alle letztlich in Gottes Hand ? Mag sein, aber es bleibt für mich Spekulation. Hat dieses Leben einen, von aussen uns gesetzten Sinn ? Mag sein, aber es bleibt für mich Spekulation. Der Beginn meines Lebens und das Ende meines Lebens Teil eines göttlichen Plans ? Mag sein , aber es bleibt für mich Spekulation.
Im Bereich vergleichender Religionswissenschaften ermutige ich meine Schülerinnen und Schüler, sich zu fragen : Was tut mir gut, mir und den Menschen, mit denen ich zusammenlebe, unserer Gesellschaft und der Erde, auf der wir leben ? Was ist wichtig im Blick auf die Generationen, die nach uns kommen ? Alles andere können wir doch getrost vernachlässigen …
Das ist nicht immer einfach für jemanden, der wie ich in jungen Jahren eine pietistisch, evangelikale, lutherisch-orthodoxe Prägung geniessen musste/durfte – wo ja alles und jedes in einen direkten Bezug zu Gott gesetzt wurde und einen Geist der Unfreiheit, der Verdrängung und oft genug der Diskreditierung Andersdenkender, Anderslebender und Andersliebender mit sich brachte. Es war manchmal wirklich kaum mehr auszuhalten …
Die Schöpfung Gottes ? Wenn ich die alten Legenden lese, stelle ich fest : Gott hat uns Menschen zu seinem „Ebenbild“, zu einem Gegenüber auf Augenhöhe geschaffen. Darin liegt unsere unantastbare Würde und auch eine persönliche Freiheit, die mit einer unendlich großen Verantwortung verbunden ist. Seitdem hat er sich – im Prinzip – wieder verabschiedet, weil er alles in unsere Hände übergeben hat. Manchmal leuchtet in der Geschichte und in dem Leben einzelner etwas Helles, Warmes, Freundliches auf : so menschlich, dass es schon wieder „göttlich“ ist. Persönlichkeiten wie Jesus, aber auch viele andere gehören dazu. Aber eingreifen kann er überhaupt nicht mehr. Das hat er alles in unsere Hände übergeben … Ich finde das nicht schlimm, sondern fühle mich in meiner Freiheit und Verantwortung ernstgenommen.
Und wie sieht es mit meinem Sterben aus – einmal stand ich dem Tode sehr nahe ? Eine andere Form der Existenz auf der anderen Seite des Todes ? Ich möchte in Ruhe darauf warten und hoffe, es geschieht in menschlicher Würde.
So sehe ich es – und diese Gedanken sollten bitte nicht verallgemeinert werden. Es sind meine persönlichen …
Liebe Ute, lieber Erik, ich denke viel an Euch !
Thomas
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Lieber Thomas, Deine Ausführungen sind sehr nachvollziehbar, und doch teile ich sie nicht ganz. Und das liegt am Gottesbild. Du beschreibst ihn als einen „unbewegten Beweger“, einen deus ex machina, ein Sein, das außerhalb unser Welt existiert. Dieser Gott erschafft die Welt und darauf die Menschen und zieht sich dann zurück. Wohin sollte er aber gehen? Es gibt keinen „Ort“ außerhalb des Universums (oder der vielen Universen).
Und überhaupt: „Einen Gott, den es gibt, gibt es nicht.“ (Bonhoeffer) Oder Buber: „Wenn an Gott glauben bedeutet, von ihm in der dritten Person reden zu können, glaube ich nicht an Gott. Wenn an ihn glauben bedeutet, zu ihm reden zu können, glaube ich an Gott.“
Dazu 2. Mose 3,14, die Selbstvorstellung Gottes. Wir kennen die Übersetzung Luthers „Ich bin, der ich bin.“ Diese Variante hat er aus der lateinischen Vulgata, die ihrerseits auf der griechischen Septuaginta beruht. Dort heißt es ἐγώ εἰμι ὁ ὤν egô eimi ho ôn, ich bin der Seiende. Griechisches Denken – das übrigens Papst Benedikt XVI. in seiner Regensburger Rede verteidigte. Mit diesem Denken kann man über etwas, also auch über Gott als das Sein nachdenken und zu einer „Wahrheit“ kommen. Dazu muss man sich vom Gegenstand seines Denkens distanzieren.
Im Original aber steht אֶהְיֶה אֲשֶר אֶהְיֶה ehyeh ăšer ehyeh. Nicht genau zu übersetzen, eher wie: Ich werde sein, der ich sein werde. Ich habe damals gelernt: Ich werde mich als der erweisen, als der ich mich erweisen werde. Man kann auch sagen: Wer ich bin, sage ich dir jetzt nicht. Du musst es schon herauskriegen. Und das geht nur, wenn du es ausprobierst. Geh mit oder auch nicht – im zweiten Fall wirst du es nie wissen.
Gott ist kein Substantiv, das man anschauen könnte. Gott ist ein Tätigkeitswort, das (für mich/für den Menschen) erst Wirklichkeit wird, wenn ich ihn ausprobiere, in die Beziehung gehe.
Es ist wie mit der Hoffnung, wie Steffensky sie beschreibt: Sie entsteht, wenn wir sie tun. Und dann kommt sie auf uns zu – oder auch nicht. Auf diesem Wege (!) kommen die Freiheit und Verantwortung des Menschen – die uns beiden sehr am Herzen liegen – und die Gegenwart Gottes zusammen.
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Ich möchte einen Gedanken nachtragen, der unseren Dialog gut abschließen könnte. Lieben Dank auch Dir, Thomas, für Deine offene Fragen, die mir wieder einmal deutlich machen, dass wir Suchende sind und bleiben werden. Doch was wäre daran schlimm? Nichts! Wenn ich umgekehrt glaubte, ich wüsste alles und hätte alle Geheimnisse aufgespürt, welche Triebkraft hätte ich noch in meinem Leben.
Du, lieber Erik, schriebst: „Meine Aufgabe ist es, die Zeit zwischen Geburt und Tod zu gestalten und die Möglichkeiten auszuloten. Im Moment ist die Route 66 in weite Ferne gerückt. Aber ausgeschlossen ist sie immer noch nicht.“
Ich fand heute beim Hasuputz ein Buch von Eugen Drewermann, „Das Wichtigste im Leben oder Worte mit Herz und Verstand“. Das hatte sich „versteckt“. Beim Wiederentdecken wurde ich neugierig und fand folgende Textstelle, die mich berührte:
„Es geht um Leben und Tod, Sinnsuche und Verzweiflung, Liebe und Angst, Sehnsucht und Einsamkeit – um den Bestand der Welt, die jeder für sich entwirft oder in die er sich geworfen sieht.“
Also zählt
„das Leben in unseren Jahren (…). Es geht um eine Art Schatz, der in der Mitte unseres Lebens, der Tiefe unserer (All)Tage verborgen liegt und jene, die ihn zu entdecken vermögen, beschenkt und reich macht mit Wissen unfd Weisheit um die Dinge, die wirklich wichtig und wesentlich sind.“
(Aus dem Vorwort des Herausgebers)
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Ach ja, der gute Eugen Drewermann, mit dem die katholische Kirche so demütigend und erniedrigend umgegangen ist ! Theologe und Psychotherapeut – eine ideale Mischung ! „Kleriker – Psychogramm eines Ideals“ – aus meiner Sicht das genialste, zutreffendste, revolutionärste, das je über unseren Stand der Kleriker geschrieben wurde – wenn es nur nicht so schwer zu lesen wäre …
Danke, lieber Ralf, für diesen Hinweis auf diese mehr als spannende Persönlichkeit, der einem meiner besten Freunde mit einem seitenlangen, persönlichen, handgeschriebenen Brief in schwerer Not zur Seite stand …
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Lieber Thomas, das sehe ich auch so! Ein guter und toller Typ! Leider nicht immer einfach zu lesen. Ich habe wieder die „Wendepunkte oder was eigentlich besagt das Christentum“ in den Händen. Bei der ersten Lektüre vor gut einem Jahr war ich trotz Faszination über die Gedanken steckengeblieben, dann entschwand das Buch aus meinen Augen. Nun bin ich fest entschlossen, ich will da einmal durch – das muss doch gelingen, oder? Liebe Grüße in den hohen Norden – so meine Erinnerung!?
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