Hier wollten Sie nie hin…

… aber nun sind Sie schon mal da.

Ein Unglück, eine falsche Entscheidung, ein dummer Zufall – und schon sitzt man an einem Ort, an den man nie hin wollte. Einem Ort, der depressiv macht oder einfach nur schlechte Laune. Es ist ein trostloser Ort, an dem offensichtlich nix los ist. Ein Ort, von dem Ute einmal sagte: „Weißt du, was das erste wäre, was ich machen würde, wenn ich hier wohnen würde?“ – „Nein…“ – „Wegziehen.“

Die Wochenzeitung Die Zeit hat dem Motto „Hier wollten Sie nie hin…“ eine ganze Serie gewidmet, in die dann die Städte Neumünster oder Elmshorn aufgenommen wurden. Schleswig-Holsteiner wissen jetzt, welche Orte gemeint sind. Die hohe Kunst dieser Serie ist es, auch ihnen noch etwas abzugewinnen. Nun sind Sie schon mal da – und tatsächlich, es gibt auch dort Ecken und Seiten, die ihren eigenen Charme haben.

Auch ich kenne einen solchen Ort, an den ich nie hin wollte, und an dem ich doch oft zu finden bin. Tagsüber ist hier sogar eine Menge los, abends aber und am Wochenende wird es sehr viel ruhiger, und man bekommt sogar leicht einen kostenlosen Parkplatz. Es gibt hier auch durchaus für Touristen ein paar charmante Ecken: Gründerzeitbauten, ein UKE MuseumMuseum und eine wirklich reizende Veranstaltungslocation. Und doch kommt hier kaum ein Besucher, eine Besucherin freiwillig hin. Man braucht schon einen wirklich sehr guten Grund, und den habe ich.

Ich spreche vom UKE, dem Universitätsklinikum Eppendorf.

Der Grund, weswegen ich hier nicht hin will und doch so oft komme, ist natürlich eine Krankheit. Meine Krankheit.

Auch die anderen kommen nur her, weil sie krank sind oder weil sie Kranke besuchen – wenn sie hier nicht gerade arbeiten. Das macht aus dem UKE einen ziemlich trostlosen Ort, würdig, in die Zeit-Serie aufgenommen zu werden. Aber es hat auch noch eine ganz andere Seite.

Die beiden Cafés, rechts vom Eingang und im Hauptgebäude O11, bringen das mit ihrem UKE Health KitchenNamen – geschrieben und gesprochen – feinsinnig zum Ausdruck: Health Kitchen. Ja, manchmal und für manche ist es Hell’s Kitchen, die Hölle. Denn hier begegnet man Leid, Schmerzen und Tod, Verzweiflung und Depression. Mehr als anderswo.

Andererseits werden Menschen hier geheilt, sie bekommen neue Hoffnung. Das UKE gehört zu den modernsten Krankenhäusern Europas. Und schon mehrmals traf ich Patienten, mit denen andere Kliniken überfordert waren.

Und ich habe die größte Hochachtung vor den Mitarbeitenden. Da näht ein Arzt mit Fingern wie ein Boxer Arterien zusammen, ein anderer macht im Kopf Schnitte im Mikrobereich. Und ich möchte nicht wissen, was ein dritter in unmittelbarer Nähe meines Rückenmarks angestellt hat – und ich bin im Besitz aller meiner Fähigkeiten wie vor der OP. Eine Ärztin bedient souverän Strahlengeräte, die der Serie Stargate entsprungen sein könnten. Eine Schwester lässt mich meine Vorbehalte Spritzen gegenüber fast vergessen, so professionell arbeitet sie.

Ich habe großes Vertrauen in das Können derer, die mich behandeln. Und dieses Vertrauen wurde noch nicht enttäuscht.

Und dann gibt es diejenigen, die nicht nur Profis in ihrem Fachgebiet sind, sondern die ihren Beruf auch noch persönlich nehmen. Wir haben schon Mails um kurz vor Mitternacht bekommen, nachdem die Kinder der Ärztin ins Bett gegangen waren. Oder aus San Diego, nachdem ein anderer Arzt dort seinen Vortrag beendet hatte. Wir haben anderthalbstündige Gespräche geführt, von denen eine halbe Stunde deutlich persönlichen Charakter hatte. Eine Schwester nahm mich einfach in den Arm, und aus so manchem Gespräch sind wir hoffnungsvoll und mit guter Laune herausgekommen. Ich habe Teams erlebt, auf Station und im OP, die vertrauensvoll und fröhlich zusammengearbeitet haben, Schwestern und Pfleger, die ihren Beruf als Berufung empfinden und bei denen man es merkt.

Und dann gibt es auch die persönlichen und berührenden Begegnungen mit anderen Patienten. Wenn wir gemeinsam auf einem Zimmer liegen, erleben wir uns in unseren verletzlichsten und intimsten Momenten. Es ist nicht selbstverständlich, dass man sich dort auch öffnet – gerade Männer sind da meistens eher zurückhaltend. Aber wenn es geschieht, und es geschah immer wieder, dann wird es sehr besonders.

Gut, es gab auch Menschen, die eher genervt haben. Die Mitarbeitenden, die einen schlechten Tag hatten, eine gewöhnungsbedürftige Art oder ein Dauermontagsgesicht. Aber sie waren deutlich in der Minderheit.

Ich komme immer noch nicht freiwillig ins UKE. Aber inzwischen wird es trotzdem für mich fast zu einem zweiten Zuhause, zumindest die Stationen vorne rechts. Ärzte fangen an mich zu grüßen, und bei der nächsten OP beantrage ich Mengenrabatt. Besuchern erkläre ich nicht nur den Weg, sondern kann ihnen auch gleich einen Abriss der Medizin- und Baugeschichte geben – so wie der Elmshornerin, die letztens zur Stroke Unit wollte.

Und ich schätze das UKE. Als einen Ort, an dem die Extreme des Lebens sichtbar werden. An dem Menschen an den Rand ihres Lebens und behutsam wieder zurück geführt werden. „There is a crack, a crack in everything. That’s where the light gets in.“ (Leonard Cohen) Das gilt in besonderer Weise für das Universitätsklinikum Eppendorf.

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Bilder:
Alter Eingang, Medizinhistorisches Museum, Neubau, Health Kitchen © Erik Thiesen

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5 Gedanken zu “Hier wollten Sie nie hin…

  1. Daniel Birkner schreibt:

    Ja, ich hoffe, das ganz viele Menschen, denen du im UKE begegnetet bist, lesen das. Sonst muss du dafür sorgen, dass sie es lesen können. Ich hoffe, dass ich noch eine Weile eher Besucher als Patient im UKE sein werde, aber solche Beiträge können einem sogar die Angst/Scheu vor dem Krankenhaus nehmen. Das ist also keine Gesundheitsfabrik, sondern da sind sehr viele Menschen, die sich sehr menschenfreundlich kümmern und Hoffnung schenken. Sehr bewegend.

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  2. Ralf Liedtke schreibt:

    Ja, es ist wert, den vielen in Krankenhäusern Beschäftigten, positive Zeilen zu widmen. Viele von ihnen machen einen großartigen Job unter Bedingungen und Anforderungen, die sehr kräftezehrend – physisch wie psychisch – sind und vielleicht manchmal auch resignieren lassen.

    Als meine Mutter vor ihrem Abschied von dieser Welt unter sehr schwierigen Umständen noch einmal ins Krankenhaus musste, machte ich genau diese Erfahrungen. Ich traf in aller Tristesse, ob Intensivstation oder Normalstation, auf Pflegekräfte und Ärzte, die sich kümmerten – um sie wie auch um mich. Die sich Zeit nahmen, die sie erkennbar oft nicht hatten. Das hat mir großen Respekt abgenötigt. Es passt genau in diese Zeit und ist nun 2 Jahre her.

    Gleichzeitig gab es laute Stimmen aus ihrem Freundeskreis, die über dieses Krankenhaus nur abfällige Bemerkungen machten, sich erhöhten, alles besser wussten und mies machten. Und irgendwann wurde ich nicht laut aber deutlich, bezog Stellung mit dem, was ich erlebt hatte. Die Stimmen verstummten, sicher nur mir gegenüber.

    Es ist wie manches andere, wir wissen oft nicht mehr, was wir an unserer Gesellschaft haben und übersehen die so vielen positive Dinge, die uns vielleicht zu selbstverständlich geworden sind.

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  3. Manuela Schwarz schreibt:

    Lieber Herr Thiesen,
    Ihren Beitrag zum UKE kann ich nur unterstützen und denke, es ist eine sehr gute Idee, die Leistungen der Beschäftigten mehr zu würdigen und es auch nach außen zu tragen.

    Auch ich befinde mich von Zeit zu Zeit aufgrund der Krebserkrankung meines Mannes als Besucherin im UKE, vorher im Albertinenkrankenhaus, das hier auch positiv erwähnt werden muss. Die Orte die Sie beschreiben sind mir sehr bekannt.

    Nachdem ich anfänglich gerade mit Situationen und Erlebnissen auf den verschiedenen Intensivstationen zu kämpfen hatte, habe ich für mich einen guten Weg finden können, die Situation so anzunehmen wie sie ist. Das ist für die Begleitung so wichtig!

    So freue ich mich bei Besuchen zum Beispiel besonders über Begegnungen mit schwangeren Frauen und frisch gebackenen Vätern im Fahrstuhl des Krankenhauses.

    Nun möchte ich an dieser Stelle nicht unerwähnt lassen, was mir auf diesem Weg auch sehr hilft.

    Es ist Ihr Blog! Lieber Herr Thiesen,ich als eher stille Leserin bin immer wieder berührt, wenn Sie Ihr Innerstes nach außen kehren. Für viele Ihrer Beschreibungen habe ich Bilder vor mir, die Gefühle die Sie beschreiben sind mir so bekannt.
    Es gab Tage, da habe ich die Internetseite ganz “ vorsichtig“ geöffnet……als wenn das nun was nützt.

    Ihr Blog, Ihre Haltung das ist für mich gelebter Glaube. Dafür herzlichen Dank, dass ich daran teilhaben kann.

    Wenn ich zu Weihnachten einen Wunsch äußern darf, ein persönliches Gespräch mit Ihnen, ich würde mich sehr freuen!

    Ich wünsche Ihnen und Ihrer Familie ein gesegnetes Weihnachtsfest und gute Erholung in Dänemark.

    Herzliche Grüße

    Manuela Schwarz

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    • gebrocheneslicht schreibt:

      Liebe Frau Schwarz,
      für eine kurze Zeit war ich auch in der Hämatologisch-onkologischen Praxis im Albertinen und kann Ihr Urteil bestätigen. Und ich freue mich, dass Sie im UKE ähnlich gute Erfahrungen wie ich gemacht haben.
      Es ist wahrlich kein leichter Weg, den wir gehen: für diejenigen, die direkt von der Krankheit betroffen sind und vor allem für die, die mit uns gehen. Und es ist diese Nähe, dieses Mit-Leiden (kein Mitleid!), die es uns gleichzeitig leichter macht (was wären wir ohne einander?) und doch auch schwer. Denn wir sehen und spüren, wie es dem anderen, der anderen jeweils geht. Und es sagt sich so leicht: Geteiltes Leid… Manchmal aber ist es ja doch doppeltes Leid, das wir tragen. Und das eigene scheint mir dann nicht unbedingt das schwerere zu sein.
      Sie schreiben von „gelebtem Glauben“. Ja, das ist es – den Glauben kann ich nur leben. Wenn es mir denn gelingt. Denn es ist ein Glaube gegen die Realität. Ein Glaube an den guten Gott gegen den Gott, der den Krebs zumindest zulässt. Und ich denke: Ohne die ganz konkreten Glaubenshilfen – die Menschen, die uns hier so unterstützen, die Ärztinnen und Ärzte und noch viel mehr – würde dieser Glaube nicht weit tragen. Ein Glaube, der täglich neu gelebt werden muss. Und das gelingt an manchen Tagen besser als an anderen…
      Und natürlich bin ich gerne zu einem Gespräch bereit.
      Gesegnete Weihnachten, gute Weihnachten und ein ebensolches neues Jahr wünsche ich Ihnen von Herzen
      Erik Thiesen

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