Kritisch: der Volkstrauertag

 

Der Krieg war 12 Jahre vorbei, als ich geboren wurde. Mein Großvater war damals bei den Besatzungstruppen in Dänemark und desertierte, ehe er an die Ostfront kam. Mein Vater war ein „weißer Jahrgang“ und hatte weder mit der Wehrmacht noch der Bundeswehr zu tun. Das Einzige, was ich in meiner Kindheit und Jugend mit dem Krieg verband, war ein Bombentrichter auf unserem Land.

Erst im Vikariat habe ich zum ersten Mal bewusst den Volkstrauertag gefeiert, am Ehrenmal mit Kranzniederlegung, Rede und „Ich hatt‘ einen Kameraden“. Ich konnte herzlich wenig damit anfangen. Bis heute kann ich keinen Sinn darin sehen, dass so viele deutsche Soldaten und Zivilisten im 2. Weltkrieg gestorben sind.

In Niendorf musste ich dann bald selbst die Ansprache zum Volkstrauertag halten. Ich formulierte sehr vorsichtig, und doch waren Angehörige von Gefallenen und ehemalige Wehrmachtssoldaten enttäuscht. Sie hatten erwartet, dass ich den Kampf als „Vaterlandsverteidigung“ rechtfertigte. Mahnmal

Dabei hatte sich die Niendorfer Tradition schon von Anfang an von der des „Heldengedenktags“ verabschiedet. Ich lernte schon früh von meinem Kollegen Pastor Trunz, dass wir hinter der Kirche kein Ehrenmal, auch keinen Gedenkstein und schon gar kein Kriegerdenkmal haben, sondern ein Mahnmal. Unser Vorgänger Claus Seebrandt hatte es gemeinsam mit dem Niendorfer Hans Wullenweber errichten lassen und auf der Inschrift bestanden: „Schaffet Frieden“.

Damals wurden an diesem Mahnmal nach meiner Erinnerung vier Kränze niedergelegt – von der CDU, den Sozialverbänden, den Reservisten und der Freiwilligen Feuerwehr. Das passte zu meiner Vorstellung einer eher konservativen Veranstaltung. Dann aber hörte ich aus Lokstedt, dass die Vereine sich auf einen gemeinsamen Kranz verständigt hatten. Bildergebnis für niendorf volkstrauertagDiese Idee fand ich stark, und bald hatten wir sie auch in Niendorf umgesetzt.

Unser Motto ist seitdem gleich geblieben: Gedenken der Opfer – Mahnung zum Frieden. Auf der Kranzschleife sind nun die unterschiedlichen Niendorfer Parteien und Vereine vereint und machen deutlich: Wir gehen unterschiedliche Wege, haben aber ein gemeinsames Ziel: den Frieden.

Die Ansprache hält seitdem auch nicht mehr der Pastor, sondern ein Vertreter oder eine Vertreterin der Vereine und Verbände: Sie hielten persönliche und nicht selten sehr bewegende Reden: Die Feuerwehr würdigte seinerzeit das Engagement der Kameraden beim Anschlag auf das World Trade Center, die Behinderten-AG und der SoVD warben um Integration, die Reservisten erinnerten daran, dass sich auch heute deutsche Soldaten in gefährlichen Einsätzen befinden. Der Bezirksamtsleiter machte das gemeinsame Engagement für den Frieden zum Thema, und eine Jugendliche berichtete von ihrem Einsatz mit dem Volksbund dt. Kriegsgräberfürsorge in Polen – und wie sie Versöhnung mit einem alten Kriegsteilnehmer erlebt hat.

Auch wenn der Feiertag schon etwas angestaubt und die Teilnahme gerade von Jugendlichen eher übersichtlich ist – das Anliegen ist und bleibt aktuell. Es gibt zwar immer weniger Menschen, die den Krieg noch erlebt haben. Doch zu uns kommen andere, die vor ihm fliehen, aus Afghanistan oder Ostghuta, Jemen oder Kongo, vor Leid, Schmerz und Tod. Es lohnt jeden Einsatz, den Frieden zu bewahren und zu schaffen. Und am Volkstrauertag erinnern wir uns daran, dass wir uns in diesem Ziel einig sind.

 

7 Gedanken zu “Kritisch: der Volkstrauertag

  1. Rainer schreibt:

    Vielen Dank, lieber Erik, für deine Erläuterungen zu der „Niendorfer Tradition“ mit dem Umgang mit diesem seltsamen Feiertag:
    „Schaffet Frieden!“

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  2. Ralf Liedtke schreibt:

    Ich habe den Volkstrauertag noch nie wirklich im Blick gehabt. Vielleicht ein Versäumnis. Vielleicht fand ich diesen deshalb auch seltsam, weil mich nicht wirklich berührend. Wenn ich nach diesem Beitrag in mich hier und heute hineinspüre, wird anderes wach und lebendig.

    Meine Familie hatte zwar Glück, als keiner direkt in den Kriegen zu Tode kam. Aber sie verloren alle ihre „Heimat“ im ehemaligen Ostpreußen. Und sie trauerten! Ich fand diese Trauer und Sehnsucht über viele, viele Jahre meines Lebens als nicht zu akzeptieren und No go! Oder auch politisch ausgedrückt als revanchistische Botschaften!

    Mein Vater wurde als 20 Jähriger an die Ostfront 1942 geschickt und kehrte nach der Kriegsgefangenschaft 1951 nach Deutschland zurück. Er machte noch Vieles aus seinem Leben und war ein guter Vater, innerlich war er eine gebrochene Persönlichkeit.

    Spannend für mich, vor diesem spontan „erweckten Hintergrund“ sehe ich diesen Tag als Erinnerung nicht mehr befremdlich, die Bezeichnung mag heute sicher irreführend sein.

    Dieser Tag kann uns mahnen, achtsam zu sein, dass so etwas nicht wieder stattfindet, mit unserem Land als Verursacher und Hauptbeteiligten. Auf viele andere Kriege haben wir wenig Einfluss, dieser Wurf geht mir zu weit. Es ist sicher ein unterstützenswertes moralisches und ethisches Postulat, doch ich bleibe lieber in meiner Realität.

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    • gebrocheneslicht schreibt:

      Lieber Ralf,
      kannst Du Deinen letzten Gedanken noch einmal präzisieren? Ich bin mir nicht sicher, ob ich ihn verstehe.
      Öffentliche Feier- und Gedenktage sind ja etwas aus der Mode gekommen, trotz Reformation und 3. Oktober. Zumindest wirken sie nicht mehr in der Weise Gemeinschaft stiftend wie früher, weil die Lebenserfahrungen auseinander gehen. Welchen Sinn macht da noch der Volkstrauertag, der, wie Du schreibst, schon vom Titel sehr fremd daherkommt? Wir haben in der Gemeinde darauf eine Antwort versucht. Aber es war nur eine kleine Minderheit, die sich dann zusammengefunden hat. Die Frage bleibt, wie wir in Zukunft damit umgehen sollen.

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  3. Ute Klingwort-Finster schreibt:

    Nach meiner Überzeugung brauchen wir solche nationalen Gedenktage dringend. Trotz aller individuellen Vorlieben und mancher unvereinbarer Lebensentwürfe sind wir doch ein Volk.
    Deutschland ist ja sehr reich an beachtlichen Höhen und furchtbaren Tiefen.

    Ich habe gerade die Feierstunde zum Volkstrauertag aus dem Bundestag gesehen. Es gibt sie jedes Jahr, immer mit Reden und Musik, aber ich hatte sie sonst eher zufällig mitbekommen. Diesmal wollte ich mir die Rede des französischen Präsidenten anhören. Und dieser Auftritt hat mich sehr beeindruckt. Macron ist ja überhaupt ein Aushängeschild für Europa. (Das Gegenteil von Herrn Bedford-Strohm?) Was er sagt, ist – für mich – glaubwürdig.
    Insgesamt war es eine würdevolle, sogar ein bisschen kreative Veranstaltung, denn es sprachen auch Schüler aus verschiedenen europäischen Ländern, die sich mit den Lebensgeschichten einiger im Ersten Weltkrieg umgekommener Soldaten beschäftigt und ihnen „Briefe“ geschrieben haben. Verbindendes Element war der Fußball: Die Schüler spielen alle Fußball, genau wie die Soldaten, deren Gräber sie besucht haben.

    Auch der Satz von Jean-Claude Juncker, der am Ende der Sendung zitiert wurde, hat mich berührt: „Wer an Europa zweifelt, wer an Europa verzweifelt, sollte Soldatenfriedhöfe besuchen.“
    Nie wieder Krieg! – Für dieses Ziel lohnt es sich doch, zu kämpfen. Vielleicht müssten die Schulen hier noch viel aktiver werden.
    Eigentlich müsste jeder, der sich mit der deutschen und europäischen Geschichte befasst, ein politisch denkender Mensch werden.

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  4. Ute Klingwort-Finster schreibt:

    Mein Vater hat bei dem Rommel-Feldzug in Nordafrika mitgemacht und kam sehr schnell dort in französische Gefangenschaft (mit 21 Jahren). Diese Zeit prägte ihn, wenn man es zeitlich misst, viel stärker als die NS-Ideologie vorher. Es muss wie die Deprogrammierung eines Menschen sein, der aus einer Sekte herausgeholt wird, wie eine Rück-Gehirnwäsche. In den Jahren seiner Gefangenschaft lernte er, dass die „Feinde“ auch Menschen sind, und entwickelte eine Liebe zu Frankreich, die er sich während seines ganzen weiteren (langen!) Lebens bewahrte.
    Wie ich aus der Ahnenforschung zu meiner Familie weiß, sind mehrere Großonkel im Ersten Weltkrieg umgekommen und im Zweiten Weltkrieg eine ganze Reihe von Großtanten und -onkeln bei einem Bombenangriff auf Hamburg, außerdem haben mehrere meiner Onkel im Zweiten Weltkrieg ihr Leben verloren, zwei sind „vermisst“.
    Als ich Kind war, stellte meine Mutter zur Weihnachtszeit auf der Fensterbank Kerzen auf – zur Erinnerung an die Vermissten (einer war ihr Bruder, der andere ein Bruder meines Vaters).

    Wenn ich mir dies alles kaum noch vorstellen kann, ist es doch für unsere Kinder noch viel weiter entfernt und für die Enkelkinder vollkommen fremd.

    Wir sollten das Gedenken in Ehren halten und uns da, wo wir nun eben hingestellt sind, für eine friedliche, gerechte und demokratische Zukunft einsetzen. Klingt wie eine Sonntagsrede, ist es ja auch, (aber) ernst gemeint…

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  5. Ralf Liedtke schreibt:

    Ich finde Deine Gedanken, liebe Ute, bereichernd und stimme diesen voll und ganz zu. Den „Volkstrauertag“ möchte ich nicht ersetzen oder abschaffen, sondern eher mit einem zeitgemäßen Sinn füllen, ohne die Mahnung durch Vergangenes aus dem Blick zu verlieren. Und wir sollten uns dabei mit dem Hier und Jetzt unserer Gesellschaft beschäftigen, die es mehr als wert ist, in ihren Grundzügen erhalten zu bleiben.

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