Vor einigen Jahren nahm ich zwei Bändchen aus meiner Bibliothek mal wieder in die Hand mit den Titeln „Griechische“ und „Lateinische Kirchenväter“, beide von Hans von Campenhausen. Er versammelt darin bedeutende Theologen der Frühzeit. Die meisten von ihnen waren mir auch sonst aus dem Studium bekannt, kluge Denker wie Origenes, Basilius, Athanasius, Tertullian und Augustinus. Sie hatten aber alle ein körperfeindliches Menschenbild – Origenes soll sich sogar entmannt haben, um nicht in Versuchung zu geraten – und waren die meiste Zeit damit beschäftigt, Andersdenkende zu bekämpfen. Eine Ausnahme ist vielleicht ausgerechnet Origenes, der selbst Schwierigkeiten mit der kirchlichen Hierarchie bekam.
Und dann stieß ich auf einen Mann, von dem ich noch nie etwas gehört hatte. Synesios von Kyrene (ca. 370-412). Ich war fasziniert. Bei Wikipedia läuft er als „Philosoph“. Er war reich und hervorragend gebildet. Er war Schüler der klügsten Philosophin der damaligen Zeit, Hypatia von Alexandrien, die ihrerseits von intoleranten Christen gelyncht wurde. Beide waren Neuplatoniker, und Synesios versuchte die Philosophie mit dem Christentum zu verbinden. Etlichen christlichen Lehren hat er entschieden widersprochen. So war er der Meinung, dass die Erde schon ewig bestehe und nicht irgendwann in der Zeit erschaffen worden sei, dass es eine unsterbliche Seele gebe und die Auferstehung ausschließlich geistig zu verstehen sei.
Das musste ihn in der Kirche verdächtig machen. Andererseits wurde er von der athenischen Philosophenschule nicht zu den höheren Kursen zugelassen, weil sie seinem Christentum misstrauten. Ein Mann zwischen allen Stühlen also.
Und doch hatte er ein solch hohes Ansehen, dass er Politiker und Militärbefehlshaber war und – gegen seinen Widerstand – später zum Bischof gewählt wurde. Nur sein Grundanliegen, eine Brücke zwischen Philosophie und Theologie zu schlagen, blieb auf lange Sicht wirkungslos. Es setzten sich die kirchlichen Scharfmacher durch, mit zum Teil fatalen Folgen.
Ähnlich ging es ein paar hundert Jahre später dem spanischen Theologen Raimundus Lullus (1232-1316). Ich hatte den Namen schon einmal gehört, als mir ein Mitglied unserer Gemeinde, das zum Islam konvertierte, „Das Buch vom Heiden und den drei Weisen“ schenkte. Ein Heide möchte gerne wissen, welche Religion die beste sei. Jeweils ein Jude, ein Moslem und ein Christ versuchen ihn nun in mehreren Gesprächsgängen von den Vorteilen der eigenen Auffassung zu überzeugen. Natürlich kommt der Christ dabei tendenziell ein wenig besser weg. Aber Lullus ist für seine Zeit erstaunlich objektiv. Und vor allem gehen alle vier auseinander, ohne dass sie zu einer endgültigen Einigung kommen. Sie verabreden am Ende des Buches weitere Gespräche.
Und das ist himmelweit von den sonstigen Apologien und Streitschriften der damaligen Theologen entfernt. Besonders auch von den Ausfällen eines Martin Luther. Wie man ein ganzes Jahr während der Reformationsdekade dem Thema „Toleranz“ widmen konnte, ist mir ziemlich schleierhaft. Es war vielmehr die hochgradige Intoleranz der Protestanten wie der Katholiken, die die Toleranz in Europa befördert haben: Indem die Konfessionen im 30-jährigen Krieg so verbissen übereinander hergefallen sind, dass die Kontrahenten Verabredungen treffen, irgendwie zusammenzuleben, ohne sich die Köpfe einzuschlagen – einfach um zu überleben.
Intoleranter als Luther noch war wohl nur Calvin, der sogar den „Häretiker“ Michael Servet auf dem Scheiterhaufen verbrennen ließ. Dagegen protestierte, soweit ich weiß, damals nur ein Theologe, Sebastian Castellio. Von dem hatte ich bis vor drei Jahren noch überhaupt nichts gehört. „Einen Menschen töten heißt nicht, eine Lehre verteidigen, sondern einen Menschen töten“, schrieb er an Calvin. Der wiederum antwortete erst mit Zensur, dann mit Gegenschriften und schließlich mit einer Häresie-Anklage, die dann nur durch den frühen Tod Castellios fallen gelassen wurde.
Alle drei Autoren wurden zwar auch nach ihrem Tod gedruckt und gelesen, aber eher im Untergrund und von solchen, die mit der kirchlichen Hierarchie selbst Streit hatten. Die Mainstream-Theologie nahm kaum Notiz von ihnen. Geprägt wurde die Kirche also über weite Strecken von intoleranten Hardlinern. Das hätte nicht so kommen müssen.
Synesios, Lullus und Castellio sind meine „Kirchenväter“, in deren Tradition ich mich verstehe. Ich wünsche mir für mich ihren Mut, ihre Klarheit und ihre Toleranz.
Danke für diesen Beitrag. Keiner der drei war mir bisher bekannt.
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Mir auch nicht. Gutes Thema!
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