Exerzitien 18. Teil, Bingen 2016, die „zweite Woche“.
(Die kursiven Texte sind wörtlich meinem Binger Tagebuch von 2016 entnommen)
DIE ANFANGSJAHRE
Aus Jesu Jugend wissen wir fast nichts. Er war Zimmermann, wie sein Vater. Gut möglich, dass die beiden einen Auftrag in der nahen Stadt Sepphoris hatten. Aber schon früh wird deutlich – die Spiritualität des Hämmerns ist nicht die seine. Lukas erzählt die kleine Episode, wie er mit 12 Jahren im Tempel mit den Priestern diskutiert. Und er kann die richtigen Fragen stellen. Und irgendwann dämmern ihm die Antworten. Hat er sie gleich gehabt? In Nazareth in der Stille gefunden? In Nebengesprächen in Sepphoris? War er jedes Jahr zu den drei großen Wallfahrtsfesten in Jerusalem und hat seine Zeit dort maximal ausgedehnt? Er scheint viel gesehen zu haben und viel begriffen. Vielleicht war es genau dieser Wechsel zwischen Stille in Nazareth und Jerusalemer Trubel, der ihm die Antworten gab. Und nicht zu vergessen: Er hatte eine nachdenkliche Mutter.
Es gibt einige Parallelen zwischen Jesu Lebensweg und meinem. Kindheit und Jugend verbrachte ich wie er an einem entlegenen Ort. Der Vater hatte einen eher handfesten Beruf – den ich aber wie Jesus eintauschte gegen eine geistige Beschäftigung. Mit der „großen Welt“ kam ich dann später in Kontakt. Aber diese Spannung zwischen der Lebensweise auf dem Dorf und in der Stadt kann ich gut nachvollziehen.
DIE TAUFE
Jesus verlässt Nazareth, kommt an den Jordan und besteht darauf, sich von Johannes taufen zu lassen. Er beruft sich dabei auf Gottes Gesetz und die Gebote. Und er weist damit darauf hin, dass er seine Berufung nicht selbst wählt. Sie kommt auf ihn zu. Und die Taufe bedeutet: Wasche dich rein. Mache dich indifferent. Was dich hindert, beschmutzt, bedrückt – lass es vom Wasser wegnehmen. Und dann die Taube vom Himmel. Der Geist. Und die Stimme: Du bist mein geliebter Sohn, an dir habe ich Wohlgefallen. So – wie – du – bist.
Und die Taufe ist das äußere Zeichen für: du bist aufgenommen als Kind Gottes in die Gemeinschaft der Kinder Gottes. Gottes Engel begleiten dich. Du kannst dich in eine Wirklichkeit fallen lassen und sie trägt dich wie Wasser.
Aber Wasser ist nicht nur tragfähig. Wasser ist nicht nur Leben. Waser ist auch Tod. Oder zumindest Todesangst. Und wenn ich wieder auftauche, dann sind nicht nur Sünden weggewaschen (wie auch immer das geht). Dann ist es gleichzeitig überwundene Todesangst.
Dann ist Taufe auch ein Prozess. Und dann sind die letzten Jahre insgesamt eine Taufe gewesen. Immer wieder ein Untertauchen und Hochkommen. Immer wieder auch: Du bist geliebt. Dann geht der Weg jetzt aber auch weiter.
DIE VERSUCHUNG
Die faszinierendste Auslegung der Versuchung Jesu habe ich bei Dostojewski gelesen, „Der Großinquisitor“. Seine These: Jesus wollte, indem er die Aufforderungen des Satans ablehnte, den Menschen ihre Freiheit lassen. Sie sollten nicht durch Wunder, Macht und Versorgung mit Brot überwältigt werden. Doch die Menschen können diese Freiheit nicht ertragen. Deshalb übernahm die Kirche: Sie lieferte Wunder, sie sagte den Menschen, was sie zu tun hatten, sie verteilte das Brot.
Jesus hat es also abgelehnt, für die Versorgung der Menschen zuständig zu sein, ihnen grenzenlose Sicherheit und Geborgenheit zu geben und die Machtfrage ein für alle Mal zu klären. Es geht um Freiheit – erst einmal um unsere Freiheit: Wir sind zuständig. Dafür, dass Menschen satt werden. Dass sie geborgen und sicher sind. Dass sie nicht unter den Mächtigen zu leiden haben. Wer herrschen will, sei aller Diener.
Und ich? Wie hätte ich mich an Jesu Stelle verhalten? Ungefähr vierzig Tage plage ich mich jetzt mit meinem Wirbelsäulensyndrom herum. Gehe zu Ärzten und Physiotherapeuten. Wenn mir jetzt jemand sagen würde, dass ein Wunder geschieht und die Schmerzen wären weg, ein für alle Mal – wäre ich so souverän wie Jesus?
Am Ende dieser Überlegungen ist vieles offen geblieben. Ich habe nicht wirklich das Gefühl, auf den Punkt gekommen zu sein. Vielleicht bringen ja die nächsten Tage mehr Klarheit.