Zuhause

William Somerset Maugham hat einmal geschrieben: „Ich glaube, dass manche Menschen fern von ihrer wahren Heimat geboren werden. Der Zufall hat sie in eine bestimmte Umgebung gestellt, aber sie haben immer Heimweh nach einem unbekannten Land … Bisweilen stößt ein Mensch auf einen Ort, dem er sich geheimnisvoll verbunden fühlt. Hier ist die Heimat, die er sucht; … Hier findet er endlich Ruhe.“

In diesen Worten steckt für mich eine tiefe Weisheit. Aber sie ist nur die halbe Wahrheit. Das lernte ich schon im ersten Semester meines Studiums. Ich wohnte damals im Wohnheim in Neuendettelsau. Auf demselben Gang hatte auch Thomas sein Zimmer, Norddeutscher wie ich. Und bei ihm war immer etwas los. Einen Grund erkannte man sofort, wenn man bei ihm zu Besuch war: In seinem Wohnheimzimmer war es – im Gegensatz zu vielen anderen und auch meinem – sehr gemütlich. „Wie machst du das“, fragte ich ihn. Und er riet mir: „Mache den Ort, an dem du wohnst, zu deinem Zuhause.“

Diesen Rat habe ich immer zu beherzigen versucht. Ich war an vielen Orten zuhause, manchmal nur ein paar Monate, manchmal viele Jahre. Ich war Berliner und Basler und Waabser. Und heute bin ich Niendorfer. Und ich erkannte: Dieses Prinzip gilt nicht nur für Orte. Sondern auch für den Beruf.

Ich habe das große Glück, den Beruf ausüben zu können, der mir liegt, der mir Spaß macht und einfach zu mir passt. Aber immer wieder war es auch eine bewusste Entscheidung, die vor mir liegenden Aufgaben zu erfüllen und mit ganzem Herzen bei der Sache zu sein.

Das fing schon im Studium an. Ich habe Kollegen kennengelernt, die die Ausbildung nur als Durchgangsstation zum Pfarrberuf verstanden haben. Das war für mich anders. Die Studentenzeit hatte ihren Wert in sich, hatte ihre eigenen Gesetze, Freiheiten und Ziele. Ich war gerne Student.

Und bin nun gerne Pastor. Nicht immer passte alles gut zusammen. So wie in Eppendorf zum Beispiel. Dann musste es passend gemacht werden. Und wir kamen nach Niendorf. Wir hatten den Ort gefunden, dem wir uns geheimnisvoll verbunden fühlten.

Trotzdem gab es auch hier Phasen, in denen wir mit der Gemeinde fremdelten und uns wieder aneinander annähern mussten. Zu manchen Menschen mussten wir etwas auf Abstand gehen, zu anderen wurde die Beziehung sehr intensiv. Manche Aufgaben lagen mir nicht so, andere gingen mir leichter von der Hand.

Immer wieder haben wir nachjustieren müssen. Manchmal haben wir uns überfordert, manchmal sind wir hinter unseren Möglichkeiten zurückgeblieben. Immer hatten wir aber das Gefühl: Hier in Niendorf, hier sind wir richtig. Und das gilt offenbar für unsere ganze Familie.

Zuhause zu sein und gleichzeitig Sehnsucht zu haben – ist das nicht geradezu die Grundbedingung des christlichen Lebens? Sich in dieser Welt wohlzufühlen und gleichzeitig unruhig zu bleiben, nach einer besseren Welt Ausschau zu halten, die ruhig schon in unserem Leben Wirklichkeit werden kann. Ein bisschen zumindest.

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