Shelter

John Steinbruck und die Obdachlosen – USA ’88, 5. Teil

Eigentlich waren wir nur nach Washington D.C. gekommen, um Jim Wallis und die Sojourners zu besuchen und intensiv kennenzulernen. Aber mal waren die verantwortlichen Personen nicht da, mal hatten sie keine Zeit. Lese ich mein Tagebuch von damals, spüre ich immer noch die Enttäuschung.

Luther PlaceAber wären wir erfolgreich gewesen, hätten wir Gordon Cosby nicht getroffen. Und auch John Steinbruck nicht, den Pastor der Luther Place Memorial Church, einer alt-ehrwürdigen lutherischen Kirche, die am Thomas Circle und damit mitten im Rotlichtbezirk lag.

Wir kamen gerade noch rechtzeitig in der Gemeinde an, denn John Steinbruck war praktisch schon auf dem Weg in den Urlaub und hatte die Angel schon in der Hand. Trotzdem war er bereit, uns seine Kirche und seine Lebensaufgabe zu zeigen. „Die Armen und die Obdachlosen“, sagte er, „sind die eigentlichen Bewohner des Reiches Gottes und damit Mitglieder der Kirche. Sie haben hier Aufenthaltsrecht. Denn Jesus sagte: Ich bin nackt und hungrig, obdachlos und krank gewesen, und ihr habt mir geholfen. Denn was ihr einem meiner geringsten Geschwister getan habt, das habt ihr mir getan.“

Deshalb hatte er 1976, als Washington einen besonders harten USA 4-10Winter erlebte, die Kirchentüren geöffnet. Und in den folgenden Jahren baute er das Gemeindehaus zu einer Herberge um. Wir besichtigten den Schlafraum und wurden dem Arzt vorgestellt, der die Obdachlosen einmal in der Woche ehrenamtlich betreute.

usa-4-11.jpgAuch im Reich Gottes gibt es Regeln, zumindest wenn es auf der Erde gebaut wird. Jeden Dienstag musste die Bettwäsche gewechselt werden, und tagsüber durfte man sich im Schlafraum nicht aufhalten. Das galt auch für den Rasen vor der Kirche. Auf unserem Rundgang entdeckten wir Steinbruckeinen älteren Mann, der sich dort ausruhte. Damit war John gar nicht einverstanden. Er baute sich in seiner ganzen beeindruckenden Größe vor dem Mann auf – und der zog es vor, das Weite zu suchen.

Die Arbeit mit den Obdachlosen prägte die Gemeinde und nahm sehr viele Kräfte in Anspruch. Doch John Steinbruck wollte noch mehr. Gegenüber der Kirche besaß die Gemeinde einige Häuser, die auch als Bordelle USA 4-23genutzt wurden, genannt das N Street Village. Als ein Zuhälter einmal eine Frau aus dem Fenster warf, sollten diese Häuser verkauft werden. Doch auf die Initiative von John Steinbruck hin wurden sie umgewandelt in Wohnungen. Heute heißen sie Sarah, Dietrich Bonhoeffer, Dag Hammarskjöld, Raoul Wallenberg. Volunteers, Freiwillige, leben dort mit den Armen.

Steinbruck GoDiAls wir 2010 eine Familienreise in die USA unternahmen, haben wir auch einen Gottesdienst am Thomas Circle besucht. Er war, wie lutherische Gottesdienste in Amerika nun einmal sind – für unsere Kinder, die andere Gemeinden gewohnt waren, „langweilig wie in Deutschland“. Aber die Arbeit lebt. Und ich meine, dass die Pastorin den Komplex gegenüber der Kirche „John Steinbruck Village“ nannte. Er war also offenbar schon zu Lebzeiten eine Legende. Vor drei Jahren ist er gestorben.

Hier in Hamburg hat eigentlich die Stadt die Aufgabe, für die Obdachlosen da zu sein. Sie betreibt das Pik As und andere Einrichtungen. Doch ohne die Kirchen würde es düster aussehen. Auch das Diakonische Werk betreibt Übernachtungs- und Tagesstätten, schickt den Mitternachtsbus zu den Menschen auf der Straße und organisiert die Obdachlosenzeitschrift „Hinz und Kunzt“. Unsere Nachbargemeinde, die katholische St.-Ansgar-Kirche, hat die „Alimaus“ ins Leben gerufen, im Kirchenkreis existieren verschiedene Projekte zum Thema „Wohnen unter dem Kirchturm“, in die Behinderte, Senioren oder Obdachlose eingebunden sind. Auch unsere Gemeinde macht mit beim Winternotprogramm. Und wenn wir uns bei der geplanten Bebauung auf der Fläche Tibarg 34 mit dafür einsetzen, dass dort auch Einrichtungen für Flüchtlinge, Senioren, Einsame, Menschen mit geringem Einkommen oder mit Behinderungen entstehen, dann handeln wir ganz bestimmt im Sinne Jesu: „Was ihr einem meiner geringsten Geschwister getan habt, das habt ihr mir getan.“ (Matthäus 25, 40)

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Die Bilder:
Das Beitragsbild zeigt das N Street Village: By AgnosticPreachersKid – Own work, CC BY-SA 3.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=8650322
Die Kirche mit dem Luther-Standbild, einer Kopie der Wittenberger Statue, und das Foto vom Gottesdienst: © Erik Thiesen
Die übrigen Bilder: © Johannes Jurkat

 

 

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