Caring Community

Ein Kirchengemeinderatstag

Die Kirchengemeinde Niendorf hatte es nicht leicht in den letzten Jahren. Das Personalkarussell hat ordentlich rotiert. Nicht nur im Pastorenkreis, sondern auch in der Kirchenmusik und der Jugendarbeit. Bau- und Finanzfragen, Friedhof und Jubiläum, Internet und Gemeindebrief, überall gab und gibt es Handlungsbedarf. Da ist es nicht leicht, den Blick über den (Teller-)Rand der Gemeinde zu werfen. Und so ist die Arbeit an einem Leitbild vor einigen Jahren wieder eingestellt worden. Größere Würfe hatten es eben schwer.

Bis vor wenigen Monaten. Mitarbeitende nahmen an einer Fortbildung über „Caring Community“ teil, der Begriff wurde in die Ausschreibung der Pfarrstelle aufgenommen, und am letzten Sonnabend gab es dazu einen Kirchengemeinderatstag.

Wie ich es sehe, kann Gemeinde zwei Richtungen einschlagen. Die eine ist: Die Kirche steht der Welt gegenüber, als „Gemeinschaft der Heiligen“ in einem nichtchristlichen Umfeld – wobei heilig zunächst einmal nur heißt: zu Gott gehörend. Das war damals in der DDR normal. Und diejenigen, die damals sozialisiert wurden, tragen dieses Bild oft auch heute in sich. Die andere ist: Die Gemeinde steht in der Welt und ist ein Teil dieser Gesellschaft. Dieses Bewusstsein sehe ich besonders im westdeutschen Protestantismus. Ihren Leitsatz hat Dietrich Bonhoeffer formuliert: „Die Kirche ist nur Kirche, wenn sie für andere da ist.“ Und beim Propheten Jeremia steht der Gedanke: „Suchet der Stadt Bestes!“ (Jer. 29,7)

Ich sympathisiere deutlich mit diesem zweiten Ansatz. Deshalb halte ich auch so viel von der Flüchtlingsarbeit der Gemeinde und von der Vernetzung mit allen möglichen Vereinen, Parteien und Menschen im Stadtteil. Und wenn mich nicht alles täuscht, hat sich am Sonnabend auch der KGR dafür ausgesprochen: Ja, wir wollen Caring Community. Ja, wir wollen die Vernetzung mit dem Stadtteil. Ja, wir wollen mit anderen Akteuren zusammenarbeiten zum Wohle Niendorfs. Natürlich wünschen wir uns, dass sich auch dadurch die Rolle der Gemeinde in der Öffentlichkeit stabilisieren könnte. Aber das steht nicht im Mittelpunkt. Es geht nicht um Mission, sondern um die Menschen. Und wenn Mission, dann im Sinne Fulbert Steffenskys: „Zeigen, wer man ist und was man liebt.“ Ihr könnt euch vorstellen, dass ich mich am Sonnabend rundum wohl gefühlt habe.

caring Referenten1.jpgMiriam Meyer hat es mit Thorsten von Borstel auch gut geleitet. Und am Nachmittag hat sie von ihrer Arbeit erzählt, „Q8“ in Winterhude-Uhlenhorst: Wie man seit 2012 dabei ist, gute Nachbarschaftsstrukturen aufzubauen, vor allem für die, die es nötig haben. Wie Feste organisiert und Netzwerke gebildet werden. Verschiedene Projekte für Familien, Senioren oder Flüchtlinge wurden aufgebaut.

Manches kam uns bekannt vor – wir machen es bereits. Aber beeindruckend fand ich vor allem, wie zielstrebig und professionell an der Netzwerkstruktur gearbeitet worden war. Ich finde es auch hilfreich, sich grundsätzlich Gedanken zu machen: Q8 steht für acht Lebensfelder im Quartier: Wohnen, Bildung/Kultur, Gesundheit, Ausbildung/Beruf, lokale Wirtschaft, Assistenz/Service, Kommunikation und Spiritualität.

Genau, bin ich immer wieder versucht zu sagen, darum geht es. Ich bin gespannt, wie wir es in der nächsten Zeit umsetzen werden. Denn die „Normativität des Faktischen“, die Zwänge und Anforderungen des Alltags kosten viel Kraft.

Aber ich bin zuversichtlich. Denn am Ende machten uns Miriam Meyer und Thorsten von Borstel noch einmal schöne Komplimente: Sie hätten es nur äußerst selten erlebt, dass eine Gemeinde sich ohne Not mit solchen Fragen beschäftigt. Und sie meinten, die Atmosphäre unter uns wäre ausgesprochen konstruktiv und positiv gewesen.

Und das fand ich auch.

 

9 Gedanken zu “Caring Community

  1. Thomas Jakob schreibt:

    Caring Community klingt ja gut, aber was heißt es genau. Sich kümmernde/sorgende/fürsorgliche Gemeinschaft/Gemeinde? Ich glaube, man muss das schon noch einmal auf Deutsch auf einen Begriff bringen. Jedenfalls wünsche ich Euch viel Erfolg damit!

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  2. Ralf Liedke schreibt:

    Der Gegensatz stimmt mich nachdenklich – hier die Caring Community, dort die „Gemeinschaft der Heiligen“, wobei ich letzteren Begriff antquiert finde.

    Ich glaube, dass die Kirche gut daran tut, beide Seiten miteinander zu verbinden und zu leben. Nur Caring Community greift für mich zu kurz, denn Kirche hat für mich auch einen ganz originären Auftrag und eine Mission. Das macht sie unverwechselbar gegenüber anderen Institutionen. Lässt man diesen fallen, droht Kirche in die Beliebigkeit zu anderen sozialen Organisationen zu fallen.

    Das ist mir zu wenig.

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  3. gebrocheneslicht schreibt:

    Lieber Thomas, Du hast Recht: der Begriff ist noch recht offen und zeigt eher die Richtung an. Caring Community kommt im Altenbericht der Bundesregierung ebenso vor wie als Programm der „Stiftung Alsterdorf“, der größten Behinderteneinrichtung in Norddeutschland, die vor Jahren begann, die Unterbringung dezentral in den Stadtteilen zu organisieren. Was dieser Begriff für uns bedeuten kann, versuchen wir herauszufinden. Zumindest ist es unser Wunsch, in Gemeinde und Stadtteil füreinander da zu sein.

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  4. Ralf Liedtke schreibt:

    Vielleicht bin ich doch nicht so beruhigt, wie es mir im ersten Moment erschien. Warum diese „Kehrtwendung“? Sicher fehlen mir die Hintergründe der bisherigen Diskussion im „betuchten“ wie auch legitim gewählten Kreis. Ein erster möglicher Widerspruch, den es zu konkretisieren lohnte. Auch bin ich nicht mehr Teil der Gemeinde, nach meinem Wegzug aus Hamburg.

    Ich denke weiter nach und neue Fragen entstehen: Fndet diese für mich so elementar wichtige Auseinandersetzung mit Grundsatzfragen und so auch der Rolle von Kirche nicht wieder in einem „elitären“ Kreis statt? Reicht das wirklich? Deckt dies die verschiedenen Richtungen innerhalb der Kirche ab? Braucht es in diesen grundsätzlichen Fragen nicht noch viel mehr Offenheit nach innen wie nach außen?

    Wie „automom“ wäre eine Kirchengemeinde, die sich in beschlossenen Grundsatzfragen – ihrer Vision, Mission wie ihren Zielen – als „Zankapfel“ anderen gegenüber erweisen könnte? Aber auch: welchen Nutzen oder „Schaden“ könnte dieses haben.

    Warum stelle ich diese Fragen? Vielleicht suche ich nach überzeugenden Antworten für eine lebendige Kirche der Zukunft, der ich trofz Zweifel nach vielen Jahren nach Abstinenz wieder beigetreten bin, Und Hamburg-Niendorf war ein guter neuer Ort, der mir gut tat.

    Schade, dass zu diesen Fragen wenig kam: Ich finde das fast beschämend.

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    • gebrocheneslicht schreibt:

      Lieber Ralf, diesmal lässt Du mich etwas verwirrt zurück, weil ich nicht weiß, was Du im Einzelnen genau meinst.
      Was verbindest Du mit dem Wort „Kehrtwendung“? Ist es die veränderte Blickrichtung – nicht auf sich selbst schauen, die eigenen Finanzen, Bauvorhaben, aber auch Kreise und Arbeitsbereiche, sondern die Menschen im Stadtteil, im Quartier in den Blick nehmen: Was brauchen sie? Wie kann Kirche dem Stadtteil gut tun?
      Du schreibst: Findet diese für mich so elementar wichtige Auseinandersetzung mit Grundsatzfragen und so auch der Rolle von Kirche nicht wieder in einem „elitären“ Kreis statt?
      Der Kirchengemeinderat ist das Leitungsgremium der Gemeinde. Wo, wenn nicht hier, sollte die Diskussion beginnen und geführt werden? Es ging und geht ja auch nicht um die Rolle „von Kirche“, sondern um die Ausrichtung der Gemeinde Niendorf. Welche Konsequenzen das hat, ist noch völlig offen. Erst einmal müssen die KGR-Mitglieder, die nicht dabei sein konnten, informiert werden. Erst dann können weitere Schritte ins Auge gefasst werden: Evaluierung der Möglichkeiten, Fragestellungen, Ressourcen, Notwendigkeiten vor Ort, und das heißt: Kirchengemeinde und Stadtteil.
      Und was meinst Du damit, dass sich die Kirche als „Zankapfel“ erweisen könnte?
      Auf eine Antwort freut sich
      Erik

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      • Ralf Liedtke schreibt:

        Lieber Erik, Deine Verwirrung kann ich in gewisser Weise nachvollziehen. Vielleicht sollte „man“ nach mehrstündiger harter und ungewohnter Gartenarbeit keine geistigen Anstrengungen mehr unternehmen.

        Was war meine Intention oder warum schrieb ich von „Kehrtwendung“? Wir sind absolut einig darin, dass Kirche beide Seiten erfüllen sollte – Caring Community und Spiritualität/ Beschäftigung mit den christlichen Grundwerten und Botschaften. Und beides lässt sich zweifellos auch verbinden.

        Der KGB ist als gewähltes Leitungsgremium verantwortlich dafür, sich um eine klare Ausrichtung der Gemeinde für die Zukunft zu kümmern. Insofern muss die Diskussion in diesem Rahmen sicher auch beginnen. Ich sehe vielleicht anders als Du, dass mit der Ausrichtung der Gemeinde immer auch die Beschäftigung mit ihrer Rolle involviert ist. Das ist für mich nicht trennbar und das ist auch in Ordnung.

        Ich habe jetzt auch verstanden, dass der Prozess/ das Projekt noch „in den Kinderschuhen“ steckt. Im Prinzip bahnt sich hier ein (notwendiger) Veränderungsprozess an. Aus meinen beruflichen Erfahrungen weiß ich, wie wichtig ist, schon im Vorfeld zu überlegen, wie man die „Betroffenen/ Beteiligten“, also die Gemeinde, frühzeitig einbindet: informativ, kommunikativ oder auch auf die unmittelbare Art und Weise einer frühen „Mitgestaltung“. Vielleicht böte dies auch die Chance, heute passive Mitglieder oder sogar Außenstehende zu erreichen und neu anzusprechen.

        Möglicherweise habt Ihr diesen Aspekt bereits in Eure Überlegungen einbezogen. Ansonsten gibt es schöne und spannende Formen von höchst interaktiven „Großveranstaltungen“, die dieses in einem etwas späteren Stadium der weiteren Ausgestaltung leisten könnten.

        „Zankapfel“ bezog sich darauf, dass ich durchaus Sorge habe, dass bei nicht ausreichender Kommunikation und Einbindung solche Ausrichtungsfragen eine Gemeinde auch spalten können.

        Ich hoffe, nun mehr zur Erhellung meiner Intention beigetragen zu haben. Lass hören, ich freue mich zu hören.
        Ralf

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