Lockere Beziehung

Retschow ist eine kleine Gemeinde in Mecklenburg, knapp vor Bad Doberan. Sie war zu DDR-Zeiten die „Patengemeinde“ von Niendorf-Markt und schon mit Steffenshagen fusioniert, als ich sie mit meiner Familie und einem Gemeindeglied, das sich schon lange in der Partnerschaftsarbeit engagiert hatte, zum ersten Mal besuchte.

Retschow KircheEs war Anfang der Neunzigerjahre, und für mich die Reise in eine noch ziemlich unbekannte Welt. Der Pastor erzählte von den gesellschaftlichen und finanziellen Schwierigkeiten in der DDR-Zeit und der Irritation, dass er nun viel mehr verdiente als seine Gemeindeglieder. Wir wurden in den Bibelkreis eingeladen, der nach meiner Erinnerung aus einigen älteren Mitgliedern bestand. Ich sollte von Niendorf erzählen. In der Gemeinde waren wir damals gerade dabei, ein paar Häuser zu bauen, und wir hatten einen Haushalt von gut 1 Mio DM. Der Jahresetat der Gemeinde in Retschow bewegte sich dagegen im dreistelligen Bereich – ich glaube nicht, dass ich unsere Sorgen und Nöte verständlich machen konnte. Retschow Pfarrhaus

Die alte Dorfkirche wurde von unten her feucht und besaß keine Heizung. Im großen Pfarrhaus wohnte eine Familie aus Hamburg-Sasel, die sich ihren Traum vom Land erfüllte. „Im Sommer wunderschön“, sagten sie, „da haben wir auch viel Besuch; die Bettwäsche wird dann kaum trocken. Aber im Winter stehen wir bis zu den Oberschenkeln im Schlamm, wenn wir das Haus verlassen, und es kann ganz schön einsam werden.“ Heute wohnen sie in Bad Doberan. Ein pensionierter Landessuperintendent wollte in Retschow ein geistliches Zentrum aufbauen. Die Pläne wurden nicht verwirklicht.

1994 machten wir mit der Familie Urlaub im Nachbarort Rethwisch – es war eine Woche mit sehr eingeschränktem Komfort. Damals unterhielten wir uns auch mit dem dortigen Pastor. Er machte einen sehr konservativen und sehr deprimierten Eindruck und war sehr enttäuscht, dass der erhoffte Aufbruch der Kirche nach der Wende ausgeblieben war.

Retschow Altar

Der „Mühlenaltar“ zeigt die Wandlung beim Abendmahl. Die vier Evangelisten schütten das Wort Gottes in den Trichter, die zwölf Apostel treiben die Mühle an, vier Kirchenväter halten den Kelch der Eucharistie, „den Leib und das Blut Christi“

Dann schlief der Kontakt für viele Jahre ein. Weder in Niendorf noch in Retschow gab es Menschen, denen die Beziehung so sehr am Herzen lag, dass sie eine mehrstündige Reise auf sich genommen hätten. Erst 2002 versuchte ich den Kontakt wieder aufzunehmen. Zum Kirchentag war der Pastor Kai Feller auch mit seiner kleinen Konfirmandengruppe  in Hamburg. Und als ich mit Freunden in Bad Doberan war, besuchten wir  in Retschow den Gottesdienst. Er wird mir in Erinnerung bleiben. Es war November und eiskalt – die Kirche hatte immer noch keine Heizung bekommen. Und außer uns Gästen aus Hamburg waren nur Personen anwesend, die an der Gottesdienstgestaltung beteiligt waren: Pastor, Küsterin, Lektorin, Organist und dessen Frau.

Ehrlich gesagt, die Situation in der Gemeinde hat mich über die Jahre oft eher deprimiert. Aber es tut sich etwas. Vor zwei Jahren kamen wir auf unserer Männerpilger-Tour in Retschow vorbei. Eine Kirchenvorsteherin erklärte uns den Mühlenaltar, lud uns zu Saft und Kuchen ein, erzählte von gut besuchten Erntedankgottesdiensten und der erfolgreichen Arbeit des Fördervereins und zeigte uns ihren Museumshof. Wir blieben viel länger als geplant.

Retschow Denkmalhof.jpg

Denkmalhof Pentzin, Klüterkammer

Überhaupt fällt mir in der letzten Zeit auf, dass sich die östlichen Landeskirchen nicht mehr ausschließlich an der Volkskirche im Westen orientieren. Sie beginnen eigene Modelle zu entwickeln. In Mecklenburg heißt es „Stadt, Land, Kirche – Zukunft in Mecklenburg“, in der Ev. Kirche in Mitteldeutschland nennen sie es „Erprobungsräume“. Und ich habe den Eindruck, dass wir von ihnen viel lernen können.

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Bildnachweis:
Beitragsbild Kirche Retschow: By An-d – Own work, CC BY-SA 3.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=20864590
Kirche Retschow: By An-d – Own work, CC BY-SA 3.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=20864609
Pfarrhaus Retschow: By An-d – Own work, CC BY-SA 3.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=20865969
Retschower Mühlenaltar: By An-d – Own work, CC BY-SA 3.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=20865354
Denkmalhof (c) Erik Thiesen

 

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