Gottes Stellvertreter

Ein Vorbild im Glauben soll er sein, unser Pastor – oder sie, unsere Pastorin. Und sein Lebenswandel sei untadelig. Und vor allem: Immer und überall ansprechbar. Manche mögen nun sagen: Das ist aber ein sehr altmodisches Pastorenbild. Aber selbst wenn wir in den Gemeinden liberaler geworden sind – so steht es im Pfarrergesetz.

Im Fachjargon heißt das Residenzpflicht. Mir als Pastor wird von der Gemeinde eine Wohnung zur Verfügung gestellt. Im Gegenzug stelle ich meine gesamte Zeit, meine Kraft und meine Wohnung der Gemeinde zur Verfügung. Eine Trennung von privat und dienstlich ist nicht vorgesehen, weder zeitlich noch räumlich. So heißt es in einem Kommentar zum Pfarrergesetz von 1994.

Glücklicherweise macht damit keine Gemeinde wirklich ernst. Wenn es aber zum Konflikt kommt, haben die Geistlichen meist die schlechteren Karten. Denn die Ansprüche können sie nie erfüllen.

Genau das wollte ich vor gut 20 Jahren einmal in unserem Pfarrteam besprechen. Damals hatten wir am Markt noch vier Stellen: zwei volle Stellen, eine halbe und den Propsten, offiziell eine viertel Stelle. Und weil das Thema doch kompliziert wurde, holten wir den Kirchenkreis-Psychologen dazu. Meine These: Wenn wir das Pfarrergesetz ernst nehmen, überfordern wir uns strukturell. Die Antworten meiner Kollegen und der Kollegin haben mich alle nicht überzeugt:

„Ich bin immer für die Gemeinde da. Wenn zur Mittagszeit jemand an der Tür etwas von mir will, wird das Essen eben kalt.“

„Ich grenze mich ab. Wenn meine Arbeitszeit vorbei ist, gehe ich nicht mehr an die Tür.“

„Wer seinen Terminkalender ordentlich führt, hat auch keine Zeitprobleme.“

Und der Psychologe meinte zu mir: „Sie müssen ja sehr schwer an Ihrem Amt tragen.“

Tat ich nicht. Aber ich wollte auch in Ruhe zu Mittag essen, ohne meine Verantwortung der Gemeinde gegenüber zu vernachlässigen. Und ich wollte auch nicht bei jedem Gespräch auf die Uhr schauen.

Es gelang mir auch nicht zu vermitteln, dass es mir weniger um den persönlichen Umgang mit eigenen und fremden Ansprüchen ging. Mein Anliegen war es, die kirchlichen Vorgaben zum Thema zu machen. Ich fand und finde bis heute, dass sie Forderungen stellen, die unmöglich zu erfüllen und eher an den Fähigkeiten Gottes – Allmacht und Allgegenwart – als an denen der Menschen orientiert sind.

Doch ehe andere den Eindruck bekamen, dass ich mich in meinem Beruf überfordert fühlte, ließ ich das Thema lieber fallen.

Ein paar Jahre später tauchte es dann aber plötzlich doch wieder auf. Das Deutsche Pfarrerblatt brachte Artikel der Professorinnen Isolde Karle und Uta Pohl-Patalong zum Pfarrerbild, Andreas von Heyl forschte zum Burnout in unserem Berufsstand – ich war mit meinen Fragen offenbar nur ein wenig zu früh dran gewesen.

Bis heute wurde das „Pfarrdienstgesetz“ nicht wesentlich verändert. Immer noch geht man von der Residenzpflicht und einer ständigen Erreichbarkeit aus. Das ist ja durchaus auch eine Stärke dieses Berufes.

Aber wo ist die Grenze?

4 Gedanken zu “Gottes Stellvertreter

  1. Jutta Seeland schreibt:

    Also, das finde ich unfassbar übergriffig – auf die Pastoren!
    Klar, ist es gut, einen Ansprechpartner zu haben, der sofort verfügbar ist – IM NOTFALL!
    Nun weiß ich aus dem ärztlich-kollegialen Umfeld, dass die Definition des Begriffes „Notfall“ individuell sehr unterschiedlich ausfällt…
    Ich halte eine vernünftige Abgrenzung (Mittagspause, keine späteren Anrufe als 18 Uhr, nachts gar nicht – es sei denn, Pfarrers Haus brennt, und er hat es noch nicht bemerkt) für absolut unabdingbar in einem Beruf mit viel menschlichem Kontakt! Die „seelische Ökologie“ der Pastoren ist doch wichtig!
    Es bedeutet wirklich eine idiotisch-riesige Überforderung, von jemandem zu verlangen, er müsse immer zur Verfügung stehen! 365 Tage im Jahr – in Schaltjahren noch 1 Tag mehr, 24 Stunden? Das ist verordnete Folter!
    Ich weiß, dass man nur hilfreich sein kann für andere Menschen, wenn man sich auch verantwortungsvoll um sich selbst kümmert. Dafür MUSS man sich abgrenzen!
    Die Burnout-Zunahme wundert mich nicht. Gab es früher sicher weniger, weil die Anspruchshaltung der Menschen eine andere war. Im Zeiten des pausenlos zur Verfügung stehenden Internets gibt es keine Rücksicht auf die Bedürfnisse des „Leistungserbringers“ mehr. Umso wichtiger sind klare Ansagen zur eigenen Verfügbarkeit – mit der notwendigen Abgrenzung!

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  2. Ove Sachse schreibt:

    Ich würde als „Nutznießer“ der Pastorenschaft auch nie verlangen wollen, dass sie rund um die Uhr vor Ort und erreichbar sein muß. Zu „normalen“ Tageszeiten sollte, wenn der Pastor nicht erreichbar ist, mit Hilfe der heutigen Technik aber ein Hinweis gegeben werden, wo man sich Hilfe holen kann.
    Ich traure auch den Zeiten nach, als die Pastorenfrau mit Rat einsprang, weil sie durch ihre damals noch reichliche Kinderschar an das Haus gebunden war. Berufsethik verlangt man vom Arzt. Sie sollte aber auch im Pastorenamt Gültigkeit haben. Das muß sich nicht widersprechen. Ein heißes und bisher wohl unbefriedigtes Thema.

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    • gebrocheneslicht schreibt:

      Hallo Lieblings-Ove,
      ich als Pastorenfrau mit einer (mittel-)großen Kinderschar würde Dir auch jederzeit mit Rat (und Tat, wenn nötig!) zur Seite stehen. Komm einfach vorbei – aber schreib vorher eine WhatsApp, damit ich auch zuhause bin 😉
      Herzliche Umarmung von Ute

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  3. Ralf Liedtke schreibt:

    Das ist leider ein Kernproblem der sogenannten „helfenden“ Berufe. Das Dilemma der Abgrenzung und auch des Nein-Sagen-Könnens. Die Seite derer, denen „geholfen“ werden soll, ist nur die eine. Es gibt auch die andere, die der scheinbar uneigennützlichen Helfer, die bis ans letzte gehen und dann zuweilen auch scheitern – seien es Lehrer, Sozialarbeiter usw. wie vermutlich auch Theologen.

    Diesen Berufen ist gemeinsam, dass sie Menschen anziehen, die helfen wollen. Das ist die gute Seite. Aber auch Helfer müssen für sich sorgen, um ihren Energiehaushalt und ihre Kraft stabil zu halten. Ich habe viele Menschen kennengelernt, die sich letztlich in einer „Retter-Rolle“ eingerichtet hatten und jeden professionellen Abstand verloren hatten. „Opfer“ findet man allenthalben und nicht alle sind so hilflos, wie sie scheinen. Auch diese haben sich mitunter behaglich in ihrer Rolle eingerichtet. Das kann ein wahres „Teufels-Dreieck“ werden.

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