Heinrich Bedford-Strohm ist mit dem Reformationsjubiläum zufrieden, Margot Käßmann sowieso, Thies Gundlach auch, wie man auf evangelisch.de hören kann. Friedrich Schorlemmer und Christian Wolff nicht so, wie sie in ihrem Memorandum öffentlich machten. Sie sind „beunruhigt, dass sich die Begeisterung für die Themen des Reformationsjubiläums sehr in Grenzen hält und es in diesem Jahr noch nicht gelungen ist, zum Kern reformatorischer Erneuerung der Kirche vorzudringen“.
Was also wollen sie besser machen als Thies Gundlach, der „Cheftheologe der EKD“, der in einem Artikel der Zeitschrift „Pastoraltheologie“ ebenfalls nach der Relevanz der Reformation gefragt hat?
Gundlach sucht zunächst nach den Gemeinsamkeiten zwischen uns und den Menschen des Mittelalters. Er findet sie in der Angst: Damals hatten sie Angst vor der Hölle, heute seien die Ängste „diesseitiger und innerweltlicher geworden sind, aber nicht geringer“, wie er schreibt. Die Antwort auf diese Ängste ist aber im Grunde die gleiche, wie er meint: „Fürchte Dich nicht, diese biblische Grundbotschaft hat Luther wieder und neu freigelegt, und sie kann uns auch heute noch Freiheit eröffnen.“
Schorlemmer und Wolff dagegen meinen nun, dass es die Organisatoren des Reformationsjubiläums versäumt hätten, die „Krise der Kirche in der säkularen Gesellschaft offen anzusprechen“.
Nun ist ihre Diagnose des gegenwärtigen Menschen nicht allzu weit von der Gundlachs entfernt. Viele Menschen, sagen sie, suchen „ihren Platz in der Gesellschaft, suchen nach Anerkennung und Zuwendung und strampeln sich dabei genauso ab wie Martin Luther vor 500 Jahren“.
Deshalb hören sich ihre Lösungsvorschläge wohl auch ähnlich an. Wenn sie sagen, dass es gilt, „Glauben zu vermitteln, Menschen durch den Zuspruch des Evangeliums zu stärken, gesellschaftliche Verantwortung wahrzunehmen“, dann meint Gundlach: „Unser Glaube hilft der Welt, wenn er den inneren Menschen stärkt, die Seele des angefochtenen Menschen tröstet, den Geist der Güte verbreitet und Ruheräume für strapazierte Seelen entwickelt.“ Und: „Nicht der Rückzug aus der Welt, sondern die Hinwendung zu ihr entspricht reformatorisch geprägter Frömmigkeit.“ Und wenn Gundlach schreibt: „Es gehört zur Grundaufgabe jedes Glaubenden, Gemeinschaft aufzusuchen und Gemeinschaft zu gewähren“, dann sehe ich keinen großen Unterschied zu Schorlemmer und Wolff: „Christliche Gemeinde wird nur dann überleben, wenn sie entlastende und verbindliche Menschennähe will, praktiziert und ermöglicht.“
So unterschiedlich die Theologen ansetzen, ihre Haltung zur Welt ist die gleiche: Wir sagen euch, woran ihr krank seid (Angst), und wir geben euch die Medizin (Glaube an einen gnädigen Gott). Was „die Welt“ davon halten könnte, haben zwei Atheisten auf dem „Ketzerpodcast“ diskutiert. Es lohnt sich, diese Stunde anzuhören, auch wenn man sich als Christ danach richtig mies fühlen könnte.
Aber besteht nicht genau hierin das Prinzip unserer Gottesdienste? In der Predigt erklären wir die Welt und erstellen Gegenwartsdiagnosen, um dann eine Lösung zu präsentieren, die möglichst irgendwie mit dem Predigttext zusammenhängt.
Könnte es sein, dass auch deshalb der Buddhismus dem modernen Menschen näher liegt? In den Tempeln des Ostens werden keine Predigten gehalten. Dort leben Mönche, zu denen die Menschen kommen, um eine Kerze anzuzünden, zu beten – und sich von ihnen ihr Leben deuten zu lassen. Und wenn es eine hilfreiche Deutung war, kommen sie wieder.
Dieser Ansatz fasziniert mich. Nicht die Antwort schon kennen, ehe eine Frage gestellt wurde. Erst zuhören. Dann erst wird sich zeigen, ob die reformatorische Botschaft – was immer sie auch ist – überhaupt noch eine Relevanz hat.
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Der Aufsatz von Thies Gundlach in der „Pastoraltheologie“ ist leider nicht öffentlich zugänglich, aber hier findet sich eine gute Zusammenfassung.
Beitragsbild: Ferdinand Pauwels – flickr, Public Domain, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=3767049
Da ist vieles dran, was ich teile und was mir aus dem Herzen spricht. Unsere Kirche als Institution hätte, wenn sie den radikalen Gedanken der Reformation wirklich ernst geteilt hätte, ganz anders handeln können und müssen. So ist eine großeChance verpasst worden und macht sich doch an vielen Stellen auch intern Ernüchterung breit. Doch will ich mich nicht wiederholen.
Wenn Religion in der Zukunft noch eine Rolle spielen soll und will, wird sie sich neu und anders definieren müssen und auch ihre Institutionen werden sich ändern müssen.
Die Dilemmata liegen viel tiefer, als sie die „Chefdenker“ und Repräsentanten der EKD bislang zu beschreiben versuchen. Ich unterstelle Ihnen wirklich gute Absichten und besten Willen, doch bleibt der Blick viel zu sehr im tradierten System behaftet. So versucht man sich in der „Moderne“ und dem „Zeitgeist“, kratzt an der Oberfläche aber bleibt letztlich der eigenen „Komfortzone“ treu. Bräuchte es stattdessen nicht offene Zweifel, ein Infrage stellen des Gestrigen und den Versuch eines radikalen Denkens nach vorn?
Ich habe in den letzten Wochen den „Homo Deus“ von Yuval Noah Harari gelesen.Für mich war es eine echt faszinierende Lektüre, begegnete ich einem Buch, was ich am wahrsten Sinne des Wortes verschlungen habe. Es bietet keine Lösungen für die Zukunft, beschreibt aber mögliche Entwicklungsperspektiven, die für mich nicht utopisch klingen. Die Angst machen können oder zumindest große Zweifel säen, was die Zukunft des Menschen betrifft. In dem gesamten Werk versucht Harari immer wieder, die Rolle der Religionen näher zu fassen, ihre Bedeutsamkeit und ihr Wirken wie aber auch den scheinbar unabänderlichen Weg in eine zunehmende Bedeutungslosigkeit. Für mich könnten diese Gedanken einen Fundus bieten, radikal nach vorn zu schauen, um sich als Christ, als Kirche und auch als Religion neu zu „erfinden“.
Auf eine andere Quelle einer möglichen Neubesinnung hast Du, Erik, an anderer Stelle hingewiesen: Das ebenfalls interessante Buch von Eugen Drewermann, Wendepunkte oder Was eigentlich besagt das Christentum? Hier las ich bislang nur das längere Vorwort – doch auch dieses machte Lust auf mehr und lädt zu einem offenen Diskurs über die Zukunft von Religion ein.
Beide Autoren versuchen ernsthaft, sich mit der Wirklichkeit auseinanderzusetzen, den Widersprüchlichkeiten und passen sich eben nicht dem konformen „Zeitgeist“ an. Hier spürt man noch das Bemühen, an die Wurzeln der Probleme zu gelangen.
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