Hineni. Eine Predigt

Predigt von Thomas Engel (Bordesholm) zu 2. Mose 33

thomas-engelLesung Exodus 33,17-23: „Lass mich deine Herrlichkeit sehen.“

Mich beschäftigt zur Zeit sehr stark die schwere Krebserkrankung eines sehr guten Freundes. Wenn wir miteinander sprechen, geht es häufig um die Frage: „Was hat Gott sich damit gedacht, dass er mir diese Krankheit schickt.?“ Mein Freund formuliert es gerne auch noch provokativer: Was für ein fieses Spiel treibt dieser Herr da oben mit mir?

Bisher hat mein Freund als überzeugter Christ gelebt, und auch jetzt – in der schweren Phase immer neuer Krebsmetastasen – ist es nicht so sehr der grundsätzliche Zweifel an Gott, der ihn plagt, sondern der Zweifel an Gottes guter Führung.
Er fragt: Wo führst du mich hin ? Was bezweckst du damit, für mich, meine Familie, meine Arbeit?

Es gibt viele vermeintlich weise Antworten darauf, auch theologische, die das Problem aber nur verdrängen. Zunächst einmal müssen wir, muss ich einfach einmal zur Kenntnis nehmen, dass Menschen Gottes Wege nicht für gut halten, dass sie ihn nicht verstehen, oder eben doch verstehen – und zwar in dem Sinn: Gott hat es nicht gut eingerichtet.

Und so kommt unweigerlich die harte Frage in den Sinn: Kann es sein, dass Gottes Wege nicht gut sind ? Kann Gott böse Gedanken haben ?
Oder, was hast du dir dabei gedacht, Gott?

Beim letzten Besuch bei meinem Freund spielte er mir ein Lied von Leonard Cohen vor:
Der bekannte Songwriter starb Anfang November 2016, zwei Wochen vorher kam sein letztes Album heraus, darin ist als Hauptlied, dass dem Album den Namen gab: „You want it darker“. Es lohnt sich, dieses einmal unter youtube anzuhören. Im Text heisst es:

YOU WANT IT DARKER ( Leonard Cohen )

Wenn du die Karten gibst
, bin ich aus dem Spiel
Wenn du der Heiler bist, bedeutet das:
Ich bin gebrochen und gelähmt
Wenn dir der Ruhm gebührt,
dann 
Gebührt mir wohl die Schande
Du willst es dunkler
Wir töten die Flamme
Gelobt, gepriesen
Sei dein heiliger Name
Verunglimpft, gekreuzigt
In der menschlichen Gestalt
 Millionen Kerzen brennen
Für die Hilfe, die niemals kam
Du willst es dunkler

Hineni, hineni (Hier bin ich, hier bin ich)
Ich bin bereit, mein Gott

In gewisser Weise empfinde ich diese Liedzeilen als Ausdruck der letzten Gedanken von Leonard Cohen, geprägt von Zweifel und Widerspruch, deprimierende Fragen in die Dunkelheit.

Am Ende einer jeden Strophe heißt es dann aber: Hineni, was hebräisch ist und übersetzt wird mit: Hier bin ich –
eine Antwort, die man oft bei den Propheten lesen kann, wenn Gott sie anruft und anspricht und beauftragen will mit einem schwerem Auftrag: Hier bin ich, ich bin bereit.  Leonard Cohen, der selbst jüdische Wurzeln hat, kennt diesen Hintergrund und setzt ihn bewusst in Beziehung zu seinen eigenen dunklen Fragen. Am Ende seines Schaffens sagt er: Hier bin ich, ich bin bereit.

Im Predigttext des heutigen Sonntags bittet Mose Gott: „Lass mich deine Herrlichkeit sehen!“ Vor unserem inneren Auge sehen wir dann meistens großartige Bilder von Mose auf dem Berg Sinai, der glaubensstark und ehrfürchtig Gott von Angesicht zu Angesicht sehen will. Im letzten Jahr gab es dazu sogar einen neuen Kinofilm in 3D-Technik mit genau dieser Szene: Gott und Mose allein auf dem Berg.

„Lass mich deine Herrlichkeit sehen!“ –
hinter dieser Frage schwingt für mich nicht nur die selbstbewusste und fromme Bitte, Gott zu sehen. Es ist für mich auch die aus Zweifeln geborene Bitte: Gott ich möchte dich ganz verstehen! Ich möchte deinen Plan für diese Welt sehen! Ich möchte dir in die Karten gucken!

So gesehen, wird diese Begebenheit von Mose auf dem Berg Sinai verändert, sie ist nicht mehr Heimspiel für die Frommen, sondern ganz im Gegenteil, Ausdruck der Frage vieler Menschen, und zwar gerade von denen, die schwer belastet sind, die mit dem Schicksal hadern, die mit Gott hadern oder sogar streiten, so wie  mein Freund. Lass mich dir in die Karten gucken, denn so geht dein Plan, Gott, geht nicht auf.
Zumindest nicht für mich!

Darüber hinaus gibt es in diesen Tagen viele Menschen, die die weltweite Entwicklung mit Gewalt und Terror nicht verstehen, und die drei Wochen nach der wunderbaren Weihnachtsbotschaft die Enden nicht zusammen bekommen. Wir haben noch die Verheißung des Friedens auf Erden im Ohr, da werden wir mit neuen Terrortaten und Spannungsfeldern konfrontiert.

Manch einer möchte mit Mose bitten, wenn auch mit anderen Worten:
„Lass mich deine Herrlichkeit sehen!“ Öffne wenigstens einen klitze-kleinen Spalt die Tür,  dass wir erkennen, wozu wir leben, dass wir verstehen, was passiert, Gott überzeuge uns, dass du kein herzloser Marionettenspieler bist.

Vielleicht hat Mose doch auch ähnlich gehadert wie viele von uns: Gott hatte Mose erwählt, um die Israeliten aus der Sklaverei in Ägypten zu führen: Es wurde zur großen Ur-Erfahrung der Befreiung für das ganze Volk: Gott hört die Klagen der Israeliten, Gott demütigt die Feinde

Gott befreit die Israeliten am Roten Meer. Gott schenkt die 10 Gebote, Hilfen zum Leben, im Predigttext wird das zusammengefasst: Du hast Gnade gefunden. Und denoch bleibt der Zweifel, trotzdem muss das Leben gelebt werden, mit allem, was dazu gehört, trotz allem gibt es Not und Schuld, Tod und Abfall, Streit und Unverständnis.

Mose hat aber auch den Ungehorsam des Volkes miterlebt: den Tanz ums Goldene Kalb, seinen Ärger darüber er zerschlägt die Gebots-tafeln, er geht erneut hinauf  –  und in dieser Situation bittet er Gott um ein Zeichen.

Der Text aus dem Buch Exodus führt uns weit zurück lange vor Christus. Mose konnte sich Gott nicht so vorstellen, wie er uns in Christus begegnet – das ist ein Riesenunterschied, den wir nicht außer acht lassen dürfen: In Christus hat sich Gott ganz neu und anders gezeigt, unerwartet für Menschen jüdischen Glaubens, aber auch unerwartet für all die, die in Gott den unbarmherzigen Marionetten-spieler sehen: Gott hat sich gezeigt in dem, der die Liebe Gottes lebte und vertrat bis zum Tod am Kreuz. In ihm hat sich Gott eine andere Seite von sich gezeigt:Hier lässt er sich in die Karten schauen: Mein Plan heisst Liebe.

Schauen wir auf das Kruzifix, wie es auch in unserer Kirche hängt: Liebe für jedes Geschöpf, Vergebung für jeden, der danach sucht,
Gott lässt sich darin erkennen: Im Leiden, in der Demut, in der Liebe,

Im Kreuz verzichtet er auf all seine Kraft, er will nicht der Marionettenspieler sein, der unbarmherzig und unverständlich mit seinen Geschöpfen spielt, er will auf der Seite der Menschen sein. Am Kreuz ist es Jesus, der sagt: „Hineni, ich bin bereit!“. Darum ist er dort zu finden, wo Menschen fragen, weinen und leiden. Mit seiner Liebe.

Und wer selbst schon einmal geliebt hat, der weiß, dass Liebe ganz schön weh tun kann, und sehr zerbrechlich und anfällig ist. Aber eben auch eindeutig und nicht abwägend: So liebt Gott. Macht sich selbst verletzlich und ist so den Verletzten nahe.

In der Erzählung von Mose heißt es am Ende „Du darfst hinter mir her sehen!“, was für mich so viel heißt, dass wir im Nachherein Gott erkennen können – nur im Nachherein Gottes Spuren im eigenen Leben erkennen. So wie Kierkegaard es einst formulierte: „Man kann das Leben nur rückwärts verstehen, aber leben muss man es vorwärts.“

Mein Freund hat die kommende Woche wieder eine schwere OP zu bestehen, ich weiß nicht, was Gott sich dabei gedacht hat, aber ich vertraue darauf, dass Christus an seiner Seite und in seinem Herzen ist. Und dies wünsche ich allen, die ähnlich zweifeln und fragen:

Denn der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.

YOU WANT IT DARKER ( Leonard Cohen )

Wenn du die Karten gibst
bin ich aus dem Spiel
Wenn du der Heiler bist, bedeutet das:
Ich bin gebrochen und gelähmt
Wenn dir der Ruhm gebührt,
dann 
Gebührt mir wohl die Schande
Du willst es dunkler
Wir töten die Flamme
Gelobt, gepriesen
Sei dein heiliger Name
Verunglimpft, gekreuzigt
In der menschlichen Gestalt
Millionen Kerzen brennen
Für die Hilfe, die niemals kam
Du willst es dunkler

Hineni, hineni (Hier bin ich, hier bin ich)
Ich bin bereit, mein Gott

Es gibt einen Liebenden in der Geschichte
Aber die Geschichte ist noch die selbe
Es gibt ein Schlaflied zum Leiden
Und ein Paradox zum Beschuldigen
Aber es ist in den Schriften geschrieben
Und es ist kein leerer Anspruch
Du willst es dunkler
Wir töten die Flamme
Du stellst die Gefangenen auf
Und die Wachen zielen
Ich kämpfe mit einigen Dämonen
Sie waren aus der Mittelschicht und zahm
Ich wusste nicht, dass ich die Erlaubnis hatte,
Zu morden und zu verstümmeln
Du willst es dunkler

Hineni, hineni
Ich bin bereit, mein Gott

Gelobt, gepriesen
Sei dein heiliger Name
Verunglimpft, gekreuzigt
In der menschlichen Gestalt
Millionen Kerzen brennen
Für die Liebe,
die niemals kam
Du willst es dunkler
Wir töten die Flamme
Wenn du die Karten gibst
Lass mich das Spiel verlassen
Wenn du der Heiler bist
Bin ich gebrochen und gelähmt
Wenn dir der Ruhm gebührt
Gebührt mir wohl die Schande
Du willst es dunkler

Hineni, hineni
Hineni, hineni
Ich bin bereit, mein Gott

Beitragsbild: Mose auf dem Berg Sinai, von Jean-Léon Gérôme – http://www.fisheaters.com/MosesOnMountSinai-Jean-LeonGerome-1895-1900. Public Domain, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=7800938

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