„Jubilieren – oder die Qualen religiöser Rede, dazu möchte er etwas sagen, aber es gelingt ihm nicht.“ So beginnt Bruno Latour sein Buch über eine Sprachform, die, wie er meint, früher einmal so viel Kraft entfaltet hat und heute nur noch fade geworden ist. Und er schämt sich. Er schämt sich, weil es ihm nicht gelingen will, das rechte Wort zu finden. Aber er schämt sich auch „dessen, was sonntags, wenn er zur Messe geht, von der Höhe der Kanzeln herab ertönt; aber er schämt sich auch des ungläubigen Hasses oder der belustigten Gleichgültigkeit derer, die über die spotten“.
Latour ist Wissenschaftssoziologe und erklärter Atheist – oder besser: Agnostiker. Nicht der Glaube interessiert ihn und schon gar nicht die Religion(en). Nicht über Gott will er reden, weil man über ihn nichts sagen könne, sondern über die religiöse Rede. Wie das?
Wir haben uns angewöhnt – und mit diesem Wir meint er Geistliche wie Atheisten – über Gott zu reden wie über einen Gegenstand. Und haben ihn damit zu einem Gegenstand gemacht. Es ist die distanzierte, wissenschaftliche Betrachtungsweise: Wir distanzieren, damit wir erkennen. Das ist sinnvoll und notwendig, wenn es um Wissenschaft geht.
Es gibt aber noch eine andere Rede, und das ist die Sprache der Liebe. Ein Satz wie „Ich liebe dich“ will keinen Sachverhalt beschreiben, sondern eine Beziehung herstellen. Damit er aber wirkt, muss er immer wieder neu, immer wieder anders gesagt, ja gewagt werden.
Die Sprache der Liebe ist ein Hochrisikogeschäft. Die religiöse Rede auch. Damit sie verändern kann, verlangt sie den Einsatz der eigenen Person. Religiöse Rede will Vertrauen stiften – in der Bibel ein anderes Wort für Glauben. Damit ich es stiften kann, muss ich in Vorlage treten, anders geht es nicht.
Latour wirft den Kirchen vor, dass sie dieses Risiko nicht mehr eingehen. Sie informieren, sagen „Richtigkeiten“, die nichts bewirken. Und damit verfehlen sie Gott und die Welt.
Gott? Aber Latour ist doch Atheist oder vielmehr Agnostiker. Für mich kein Widerspruch. Gerade indem er es ablehnt, über Gott zu sprechen, wahrt er das Geheimnis Gottes.
Das Buch ist nicht leicht zu lesen. Immer wieder umkreist Latour wie in einem Selbstgespräch sein Thema, wird persönlich, zweifelnd, vorwurfsvoll, enttäuscht, leidenschaftlich. Es ist selbst eine religiöse Rede, Ausdruck einer großen Sehnsucht. Mich hat sie sehr bewegt.
Bruno Latour, Jubilieren. Über religiöse Rede. Suhrkamp Verlag Berlin 2011 (Taschenbuchausgabe 2016, 16 €)
Zum Weiterlesen: Rezension von Michaela Schmitz im Deutschlandfunk (auch zum Nachhören auf ihrem Blog). Ausführlicher geht das Magazin feinschwarz auf Latour ein. Das Institut für Predigtkultur in Wittenberg nimmt Latour zum Anlass, zu „Sieben Wochen ohne große Worte“ aufzurufen. Damit und mit Latour überhaupt setzt sich wiederum Philipp Greifenstein kritisch auseinander. Bei Perlentaucher kann man nachlesen, dass auch andere Rezensenten das Buch nicht so überzeugend fanden. Ich bleibe bei meiner Einschätzung 🙂
Ein Gedanke zu “* Bruno Latour: Jubilieren”