Wie ich wurde, was ich bin II
Gleich meine erste Vorlesung im Studium beschäftigte sich mit der Genesis, dem 1. Buch Mose. Und der Professor nahm wenig Rücksicht auf die evangelikalen Studenten unter uns – zu denen ich ja auch gehörte. Erbarmungslos zeigte er die Widersprüche in den Geschichten von der Schöpfung bis zum Turmbau von Babel auf: Die Entstehung der Welt in sieben Tagen? Und dann gleich dahinter eine zweite Schöpfungsgeschichte? Wo kamen die Menschen her, mit denen Kain Städte gründete? Wie passten alle Tiere in die Arche? Und dann die kleine skurrile Geschichte in Genesis 6 von den Gottessöhnen, die sich Menschentöchter zu Frauen nehmen. Als er fertig war, war ich es auch.
Und dann fing er an, alles mit der historisch-kritischen Methode zusammenzusetzen. Und plötzlich machte es Sinn. „Das sind keine Urgeschichten“, meinte er, „sondern vielmehr Grundgeschichten.“ Sie antworten nicht auf die Frage: Wie war es damals? Sondern warum ist es heute so, wie es ist? Warum Leid und Schmerzen, Hass und Hybris? Sie verarbeiten uralte Mythen, auch die anderer Völker, und weben ihren Glauben an Jahwe, den Gott Israels, hinein.
Zum ersten Mal bahnte sich für mich eine Versöhnung von Glauben und Denken an. Gleichzeitig veränderte sich auch die Haltung zum Zweifel: Vorher habe ich ihn abgelehnt und bekämpft, denn er stellte ja die absolute Autorität der Bibel, des „Wortes Gottes“, infrage. Jetzt wurde er mehr und mehr zur Grundlage meines Denkens: Sollte diese Geschichte, dieser Bibelvers wirklich so gemeint sein?
Was sich bei der Genesis-Vorlesung noch wie eine Bereicherung meines Glaubens anfühlte, führte bei anderen Fragen allerdings durchaus zur Verunsicherung: Hat Jesus dies oder jenes tatsächlich gesagt? Und ist er wirklich auferstanden? Ja, irgendwann stand ich vor der Frage: Gibt es Gott überhaupt?
Und ich begann mich von dem Gott zu verabschieden, der mir sagte, was ich zu tun und zu lassen hatte. Und ich merkte, wie sich ein Gefühl von Freiheit einstellte, das ich vorher so nicht gekannt hatte.
Es hätte nicht viel gefehlt, dass ich das Theologiestudium aufgegeben hätte. Aber ich hörte nicht auf zu fragen und zu diskutieren und den Zweifel selbst in Zweifel zu ziehen. Leo Tolstoi hat einmal gesagt: „Wenn dir der Gedanke kommt, dass alles, was du über Gott gedacht hast, verkehrt ist, und dass es keinen Gott gibt, so gerate darüber nicht in Bestürzung. Es geht vielen so. Glaube aber nicht, dass dein Unglaube daher rühre, dass es keinen Gott gibt. Wenn du nicht mehr an den Gott glauben kannst, an den du früher geglaubt hast, so rührt das daher, dass in deinem Glauben etwas verkehrt war, und du musst dich besser bemühen, zu begreifen, was du Gott nennst.“
Also alles nur eine Frage des Gottesbildes? Woher weiß ich dann aber, dass es Gott überhaupt gibt? Und dann sagt Bonhoeffer auch noch: „Einen Gott, den es gibt, gibt es nicht.“ Und das Fragen geht wieder los.
Gibt es denn gar nichts, auf das wir uns verlassen können?
Der 1. Teil von „Wie ich wurde…“ steht hier.
Beitragsbild zeigt das Fragment einer Schriftrolle vom Toten Meer in der Ausstellung des Archäologischen Museums, Amman. Fotografiert von Berthold Werner – Eigenes Werk, CC BY-SA 3.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=8448932
Der Zweifel ist und war die fundamentale Antriebskraft jeder wissenschaftlichen Erkenntnis. Und ist dieses Prinzip nicht auch auf unser Leben, die Entfaltung und Entwicklung unseres ganz persönliches Lebens, besonders wichtig? So wie Du es hier in dieser Phase Deines Lebens für Dich schilderst?
So stellt sich auch mir nach Wiedereintritt in die Kirche die Frage, wer oder was ist Gott? Was ist mein Bild von Gott? Das war die zentrale Frage, die Martin Luther in seinem Leben bewegte und deren Antworten die Kirche reformierten.
Warum stellen wir diese Frage nicht auch heute von neuem? Mir fehlen Impulse seitens der Kirche als offizieller Institution. Aber bin ich nicht auch Kirche und muss mich an meine eigene Nase fassen?
Ich bastele weiter an (m)einem Bild von Gott, was sich durchaus im Rahmen dieses Blogs erweitert hat. Bin nur ich es, den Zweifel und Fragen treiben oder gibt es noch andere – offene und fragende „Geister“?
So das wäre hätte ich viel Lust auf einen Gesprächskreis, der sich dazu selbst organisiert.
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Vielleicht gibt es ja Mittel und Wege, das in Deinem neuen Lebensumfeld zu realisieren. Kirchengemeinde, Facebook, Nachbarn, Blog…?
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