Keiner versteht mich

Vor einigen Tagen habe ich auf diesem und einem anderen Blog über die Grundlage unseres Denkens und Handelns diskutiert. Und auch wenn jeder Mensch einzigartig und nicht wirklich in Kategorien einzuordnen ist, würde ich zwei von uns als Rationalisten bezeichnen. Sie wünschen sich die Vernunft als Grundlage unserer Auseinandersetzungen und Entscheidungen. Eine ist eine evangelikale Christin und ich würde mich als liberalen Christen bezeichnen. Und ich denke, dass wir damit die Denkweisen in unserer Gesellschaft im Prinzip nicht schlecht abbildeten.

Wir haben immer wieder neue Ansätze gesucht, unsere jeweilige Position den anderen zu erklären. Am Ende haben wir die Gespräche abgebrochen. Wir kamen nicht zueinander.

Und dabei waren wir alle reflektierte Menschen mit dem Wunsch, uns verständlich zu machen. Am Ende saßen wir wieder in unserer eigenen Blase und dachten wohl alle dasselbe: Wie borniert können die anderen bloß sein!

Genauso erlebe ich es in unserer Gesellschaft: Auch nach vielen Recherchen und Bemühungen vermittelt noch ungefähr jeder ZeitOnline-Artikel die Meinung: Wie doof können AfD-Anhänger bloß sein? Und SpiegelOnline versucht immer noch und immer wieder, Homöopathie-Anhänger mit wissenschaftlichen Argumenten zu überzeugen und begreift nicht, dass das denen egal ist. Die SPD versteht die Welt nicht mehr und die AfD fühlt sich sowieso von niemandem verstanden.

Und auch ich frage mich: Was ist da passiert? Warum reden wir aneinander vorbei? Und was muss passieren, dass wir doch noch zueinander kommen.

Denn wir leben nun mal in einer Gesellschaft. Und wir wären erfolgreicher, wenn wir kooperativ unsere Probleme lösen könnten. Dazu müssen wir erst einmal eine gemeinsame Basis finden. Welche könnte das sein?

Ihr könnt, wenn Ihr mögt, die Diskussionen im Netz auf „Überschaubare Relevanz“ und auf diesem Blog nachlesen. Und natürlich werde ich selbst weiter darüber nachdenken.

Über einen lebendigen Austausch würde ich mich freuen.

12 Gedanken zu “Keiner versteht mich

  1. Jutta Seeland schreibt:

    Lieber Herr Thiesen,
    Vielleicht bin ich etwas „schlicht gestrickt“, aber meine Antwort auf Ihre Fragen wäre in etwa diese: Jeder schaut mit seinen Augen auf das Geschehen in der Welt und um ihn herum. Und diese seine Augen sind, bzw. das Verständnis dahinter ist geprägt vom eigenen (Er)Lebenshintergrund, v.a. dem Elternhaus und dessen ‚Vorgaben‘ (Lehren, Genetik), wie auch immer diese verarbeitet wurden.
    Wann immer ich jemanden bzw. seine Sicht der Dinge nicht verstehe, versuche ich zu erfassen, welche Ängste, welche unerfüllten Bedürfnisse oder eben welche Lebenserfahrungen ihn wohl zu dieser mir fremden oder unverständlichen Ansicht gebracht haben. Wenn mir das gelingt, (das klingt einfacher, als es sich mir bisweilen darstellt), kann ich meistens akzeptieren – und zwar wohlwollend, wenn auch aufseufzend – dass mein Gegenüber wohl nicht aus seiner Haut kann. So wenig wie ich übrigens aus meiner. Das macht mir das Akzeptieren leichter. Viel schwerer fällt mir diese Haltung, wenn ich trotz ernsthaften Bemühens nicht verstehe… Dann bleibt mir nur die lapidare Erkenntnis, dass es eben wohl doch verschiedene Wege nach Rom gibt. Was immer ‚Rom‘ dann meint.
    Herzlichen Gruß!

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    • gebrocheneslicht schreibt:

      Liebe Frau Seeland,
      Ihre Haltung kann ich voll und ganz unterschreiben. Und ist es nicht auch wunderbar, verschiedene Sichtweisen kennenzulernen und das Leben unter unterschiedlichen Gesichtspunkten wahrzunehmen?
      Den öffentlichen Diskurs erlebe ich zurzeit aber eher als Machtkampf. Der säkular-liberale Ansatz stand, wie ich es sehe, schon fast vor dem Durchbruch auf allen Ebenen – da drängen religiöse Sichtweisen besonders mit dem Islam erneut nach vorne. Und auch die völkische Idee, die nach dem Krieg per Gesetz verboten worden war, hat wieder Konjunktur. Eine beliebte liberale Reaktion darauf ist ja: Soll doch jeder, jede denken und glauben, wie’s beliebt. Aber bitte privat und nicht in der Öffentlichkeit, da wollen wir bestimmen.
      Was aber, wenn wir uns nicht aus dem Weg gehen können? Wenn wir konkrete Probleme wie die Flüchtlingsfrage lösen müssen? Wie kommen wir da zu konstruktiven Ergebnissen?
      Ich werde keine Antwort darauf finden. Aber mich beschäftigt der Weg dahin.
      Herzliche Grüße!

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    • Thomas schreibt:

      Liebe Frau Seeland, Sie sind keinesfalls schlicht gestrickt – ganz im Gegenteil ! Sie haben eine sehr offene und empathische Art, die Dinge zu beschreiben. Es ist so kompliziert, so tragisch, so voller Schmerzen , so leidvoll , dass wir Menschen eben gar nicht so leicht aus unserer Haut können.

      Mir kommt es oft so vor, dass wir Menschen oft in in sich geschlossenen Systemen leben, lieben, denken, handeln … Irgendwie scheinen wir das zu brauchen, um unsere Ängste zu bewältigen, zu beruhigen, zu besänftigen – insbesondere die Angst vor dem Erwachsen-Werden und damit die Angst vor der freien Entscheidung und Tat, die sich nicht mehr hinter andere Autoritäten ausserhalb unserer selbst zurück ziehen kann.

      Wer Schutz sucht in in sich geschlossenen Systemen, der kann natürlich auch nicht entdecken, was sich ausserhalb dieses geschlossenen Systems, dessen Teil man ist, zu entdecken gibt : an Freiheit, an Liebe, an Leben, an Möglichkeiten und Lebenslandschaften.
      Hinzu kommt, dass das System selbst jenen mit Liebesentzug bestraft, der auch nur wagt, daran zu denken, das System zu verlassen.

      Ich denke dabei oft an jene Löwen in einem Tierpark, denen man die Käfigtür öffnete und die dennoch den Weg in die Freiheit zunächst nicht wagten, nur sehr vorsichtig den Käfig für einige Momente verliessen, um sofort wieder in den Käfig zurück zu kehren – den vertrauten Ort der Geborgenheit , aber eben auch den Ort des Gewohnten, der einem das Abenteuer der Freiheit und neuer Entdeckungen von Leben vorenthielt. Erst nach Tagen, manchmal nach Wochen waren die Löwen bereit, das eigene, in sich geschlossene System zu verlassen und sich Neuem zu öffnen. Erwachsenwerden setzt wohl voraus, dass wir unsere Ängste vor der Freiheit und dem Wagnis eigenverantwortlichen Lebens bearbeiten und in den Griff bekommen
      und uns dabei nicht mehr eines naiven Gottesbildes bedienen müssen, sondern in uns selbst ein Selbstvertrauen entdecken, dass uns halten und tragen kann.

      Der Fundamentalismus hat zur Zeit Hochkonjunktur und natürlich hat das auch mit der großen Verunsicherung in einer Welt des Umbruchs zu tun. Der Mensch zieht sich in in sich geschlossene Systeme zurück, die es mit verbaler oder auch körperlicher Gewalt zu verteidigen gilt. Und immer öfter stellen wir erschrocken fest, welches Gefährdungspotential von den Fundamentalisten aller (!) Religionen ausgeht. Wer liebt uns verängstigte Menschen zurück ins Leben ?

      Liebe Frau Seeland, vielen Dank für Ihre schönen Worte !

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  2. Ralf Liedtke schreibt:

    Ja, der Dialog zum Marathon fand seinen Abbruch. Wir kamen nicht wirklich zureinander und auch ich war einer der Beteiligten. Wenn ich mich nehme, war es den Versuch wert, ich habe für mich wertvolle Erfahrungen mitgenommen – Erkenntnisse über andere Sichtweisen wie auch über mich selbst gewonnen oder vertiefen können. Also hat es sich gelohnt. Und wir sind nicht den anderen abwertend oder gar feindselig auseinandergegangen. Das ist doch viel und etwas, was wir in der politischen Auseinandersetzung heute und in den sogenannten Talkrunden so gut wie nicht mehr erleben.

    Da lebt wirklich jeder in seiner „Blase“, will den anderen gar nicht verstehen und unternimmt hierzu auch keinen Versuch, so dass selbst auf Fragen des anderen nicht eingangen wird.
    Es geht nur noch um das Prinzip „ich bin o.k.und du bist nicht o.k.“. Es geht um „Dresche“ für den anderen, ein Ausgrenzen oder besser noch „in die Ecke stellen“ und ein süffisantes Auskosten des eigenen Überlegenheitsgefühl des „besseren“ Menschen. Manche nennen das auch gelebte Mehrwerthaltung.

    In unserem Dialog kamen wir halt nicht zueinander. Doch was heißt das? Haben wir aneinander vorbeigeredet? Ich finde, dass wir durchaus im „Marathon“ miteinander geredet haben – was doch viel an sich wert ist. Wir haben versucht, den anderen zu verstehen – ich selbst habe mich bemüht, gerade weil mir manches an den Gedanken von C. sehr fremd war. Ich musste mich zunächst überwinden, diesen Versuch zu starten, überhaupt verstehen zu wollen. So bin ich heute dankbar, dass C. mir die Pforten zu ihrer „Welt“ geöffnet hat. Zu den dahinterliegenden Motiven, Mustern und Bedürfnissen sind wir leider nicht mehr gekommen – hier wäre es dann wirklich spannend geworden. Und vielleicht wären wir noch ein Stück weitergekommen! Doch wohin, frage ich mich jetzt oder auch, was wäre unser Ziel gewesen oder hätte es überhaupt ein gemeinsames sein können? Möglicherweise wäre dies die Chance gewesen, ein noch tieferes Verstehen auf beiden Seiten zu erreichen.

    Ich frage mich auch, was kann zueinander kommen bedeuten? Meine Weltsicht, mein „Gottesbild“ und meine Selbstdefinition als Mensch wie Christ wird anders bleiben als das, was ich in den Beiträgen von C. wahrgenommen habe. Ich bin darauf neugierig geworden, habe hingehört und habe versucht zu verstehen. Und ich akzeptiere diese andere Sicht der Dinge, weil diese mich nicht einschränkt und mir auch keine Angst oder Furcht macht. Doch wir werden auf Basis dieser sehr diametralen Ansichten kein gemeinsames Verständnis finden.Ich will dann weder „bekehrt“ werden noch „bekehren“ wollen.

    Wir haben den Dialog gewagt und sind nicht unversöhnlich auseinander gegangen, auch ohne eine gemeinsame Sprache in diesen Punkten zu finden. Mir hat das Lust auf ein Mehr gemacht.

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  3. Ute Klingwort-Finster schreibt:

    Da habe ich ja spannende Themen und tiefsinnige Dialoge verpasst. Schöner Gedanke: Wer liebt uns verängstige Menschen zurück ins Leben?

    Mich hat der Pastor stark beeindruckt, bei dem ich konfirmiert wurde. Ein Mann, der eine „Evangelienharmonie“ geschrieben hat in der festen Überzeugung, dass die Aussagen der vier Evangelien einander nicht widersprechen; man muss nur lange genug darüber nachdenken (und die Texte entsprechend „interpretieren“). Noch mehrere Jahre nach meiner Konfirmation habe ich mich an diesem Pastor orientiert, mir von ihm die Bibel auslegen lassen. Gegen seinen Rat habe ich später Theologie studiert. Sein Argument: die Frau solle in der Gemeinde schweigen (wie der „heilige“ Paulus sage)…
    Wenn ich heute darüber nachdenke, kann ich es kaum glauben, dass mir diese Gespräche damals so viel bedeutet haben. Später, in einer anderen Gemeinde, wurde ich eine Verehrerin der Gedanken von Dietrich Bonhoeffer und Dorothee Sölle. Ganz andere Seiten evangelischer Religion.

    Ein anderer Gedanke: Als ich die ersten Pegida-Demonstrationen in Dresden im Fernsehen sah, hielt ich sie für vorläufige, kurzzeitige Proteste, die man schnell wieder vergessen könnte. Inzwischen haben wir gelernt – gerade jetzt nach der Wahl -, dass sie ernst gemeint waren und weder von den Politikern noch von den Medien „weggeredet“ werden können. Es ist eine Realität, dass gar nicht so wenige Menschen die „etablierte“ Politik hassen.

    Beides zeigt mir: Menschen bzw. ihre Gedanken können unendlich weit voneinander entfernt sein. Jede/r lebt in seiner eigenen Welt oder Blase, wie es jetzt gern heißt. Und alles kann gleichzeitig gedacht werden, in demselben Land, zur gleichen Zeit. Wie können wir zueinander kommen? Wie erreichen wir es, einander mindestens nicht zu verachten? Wie schwierig ist doch gelebte Toleranz!

    Mehr fällt mir dazu im Moment nicht ein.

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  4. gebrocheneslicht schreibt:

    Auf die Frage: „Warum haben Sie AfD gewählt?“ höre ich viel: „Damit die Leute in Berlin endlich aufwachen.“ Ähnlich sagte es einer mit Trillerpfeife: „Warum der ohrenbetäubende Lärm?“ – „Damit ich endlich einmal gehört werde.“ Das stimmt mit eigenen Erfahrungen überein: In Gesprächen mit Sachsen kam immer wieder durch: Keiner denkt an uns.
    Also auch hier: Wahrnehmen? Sich Zeit nehmen? Aber wer könnte das machen?
    Auch die Kirche ist offenbar sehr mit sich selbst beschäftigt – zum Beispiel in der Frage der Homosexualität; etliche Gemeinden sind sehr evangelikal ausgerichtet. Das bindet Kräfte, die andernorts in die Gemeinwesenarbeit investiert werden.

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  5. Ralf Liedtke schreibt:

    „Wer liebt uns verängstigte Menschen zurück ins Leben“, schreibt Ute Klingwort-Finster.

    Die Frage hat mich angesprochen auch weil sie so wichtige Worte wie Liebe und Angst beinhaltet und zusammenführt. Ängste sind sehr starke Emotionen. Wir wissen seit langem, dass Kommunikation nicht gelingen kann, wenn Emotionen nicht ernstgenommen werden. Ein Dialog auf der Sachebene, der Ratio, kann nur dann ernsthaft beginnen, wenn Menschen spüren, dass Ihre Gefühle, hier Ängste wahrgenommen und diesen Beachtung geschenkt wird. Hier ist aus meiner Sicht viel versäumt worden angesichts der tiefgreifenden Veränderungen, die in den letzten Jahren erfolgt sind.Und die Zukunft wird unsere Gesellschaft und Welt weiter fundamental verändern.

    Aber stehen nicht auch diese Menschen voll im Leben? Sie erleben ihr Leben nur anders. Sie fühlen sich vom Mainstream nicht ernstgenommen, ausgegrenzt und abgestempelt. Je stärker dieses auch künftig passiert, je enger werden sie sich in ihre „Blase“ zurückziehen und ihre Glaubenssätze hinter Mauern weiter zementieren. Und es gibt auch viele andere, die so radikal noch keine Konsequenzen, sich irgendwie aber auch nicht wirklich wohl in ihrer Haut fühlen.

    Es gibt auch die andere Seite – die „gute“, die ebenfalls ihren Glaubenssätzen zum Teil „blind“ hinterherläuft und die zumindest in der Vergangenheit keine Fragen mehr gestellt noch zugelassen hat. Ich wünschte, dass sich hier etwas verändert.

    Wie kommen wir in den Dialog miteinander, zumindest dort, wo sich dieser lohnt? Und was kann Kirche – das sind wir – dazu beitragen

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    • gebrocheneslicht schreibt:

      Ich fürchte, mit ein bisschen Liebe und Dialogbereitschaft ist es nicht mehr getan. Wir haben es in den Neunzigerjahren mit unseren Verwandten in Sachsen selbst erlebt: Sie wollten ihren HO-Laden weiterführen, verzweifelten aber schon am Steuerrecht und den Formalitäten. Keiner erklärte ihnen die Marktwirtschaft, dafür setzten sich Aldi und Lidl auf die grüne Wiese. Politik und Wirtschaft haben Ostdeutschland ganz einfach übernommen. Und dann sagte man: Ihr seid selbst schuld, wenn ihr nicht mitkommt. Müsst eben ein bisschen flexibler sein. Perfide.
      Aber sie haben ihre Lektion gelernt: Genau so gehen sie nun mit den Flüchtlingen um.

      Und Berlin? Liebevoll kümmern sie sich um die Tengelmann/Kaiser-Fusion und AirBerlin. Und sie haben Recht: Dazu gibt es – innerhalb unseres Wirtschaftssystems – keine Alternative. Nur die Menschen bleiben auf der Strecke.

      Die Politikerinnen und Politiker hätten es wissen können. Ein paar Wahlplakate weniger aufstellen, dafür ein paar Leute in die Kneipen in der Lausitz schicken, zum Skatspielen und Zuhören. Wobei das Zuhören nicht reicht, wenn sich danach nichts verändert. Dafür aber müsste man offenbar das System ändern. Genau das verspricht die AfD…

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