* Wir müssen reden

Christoph war nicht ganz zufrieden mit mir, das wurde deutlich. „Warum willst du den interreligiösen Dialog?“, fragte er mich. Und ich sagte: „Weil er wichtig ist. Weil wir die anderen kennenlernen müssen, wie sie denken und so. Und die uns.“ – „Das reicht nicht“, meinte er. Christoph ist Experte für den interreligiösen Dialog. „Wie, das reicht nicht?“, fragte ich.

„Es kommt auf die persönlichen Beziehungen an“, sagte er. „Über den Koran und die Bibel reden und über Islamismus und Kopftuch und all das, ist gut und schön. Aber viel wichtiger ist: gemeinsam essen, lachen, reden. Organisiere doch mal ein Fußballspiel, etwas, wo man sich näher kommt.“

Ehrlich gesagt, ich wollte nicht Fußball spielen. Ich wollte über Koran reden und Bibel und Islamismus und Kopftuch. Darüber, dass in der islamischen Gemeinde fast ausschließlich türkisch gesprochen wird, türkisches Fernsehen geschaut und türkische Cola getrunken. Ich fand und finde das immer noch crazy und nicht sehr zielführend, was Integration angeht.

Und ich habe darüber auch geredet, aber eher so am Rande. Vor allem bin ich in jedem Jahr mit Konfis in der Islamischen Gemeinde Eidelstedt-Schnelsen gewesen. Am Anfang trafen wir uns noch in der Spanischen Furt unter einem Supermarkt. Dann kaufte die Gemeinde in Eidelstedt ein ehemaliges Pastorat, und nun haben sie sich eine Fabrikhalle am Ring 3 ausgebaut. Ein wenig neidisch bin ich schon. Über 400 Leute kommen zum Freitagsgebet, das schaffen sonntags bei uns nicht einmal die Katholiken.

Und immer wieder traf ich Mehmet, der eigentlich schon längst im Ruhestand in der Türkei sein wollte, aber ständig genau dann vor Ort war, wenn ich mit den Konfis vorbei kam. Und Sevgi hat unseren Jugendlichen so begeistert vom Islam erzählt, dass regelmäßig zwei, drei von ihnen nahe dran waren zu konvertieren.

Und dann kamen sie zu viert aus der islamischen Gemeinde zur Verabschiedung. Und die beiden Männer brachten den Auszug aus der Kirche durcheinander, weil sie die ersten mit den Blumen sein wollten. Und Sevgi hat mich nach einer bewegenden Rede zweimal lange in den Arm genommen.

Und heute weiß ich: Ja, ich will mit ihnen weiter und immer wieder reden über Koran und Kopftuch und Integration und alles. Aber das Wichtigste ist tatsächlich die Freundschaft und die Beziehung zwischen uns. Und das Trennende rutscht in der Prioritätenliste gerade ganz nach unten.

Danke, Sevgi. Danke, Mehmet.

Verabschiedung2.jpg

Mehmet Ünver und Ibrahim Orhan sind die ersten beim Auszug nach dem Gottesdienst
Foto: Wolfgang Hertwig

2 Gedanken zu “* Wir müssen reden

  1. Jutta Seeland schreibt:

    Dieser Blog-Beitrag ist mir quasi aus der Seele gesprochen!
    Miteinander reden – immer wieder. Nicht übereinander. Miteinander! Und immer mit der Bereitschaft zum Verständnis, das schafft Beziehung. Und freundliches Aufeinander Zugehen kann Freundschaft hervorbringen, und die schüttet jeden Graben zu.
    Wie schön, dass Sie das erleben konnten und weiterhin werden erleben können!

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