In meiner Jugend gehörte ich zu den Frommen im Lande und nahm die Bibel ziemlich wörtlich. Dann bekam ich das Buch „Jesus Menschensohn“ von Rudolf Augstein in die Hände, und meine Überzeugungen wurden sehr durcheinander gewirbelt. Ich ging zu meinem Religionslehrer, damals Propst in Angeln und später Bischof von Oldenburg, Wilhelm Sievers. Er meinte, dass Augstein tatsächlich genau den Stand der theologischen Forschung wiedergäbe. „Dann stimmt das also gar nicht, was in der Bibel steht?“, fragte ich. Mein Lehrer versuchte mir den Unterschied zwischen einem wissenschaftlichen Lehrbuch und einem Glaubensdokument deutlich zu machen. Aber ich war damit nicht zufrieden. Ich wollte, dass die Geschichten der Bibel meinen Glauben tragen und nicht umgekehrt. Ich wollte auch in Fragen des Glaubens Fakten, Fakten, Fakten!
Heute weiß ich natürlich, dass der damalige Propst Recht hatte. Die Bibel kann mein Denken ohnehin nicht überzeugen: Die Schöpfungsgeschichten passen nicht zum Urknall, die alten Erzählungen finden sich schon als außerbiblische Mythen, die Gesetze und Gebote sind allzu archaisch, die Geschichten wirken konstruiert und widersprechen in weiten Teilen der Geschichtswissenschaft – oder sich selbst. Die Berichte von der Auferstehung zum Beispiel sind so rätselhaft, dass sie kaum als Faktenlieferanten dienen können.
Ja, die Bibel ist so widersprüchlich und so geheimnisvoll wie das Leben selbst. Aber sie kann ein Schlüssel für mein Leben sein. Dazu genügt es nicht, wenn ich mich in ihre Welt hineinversetze und versuche, sie zu verstehen. Ihre Geschichten müssen in unsere Gegenwart kommen, damit ich mich persönlich mit ihnen auseinandersetzen kann. Ob Jesus damals tatsächlich auferstanden und wie das zugegangen ist? Das können wir heute mit rationalen Mitteln nicht mehr herausfinden; es bleibt eine Frage des persönlichen Glaubens. Wichtig für mich aber ist, dass ich heute die Auferstehung erlebe.
Das ist ähnlich wie mit den Geschichten, die Ute Klingwort-Finster als Kommentar zum letzten Lichtblick geschrieben hat: Sie bauen auf, sie geben Hoffnung und machen gute Laune. Sie verändern unser Leben. Damit sie aber wirken, dürfen sie nicht einfach ausgedacht sein.
Das ist, für mich, mit der Bibel anders. Ihre Geschichten müssen nicht wirklich passiert, sondern vielmehr wahr sein. Wahr werden sie, wenn ich in ihnen mein Leben wiedererkenne. Wenn sie mir Hoffnung geben. Wenn sie meinen Zweifel aufnehmen. Wenn ich mit ihrer Hilfe meine eigene Geschichte finde – eine Geschichte, die Sinn macht und die großartig ist, voller Liebe und voller Schmerzen, fehlertolerant und humorvoll zugleich.
Diese Geschichte suche ich, manchmal sogar mit Erfolg.
Anmerkung: Schon 1973 hat Heinrich Böll im „Spiegel“ eine schöne Rezension zu Augsteins Buch geschrieben.
Beitragsbild: (c) Erik Thiesen
…das Buch „Jesus Menschensohn“ von Rudolf Augstein…
Ergebnis der Forschungen ist ein ganz persönliches Bild von jenem »Menschensohn« Jesus, der weder eine neue Religion stiften noch eine Kirche gründen wollte und der sich von einem Gott beauftragt glaubte, dessen Existenz heute viele Menschen bezweifeln oder bestreiten. (Amazon Buchrezension)
Vielleicht hat Jesus den Menschen, die zu ihm kamen, den Weg zu Gott g e z e i g t!? Ganz konkret. Und sie darin unterrichtet, wie sie dieses Wissen in ihrem Leben anwenden und fruchtbar machen können. Dahingehend interpretiere ich die Gleichnisse im Neuen Testament und dann macht vieles für mich Sinn.
Religion ist für mich etwas Schönes. Ich liebe sie als Folklore, als Erinnerung an die Kindheit und als Unterstützung den Weg zu Gott zu gehen.
Aber gibt es überhaupt einen Gott? Sollte, kann man an ihn glauben? Hierzu ein kleines Zitat:
„Wo ist Gott? Alle sagen: „Gott? Wo? So weit weg wie möglich!“ Auch wenn uns immer wieder gesagt wird: „Gott ist in dir. In dir!“ Und die Leute sagen: „Hier? Bestimmt nicht!“ Warum? Weil es bequem ist. Zu wissen, dass das Göttliche in uns wohnt, würde eine Menge Verantwortung mit sich bringen, denken wir. „Oje! In mir?“ Aber das ist die Wahrheit!
Die Menschheit ist im Netz des Glaubens gefangen. Immer hört man „glauben, glauben, glauben.“ Was ist aus dem Wissen geworden? Was ist Wissen wert? Im Glauben liegt kein Wissen, aber im Wissen ist automatisch Glauben enthalten.
Wenn Ihnen im Leben etwas wichtig ist, glauben Sie dann oder wollen Sie wissen? Es ist eine einfache Frage. Wenn ein Mann sich in eine Frau verliebt, soll er dann nur glauben, dass sie ihn heiraten will? Nein, er fragt: „Willst du mich heiraten?“ Und wenn sie sagt: „Glaub, was du willst“, bedeutet das: „Nein!“
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Für mich gibt es keinen Glauben ohne Wissen. Seit meinem Theologiestudium (ist schon lange her!) versuche ich, mein Wissen über die biblischen Texte mit meinem persönlichen Glauben in Einklang zu bringen. Ich kann nicht „einfach so“ glauben; ich kann nicht blind glauben, was in der Bibel steht. Das Studium hat mir eine solche naive Herangehensweise ausgetrieben, und dafür bin ich sehr dankbar.
Ich gebe aber zu, dass dieser – eigentlich pausenlose – Versuch, Glauben und Wissen zusammenzubringen, anstrengend und oft unbefriedigend ist. Aber ich habe keine Wahl.
Im Gespräch mit Atheisten (wir haben einige in der Familie, und vielleicht werden es sogar immer mehr) preise ich gern unseren westlichen, aufgeklärten Glauben. Aber was bedeutet dies eigentlich?
Natürlich stimmt er mit unseren Gesetzen überein und stellt sich nicht darüber. Natürlich kann man nicht beweisen, dass es einen Gott „gibt“. Natürlich ist der Glaube etwas Persönliches, Individuelles und kann nicht verordnet werden.
Auch Luthers Erkenntnisse von der Freiheit eines Christenmenschen haben für mich eine große Aktualität. So verstehe ich die Rechtfertigungslehre als ein „Mittel“ gegen die Versuche zur Selbstoptimierung, die zur Zeit Hochkonjunktur haben (Fitness, Wellness, Gesundheitskult, Sport als Allheilmittel …).
Jesus ist ein Vorbild. Im Vergleich mit ihm bin ich eine Ameise (oder etwas noch viel Kleineres). Und der Glaube hat Auswirkungen (zugegeben: winzige). Nach meinem Verständnis muss sich christlicher Glaube auch politisch auswirken. In dieser Hinsicht sind mir unsere Kirchen viel zu lasch und farblos, ja feige. Warum eigentlich? Sie haben doch nichts zu befürchten.
Wieso legt der Ratsvorsitzende der EKD in Jerusalem sein Kreuz ab?? Ich weiß, der Holocaust. Aber etwas mehr Selbstbewusstsein dürfte schon sein, finde ich.
Wir waren auf dem Kirchentag in Berlin und haben auch den Abschlussgottesdienst in Wittenberg miterlebt. Da ist mir wieder neu klar geworden: Christen dürfen und sollten/müssten viel offensiver für Frieden, Gerechtigkeit und die Bewahrung der Schöpfung eintreten, um mal diese berühmten großen Worte zu verwenden.
Das Vertrauen darauf, dass es begründete Hoffnung auf „Ewigkeit“ gibt, dass unser Streben nicht umsonst ist, dass es einen großen Unterschied zwischen Gut und Böse gibt (auch wenn es mühsam ist, ihn je neu zu erkennen), dass die Auferstehung kein leeres Wort ist, dass die Liebe stärker ist als der Tod – dieses Vertrauen gehört elementar zu meinem Glauben. Und es kollidiert an keiner Stelle mit meinem Wissen oder mit Erkenntnissen der (Natur-)Wissenschaften. Die Gemeinschaft der Menschen, mit denen ich singen (!) und beten kann, ist mir sehr wichtig – auch wenn ich, zugegeben, nur selten in die Kirche gehe.
Dieses Gemeinschaftserlebnis hat natürlich etwas mit Gefühl zu tun, mit Wohlfühlen, Zu-Hause-Sein. Auch ein wichtiges Element von Religion. Aber das Denken ist dabei nicht ausgeschlossen.
Ich kenne viele Christen (lebende und tote), die mit ihrem Gottvertrauen Maßstäbe gesetzt haben. Aber kaum Atheisten, die solche tiefen Spuren hinterlassen haben (außer Spuren der Verwüstung wie Hitler, Robespierre, Napoleon, Mao, Stalin).
Außerdem kann ich nicht erkennen, dass eine atheistische Weltsicht vor geistigen Verirrungen schützt (siehe die obige Schreckensliste). Die Französische Revolution war gut gemeint als Befreiungsbewegung usw., aber endete für viele unter der Guillotine. Ähnlich war es im Kommunismus. Auch diese Ideologien vermischen Gedanken mit Gefühlen, weil wir Emotionen brauchen, um uns wohlzufühlen (Musik, Feste, Rituale).
Mein Ausflug in den Atheismus gehört gar nicht hierher. Es sollte um Glauben und Wissen gehen. Ja, für mich gehört beides untrennbar zusammen. Und das erschwert den Glauben, aber billiger bekommen wir ihn nicht mehr (in unserer „aufgeklärten“ Zeit). Eine neue Herausforderung, um die uns der Islam beneiden müsste. Aber dies ist ein ganz anderes Thema…
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Glauben und Wissen – das scheint ein Problem des Glaubens zu sein, wie er mit dem Wissen in Einklang gebracht werden kann. Auch mich hat es ein Leben lang beschäftigt.
Aber es ist auch umgekehrt: Gerade in meiner Situation sehe ich, wie intensiv das „Wissen“ versucht, den „Glauben“ zu verstehen. Nicht die christlichen Dogmen, zugegeben. Aber die Macht des Glaubens im medizinischen Heilungsprozess, in sozialen und politischen Bezügen, ja selbst in der Physik. Völlig fassungslos stehen die „Aufgeklärten“ vor dem Phänomen Trump. Dass die Medizin keine Natur-, sondern eine Erfahrungswissenschaft sei, werde hinter vorgehaltener Hand als allgemein bekannt vorausgesetzt. Und dass nach der Quantenphysik der Beobachtende das Untersuchungsergebnis immer beeinflusse, ist auch näher an der Theologie als an der Naturwissenschaft des 19. Jahrhunderts, scheint mir.
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Ich habe gerade das Buch „Hoffnung Mensch – Eine bessere Welt ist möglich“ von Michael Schmidt-Salomon gelesen. Gut geschrieben! Darin plädiert er für einen „evolutionären Humanismus“. Er kommt natürlich ohne Gott aus, will aber (immerhin!) die westliche, aufgeklärte Religion mit ins Boot holen, der er nicht mehr nur Schlimmes vorwirft, wie noch vor einigen Jahren, sondern eine zunehmende Vernunft zugesteht. Am Schluss seines Buches formuliert er ein Glaubensbekenntnis; hier steht der Mensch im Zentrum, der in der Lage sei, sich immer weiterzuentwickeln, wie es die Evolution gezeigt habe, in Richtung auf mehr Wissen und Erkenntnis zum Wohl der Erde.
Mir scheint, dass die hier beschriebene Hoffnung sich nicht wesentlich von der religiösen Hoffnung unterscheidet. Was spricht dafür, dass die Menschen sich zum Besseren statt zum Schlechteren entwickeln? Ein Gang durch die Geschichte lässt beide Möglichkeiten zu. Wenn am Ende ein Glaube an die Evolution steht, dann ist dies schon mal erfreulicher als die Beschwörung einer Weltuntergangsstimmung; aber von einem Beweis kann wohl keine Rede sein.
Ein Atheist schreibt ein Glaubensbekenntnis! Das ist keine eher zufällige Wahl, nur weil das Bekenntnis eine so schöne, vertraute Form hat. Ich halte es für ein interessantes Beispiel dafür, dass Wissen und Glauben einander näher sind, als es Herrn Schmidt-Salomon lieb ist.
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… und religiöser als so manche Religiösen. Sein Zukunftsoptimismus in allen Ehren, aber ein nüchterner Blick auf die Realität zeigt: Es kann immer so und so kommen. Und ob es besser wird, weiß man erst hinterher – einmal abgesehen davon, dass man nicht immer weiß, was denn überhaupt besser ist und das Bessere für den Einen der Nachteil für den Anderen ist.
Aber Herr Schmidt-Salomon braucht diese säkulare Eschatologie, weil er an die Vernunft „glaubt“. Vernunft und Wissenschaft ersetzen als Heilsbringer Gott und Jesus.
Ich bin da skeptischer, was die Vernunft angeht. Aber da ich davon überzeugt bin, dass jeder Mensch an irgendetwas glauben muss, um nicht verrückt zu werden – die Vernunft ist nicht das Schlechteste.
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Vielen Dank für diesen Denkanstoß! Das wird mich weiter beschäftigen. Ich hatte mich so darüber gefreut, dass Herr Schmidt-Salomon deutliche Schritte auf die Religion zumacht, wodurch er sich meilenweit von Richard Dawkins unterscheidet.
Ich teile Ihre nüchterne – und realistischere – Einschätzung hinsichtlich der Zukunft; das hatte ich ja schon geschrieben. Man weiß nicht, was kommt, und sowieso ist alles/vieles ambivalent. Die Vernunft als (neuer) Heilsbringer: Danke; das hilft mir weiter!
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