* Die Schönheit Gottes

Kein Mensch hat ein Recht auf Gnade. Gnade ist immer die freiwillige Gabe eines Mächtigeren, sei es Gott, ein Richter oder der Bundespräsident. Doch das griechische Wort „Charis“, das in der Bibel für Gnade steht, hat nicht unbedingt etwas mit Recht und Gesetz zu tun. Die Entdeckung machte ich anlässlich der Vorbereitung einer Pfingstpredigt.

CharitenDie Griechen hatten bei dem Wort keinen Richter vor Augen, sondern die Chariten, drei schöne Göttinnen mit den Namen Euphrosyne (die Frohsinnige), Thalia (die Blühende) und Aglaia (die Strahlende). Und sie verbanden mit Charis Anmut, Schönheit und Grazie – ein Wort, das wiederum seinen Ursprung im lateinischen gratia hat.

Welch ein Unterschied. Auf der einen Seite der strenge Richter, auf der anderen drei sinnliche Musen. Und ich stellte mir vor, wir würden im Gottesdienst nicht sagen: Die Gnade Gottes sei mit dir, sondern: Die Anmut Gottes komme dir entgegen. Die Schönheit Gottes gehe in dir auf. Gnade als sinnliches Erlebnis, die das Herz weit macht. Die der Angst und dem Gefühl, nicht zu genügen, entgegentritt. Die dem Leben Farbe gibt.

Und wieder bin ich bei Leonard Cohen, der in seinen Liedern die Heiligkeit des Sinnlichen und die Sinnlichkeit des Heiligen besingt. Zwar hat Luther das weltliche Leben wie Hausputz und Windeln wechseln als gottgefällig gewürdigt. Es ist aber für ihn immer im Bereich der Sünde.

Kein Wunder, dass der Moslem Navid Kermani den Lebensstil seiner protestantischen Nachbarn nicht besonders attraktiv fand: „Was ich am wenigsten mit dem Christentum verband, mit dem ich aufgewachsen bin, war die Lust. Ich hatte gute Menschen vor Augen, wenn ich mir Christen vorstellte, aber nicht schöne; vernünftige Predigten, aber sterbenslangweilige; Nächstenliebe, aber nicht Sex.“ Er selbst dagegen besingt die Schönheit des Korans und macht ihn so attraktiv auch für Nichtmoslems.

Aber ist nicht schon im Alten Testament viel von Gottes Herrlichkeit die Rede (im Neuen dagegen eher nicht)? Katholiken preisen das Christentum gar als sinnlichste aller Religionen (gewagt!), und der reformierte Theologe Karl Barth sagt, dass Gott selbst der „Wohlgefällige, Begehrenswerte und Genußvolle“ sei.

Das ist schon mal ein Anfang, auch wenn es mir noch etwas zu erhaben und hoheitsvoll klingt. Mir fehlt irgendwie das Leichte, das Zufällige. Vielleicht hilft es ja, wenn ich jetzt rausgehe. Die Sonne scheint, und es ist einfach schön.

Das Bild der Chariten ist von Hans Weingartz – selbst fotografiert, CC BY-SA 2.0 de, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=12515467.
Das Zitat von Navid Kermani ist seinem Buch „Ungläubiges Staunen“ entnommen.

6 Gedanken zu “* Die Schönheit Gottes

  1. Ralf Liedtke schreibt:

    Da ist viel Wahres dran, wenn ich darüber tiefer nachdenke! Charis mit den Bedeutungsnuancen von Anmut, Schönheit und Grazie – da geht einem doch das Herz auf, die Sinne werden wach und selbst die Seele beginnt zu frohlocken.

    Wenn ich für mich reflektiere und meinen Empfindungen nachgehe, hat Gnade für mich immer auch etwas „Unterwürfiges“ und wenig mit mir selbst als zu tun. Sondern da kommt einer, der mit seiner (vermeintlichen) Allmacht, diese erteilt oder auch verweigert. So empfunden bin ich passiver Spielball. Mit Sorge und Ängsten befangen, trachte ich danach, die Gnade zu erhalten.

    Und was ist das für ein anderes Bild: Mag die Schönheit Gottes in mir aufgehen, seine Anmut mir entgegenkommen oder Frohsinn, Blühendes und Strahlendes in mir einziehen. Schon verändert sich auch der Beziehungsaspekt zu meinem Gott und ich spiele eine ganz andere Rolle. Diese Gedanken sind interessant und ich werde darüber weiter sinnieren, weil mir das Bild einfach gefällt und meinem schon mehrfach beschriebenen Gottverständnis sehr nahe kommt.

    Ich erinnere mich an Predigten aus meiner Jugendzeit, z.T. auch noch aus sporadischen Gottesdienstbesuchen später aus Liebe zu meiner Mutter, die nicht nur sterbenslangweilig waren, sondern mitunter von der Kanzel auch noch „drohende“ Untertöne zu hören waren.

    Kurz und gut: auch ich wünschte dem Protestantismus mehr Lustvolles, Leichtes und Sinnliches – gerade ich der engeren Glaubensausübung. Manches ist auf einem guten Weg, dieser aber längst nicht am Ziel.

    Und umgekehrt wünschte ich mitunter weniger Enges, Strenges, Propagierendes usw., gerade wenn es um gesellschaftspolitische Botchaften geht – wenig reflektierend dem Zeitgeist folgend, wo eine offene Fragehaltung und Diskurs wesentlich hilfreicher und erkenntnisbringender wären.

    Und da die Sonne immer noch lacht, tue auch ich jetzt etwas für mein Vergnügen.

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  2. Waltraud Habicht schreibt:

    Ich wollte nur kurz sagen, dass es nicht immer streng zugeht vor Gerichten, sondern dass es sogar da Momente „der Gnade“ geben kann, in denen Frieden gestiftet werden kann. Und das sind dann tatsächlich sinnliche Momente, in denen alles stimmt, in denen „die Anmut Gottes dir entgegenkommt und die Schönheit Gottes in dir aufgeht,…. Gnade als sinnliches Erlebnis, die das Herz weit macht. Die der Angst und dem Gefühl, nicht zu genügen, entgegentritt. Die dem Leben Farbe gibt.“

    Rausgehen und die Sonne genießen ist aber auf jeden Fall auch eine Option!

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