Show me the place

oder: Hilft mir der Glaube? Teil 2

Nach der Diagnose vor anderthalb Wochen, als eine neue Metastase entdeckt wurde, habe ich wieder Leonard Cohen gehört. You want it darker. Das ganze Album. Ich kann gut in dieser melancholischen Stimmung mitschwimmen. Und am Ende dann mitsummen: I wish, there was a treaty between your love and mine. So möchte ich auch sterben, mit Sehnsucht und Einverständnis im Herzen, alt und lebenssatt.

Aber noch nicht! Am vergangenen Freitag hatten wir Dr. Jutta Seeland zu Gast. Sie ist Ärztin für Psychotherapeutische Medizin im Ruhestand und hat sich sehr der Onkologie zugewendet. Sie beschwor uns geradezu, uns nicht dem Tod zuzuwenden, sondern dem Leben: „Sagen Sie nicht: Ich will nicht sterben. Sagen Sie: Ich will leben!“

Sie riet mir, dass wir uns mit unseren Plänen für die Route 66 beschäftigen sollen. Uns hineinversetzen in schöne Situationen, lachen und planen. Das würde, sagte sie, nicht nur die Heilung fördern, sondern nachweislich die Zellen im Körper verändern.

Dafür sollen wir den Begriff „palliativ“ aus unserem Denken verbannen. Es mag ja sein, dass ich medizinisch gesehen nur noch palliativ behandelt werden könne – und das heißt: nicht auf Heilung, sondern auf Begrenzung der Krankheit hin. Aber wer sagt denn, dass Heilung nicht mehr möglich sei? Jutta Seeland zumindest nicht.

Sie hat die Erfahrung gemacht, dass es drei Arten von Krebskranken gibt: Diejenigen, die sich dem Leben mehr zugewandt hätten als dem Leiden, die dem Krebs den Finger gezeigt und das Schöne bewusst gesucht und gelebt hätten, die hätten eine große Chance zur Heilung gehabt. Diejenigen, die sich weder gewehrt noch ergeben hätten, sondern immer treu die Behandlungen durchgeführt haben, ohne viel nachzudenken, hätten eine fifty-fifty-Chance gehabt. Und diejenigen, die sich in ihr Schicksal ergeben hätten, die wären auch eher gestorben.

Ein Freund erzählte, dass diese Erkenntnisse in der Psychosomatik längst bekannt seien. Und ich erinnerte mich an Forschungen über das Thema „Glaube und Heilung“. „So hat z.B. ein negatives Gottesbild mit entsprechenden Gefühlen eher ungünstige, ein positives Gottesbild eher günstige Effekte“, schreibt Sebastian Murken. Oder pointierter: „Eine Religion hilft vor allem denen, die stark daran glauben, dass sie ihnen hilft.“

Und glauben, so betont Jutta Seeland, heißt nicht nur denken, sondern vor allem auch fühlen.

Hm, dachte ich, und ich mit meinem Bild von einem unberechenbaren Gott? Ist ein solches Gottesbild nicht zu negativ? Aber ich habe kein anderes, zurzeit. Wie finde ich zum heilenden Gott? Mir scheint, dass es dieselbe Frage ist, die Leonard Cohen zu einem Song auf seinem drittletzten Album „Old Ideas“ inspiriert hat:

Show me the place, help me roll away the stone
Show me the place, I can’t move this thing alone
Show me the place where the word became a man
Show me the place where the suffering began.

Zeige mir den Ort, hilf mir den Stein hinwegzurollen. Ich kann dieses Ding nicht alleine bewegen. Zeig mir den Ort, an dem das Wort Mensch wurde. Zeig mir den Ort, an dem das Leiden begann.

Cohen, der Jude, nimmt eindeutig die christlichen Eckpunkte auf: Menschwerdung Jesu, Passion und Auferstehung. Nur in einer ungewöhnlichen Reihenfolge. „Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben“, sagt Jesus (Johannes 14, 6). Ich ahne, dass hinter diesen Worten mehr steckt – ein Geheimnis, das vielleicht nicht gelöst werden, dem man sich aber nähern kann.

Darüber muss ich weiter nachdenken.

(Die Zitate von Sebastian Murken stammen aus Schowalter, Murken, Religion und psychische Gesundheit S. 156, hier im Netz zu finden, und Ulrich Schnabel, Die Vermessung des Glaubens, S. 44, Blessing 2008)

Ein Gedanke zu “Show me the place

  1. Ralf Liedtke schreibt:

    Lieber Erik,
    es ist wunderbar, dass es solche Ärzte gibt! Noch schöner ist, dass Du hier einen wirklichen Beistand erhalten hast. Das freut mich ungemein. Ich teile die Gedanken und deshalb hatte ich gehofft, wie ich an anderen Stellen schon schrieb, dass Du die Kraft aufbringst, Gevatter Tod den Rücken zu kehren und Dich weiter dem Licht des Lebens zuzuwenden.
    Die Zeilen von Cohen, die Du zitierst, gefallen mir. Ja, es lohnt sich, über ihren Gehalt näher nachzudenken.
    Und da wir uns vor kurzem über Zweifel und Fragen ausgetauscht haben, stelle ich bezüglich des „unberechenbaren“ Gottes, mit dem Du nachvollziehbar ein gutes Stück haderst, eine: Was wäre, wenn Gott berechenbar wäre und wäre das wirklich besser? Was würde fehlen, wenn dem so wäre? Lieben Gruß

    Ralf

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