2. Teil der Reihe. Den ersten über Gott findest du hier.
Dass es schwer ist, über Gott etwas zu sagen, wissen Philosophen und Theologen seit Jahrtausenden. Mit Jesus sollte es einfacher sein. Immerhin ist er ein realer Mensch.
Aber dieser Eindruck könnte auch eine Falle sein. Schon früh hat man sich über die „Natur“ Jesu buchstäblich die Köpfe eingeschlagen: Ist er nun wesensgleich (homoousios) oder nur wesensähnlich (homoiousios) mit dem Vater? Wegen eines Jota also wurden Kriege geführt!
Außerdem gibt es von Jesus keine Primärquellen. Nur biographische Notizen, die Jahrzehnte später aufgeschrieben wurden und dazu noch extrem interessegeleitet sind. Jesus ist also mehr Projektionsfläche für eigene Glaubensvorstellungen, Wünsche, Sehnsüchte und Ängste.
Was ich also über Jesus sage, sagt möglicherweise mehr über mich aus als über den Mann aus Nazareth. Wohlan. Ich hole also meine Notizen aus Bingen, und da habe ich geschrieben:
Jesus: So ist Gott – so sollte der Mensch sein. Steht zu den Menschen – nicht nur zu Familie und Freunden, sondern zu allen – und zu sich selbst. Nimmt dabei aber keine Rücksicht auf sich. Gewaltlos. Zugewandt. Hilft selbst dann, wenn es unmöglich scheint, und ist für andere da.
Wenn ich das jetzt lese, fällt mir auf: Wo bleiben da Karfreitag und Ostern? Und im Glaubensbekenntnis hört sich das auch anders an. Keine Jungfrauengeburt, keine Passion, schon gar keine Höllenfahrt, aber auch keine Auferstehung. Und kein Richteramt. Muss das mit rein?
Dazu habt ihr doch bestimmt eine Meinung…
Na ja. Die Passion ist schon mit drin: „Steht zu sich selbst, nimmt dabei aber keine Rücksicht auf sich, ist gewaltlos… “ Diese Haltung, wirklich „durchgehalten“, kann lebensgefährlich werden und war es bei Jesus ja tatsächlich. Er war so kompromisslos im Einstehen für andere Menschen, dass es ihn das Leben gekostet hat.
Vielleicht könnte man diesen Weg auch als „Höllenfahrt“ verstehen – auch wenn damit, so habe ich es im Konfirmandenunterricht jedenfalls gelernt, gemeint war, dass Jesus nach seinem Kreuzestod alle „Verdammten“ gesehen und ihnen das Evangelium gepredigt hat (damit sie die Chance erhalten, sich zu ihm zu bekennen und doch noch in den „Himmel“ zu kommen). Von dieser Vorstellung können wir uns heute wohl schmerzlos verabschieden. Die Bilder von Himmel und Hölle haben genug Schaden angerichtet und führen zu unendlich vielen Missverständnissen und Verkürzungen christlicher Lehre.
Gott als Richter, Jesus als Anwalt, der im „jüngsten Gericht“ ein gutes Wort für mich einlegt: An dieser Hoffnung hänge ich, jedenfalls an ihrem zweiten Teil, dem mit Jesus. Gott als Richter erinnert natürlich wieder an den strengen Vater, der die geheimsten Ecken unserer Herzen kennt… Schwierig.
Die Hoffnung auf die Auferstehung möchte ich mir bewahren. Ist sie nicht der Kern unseres Glaubens? Der Grund, weshalb Paulus sich zu Christus bekehrt hat? Das Motiv für seine Gemeindegründungen und für seine Briefe, in denen er die Fragen der jungen Gemeinden beantwortet? „Wenn es keine Auferstehung der Toten gibt, ist auch Christus nicht auferweckt worden. Ist aber Christus nicht auferweckt worden, dann ist unsere Verkündigung leer und euer Glaube sinnlos…“ Diese bekannte Stelle aus dem ersten Korintherbrief (1. Kor 15, 13f) berührt mich jedes Mal, wenn ich sie im Gottesdienst höre. Allerdings muss ich gestehen, dass sich meine Gottesdienstbesuche in den letzten Jahrzehnten schleichend, aber drastisch reduziert haben. Das ist eine andere Geschichte.
Die Auferstehung muss mit rein. Aber wie? Ist dies nur eine Frage der Sprache? Vielleicht müsste man moderne Hoffnungen überdenken, sozusagen durchdeklinieren. Worauf hoffe ich? Was ist meine stärkste Hoffnung im Leben? Oder man könnte Glaube, Liebe, Hoffnung, „diese drei“, wieder als Einheit in den Vordergrund christlichen Glaubens stellen. Ich bin hier ganz auf dem Paulus-Trip. Man könnte versuchen, den ersten Korintherbrief neu zu übersetzen, vielmehr ihn in unser heutiges Denken zu übertragen. Wäre das eine lohnenswerte Aufgabe?
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Wie bekomme ich das in meinem Kopf zusammen – den unberechenbaren Gott („den lieben Gott gibt es nicht“) und den Spruch von Johannes: „Gott ist Liebe, und wer in der Liebe bleibt, der bleibt in Gott und Gott in ihm“ (1. Joh. 4,16)? Und wozu brauchen wir im Himmel einen Fürsprecher, wenn Gott gerecht ist? Heißt es nicht, er hätte uns durch den Kreuzestod Jesu bereits vergeben?
In der Tat: Jesus symbolisiert für mich Leben, Liebe, Hingabe, Barmherzigkeit. Er gibt sich alle Mühe, den Vater im Himmel auch so darzustellen. Muss aber am Ende klagen: Mein Gott, warum hast du mich verlassen? Gott Vater bleibt, bei aller Liebe, unergründlich und unsicher. Deshalb brauche ich Jesus – um vorbehaltlos vertrauen zu können.
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Wo bleiben da Karfreitag und Ostern?
Auch eine Passion:
Im letzten Sommer war ich in d e m heiligen Land in Europa. Keine Wallfahrt, aber doch eine innere Berührung die ich empfand als ich die Überreste, Steine und Relikte einer jahrtausendealten Kultur besuchte.
Zahlreiche Töchter und Söhne der Mittel- und Oberschicht kamen zu ihm. Er lehrte sie über die Fragen nachzudenken: wer bin ich, warum bin ich hier, was ist der Sinn des Lebens, wie sollte ich leben? Er war diplomatisch aber auch kompromisslos. Den Reichen und Einflussreichen, den Hohepriestern und Politkern wurde er unbequem. Der Rat der Stadt – 500 an der Zahl – verurteilte ihn in namentlicher Abstimmung zum Tode. Diesen sollte er an sich selbst vollziehen, wenn das Prozessionsschiff von seiner Fahrt zu einem Inselheiligtum zurückgekehrt sei. Wetterbedingt verzögerte sich das und er verbrachte die Zeit im Gefängnis. Seine einflussreichen Schüler sammelten Geld und hatten genug Möglichkeiten ihm die Flucht aus dem Gefängnis zu ermöglichen. Das hätte letztendlich auch im Interesse der Stadt gelegen, man hätte sich den schlechten Ruf des Todesurteils erspart, der Verurteilte hätte sich mit seiner Flucht seber desavouiert. Alles Flehen und Bitten seiner Jünger half nichts: er lehnte eine Flucht ab. Seine Frau kam und bat ihm unter Tränen doch zu fliehen. Als er wieder ablehnte sagte sie unter Schluchzen: „aber du bist doch unschuldig“. Er engegnete: „Frau, wäre es dir lieber wenn ich schuldig wäre“.
Dann kam das Schiff und er schied am selben Tag aus eigener Hand aus dem Leben, Nicht ohne zuvor und auch die ganzen Tage vorher seine Schüler getröstet und unterrichtet zu haben.
Mutig war dieser Mann und unerschrocken. Als Krieg war zog er mit in die Schlacht und als sein bester Freund verwundet wurde, zögerte er nicht, ihn aus der Frontlinie zu retten und zur Pflege in Sicherheit zu tragen, berichtet wurde dass er barfuss in die Schlacht zog, trotz des kalten Wetters.
Mit seinen engen Schülern zechte er auch schon mal eine ganze Nacht durch ohne abzulassen sie in allen Dingen die das Leben ausmachen zu unterrichten. Und während ein Schüler nach dem anderen nach Hause wankte und seinen Rausch den ganzen Tag lang ausschlief, ging er wie immer seinen gewohnten Verrichtungen nach.
Und dies sagte ein Schüler über ihn:
„Was uns angeht, wenn wir von einem anderen ebenso trefflichen Redner andere Reden hören, macht sich keiner…sonderlich etwas daraus. Hört aber einer dich selbst oder einen anderen die Reden vortragen… wer sie hört, alle sind wir außer uns und ganz davon hingerissen.“
„Er selbst aber hätte sich gerne immerfort über die menschlichen Dinge unterhalten, indem er untersuchte, was fromm, was gottlos, was schön, was schimpflich, was gerecht, was ungerecht sei, worin die Besonnenheit und Tollheit, die Tapferkeit und die Feigheit bestehe, wie ein Staat und Staatsmann, eine Regierung und ein Regent sein müsse, und anderes derart, was nach seiner Überzeugung jeder, der es weiß, zu einem guten und edlen Menschen macht.“
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… und dieser edle Mensch soll auch gesagt haben: „Ich weiß, dass ich nicht(s) weiß.“ Wahrhaft weise.
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Ja, stimmt und danke. Was die „weltlichen“ Dinge angeht ist Nicht-Wissen kein Prolblem. Eine Freundin von mir hat schon auf Jesus getippt, daher hier die „Auflösung“:
Das erste (oder vorletzte) Zitat ist von Platon, das nachfolgende ist von Xenophon. Die Frau heißt Xantippe – zu Unrecht hat sie einen schlechten Ruf bekommen – und der Weisheitslehrer hieß Sokrates.
In der Apologie des Platon sagt er:
„Nehmt ihr mir das Leben, so werdet ihr nicht leicht einen finden, der euch von der Gottheit geradezu als Zuchtmittel gegeben wurde… Ihr schlagt vielleicht nach mir im Ärger wie der Schlummernde auf eine Bremse, um dann euer weiteres Leben zu verschlafen.“ Wofür er bekannt ist, ist sein Rat „Erkenne dich selbst“.
Es dauerte danach 500 Jahre bevor Jesus kam…
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Stimmt -aber kleine Korrektur: „Erkenne dich selbst“ stand am Apollon-Tempel in Delphi und wurde von Aristoteles der Pythia, der dortigen Wahrsagerin mit den zweideutigen Sprüchen, zugeschrieben.
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Gestern haben wir im Schauspielhaus die „Unterwerfung“ gesehen. Edgar Selge stand fast 3 Stunden allein auf der Bühne und es war keine Sekunde langweilig! Herausragend gut gespielt.
Das Stück (die Bühnenfassung des französischen Romans) hat es in sich. Ein französischer Literaturprofessor erzählt, wie sich die politischen Ereignisse in Frankreich dermaßen hochschaukeln, dass bei den Wahlen als Kompromiss zwischen allen Parteien ein Moslem Präsident wird. Damit beginnt eine schnelle, völlig unwidersprochene Islamisierung des ganzen Landes. Die Parteien einigen sich auf den Moslem, um rechts- und linksradikale Positionen zu verhindern, auch der Front National soll keine Macht bekommen. Dann lieber ein islamischer Präsident…
Sehr eindrucksvoll fand ich neben der Sprache und der schauspielerischen Gedächtnisleistung die Vorstellung, dass die Entwicklung sich fast zwangsläufig vollzieht. Nicht nur eindrucksvoll, sondern höchst erschreckend. Am Ende glaubt sogar der Protagonist – ein laizistischer Franzose, weder Katholik, noch Atheist -, dass der Islam alle Probleme löst, weil er die Wahrheit ist. Die Schönheit des Korans erschließt sich im Hören der Texte, verstehen muss man nichts. Die Unterwerfung ist etwas Befreiendes, Beglückendes. Unheimlich!
Da lobe ich mir die Gleichgültigkeit unserer Gesellschaft gegenüber dem christlichen Glauben. Allerdings führt gerade diese Gleichgültigkeit zu den in dem Stück geschilderten Ereignissen. Wenn einem die eigenen/europäischen/demokratischen Werte nichts mehr „wert“ sind, dann gute Nacht, Europa.
Bleibt die Frage, inwieweit unser Glaube mit den Menschenrechten, der Gleichberechtigung und dem Pluralismus „kompatibel“ ist. Wir sind ja alle Kinder der Aufklärung. Aber wie sehr muss man die christliche Botschaft verbiegen, um zu dieser Übereinstimmung zu kommen? Ketzerische Gedanken am Ostersonnabend.
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Schaut man in die Geschichte, ist unser Glaube mit ungefähr allen Herrschafts- und Gesellschaftsformen kompatibel gewesen, von der Demokratie über den Absolutismus bis zur Diktatur. Aber welche Glaubensinhalte vertreten wir selbst? Was sind unsere Werte, oder: was ist uns wirklich etwas wert?
Das Versprechen unserer jetzigen Gesellschaft ist Freiheit des Einzelnen – ein gewaltiger Fortschritt gegenüber der repressiven Gesellschaft, die bis in die 60er-, 70er Jahre dauerte. Aber die Freiheit scheint irgendwo zwischen leerem Hedonismus und anstrengender Selbstoptimierung steckengeblieben zu sein.
Das ist Houellebecqs Analyse, und seine Lösung liegt in einer klerikalen Gesellschaftsform, die mir sehr nach 50er Jahre klingt, nur nicht unter christlichen, sondern islamischen Vorzeichen.
Wie kriegen wir das Freiheitsversprechen zusammen mit einer Vision von einer attraktiven Gesellschaft? Nationalismus ist für mich keine Lösung, hatten wir auch schon mal mit verheerenden Folgen. Die Religionen haben bisher auch keine wirklich attraktiven Alternativen umgesetzt.
Was mir im Kopf herumgeht, ist die Idee von der Caring Community. Der Staat sorgt für stabile äußere Verhältnisse, und wir kümmern uns vor Ort umeinander. Damit verknüpft die Idee von persönlicher Freiheit – dafür könnte ich mich begeistern.
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Wie Jesus? So sollte der Mensch sein? So eine Lichtgestalt? Wie das denn? Mir erscheint das wie eine sehr schwere Bürde, so einem Ideal nachzueifern.
Ich schlag mich gerade schon einige Wochen mit Bonhoeffers Mut und aufrechter Haltung und meiner Feigheit andererseits rum, aber sogar wie Jesus? Das scheint mir für mich aussichtslos, so gut und klar zu sein,zu allen Menschen, nicht nur zu denen, die man nett findet, sondern vielleicht sogar zu denen, vor denen man Angst hat?
Ich glaub, da bin ich raus.
Aber sowas wie die „Caring Community“ finde ich eine spannende Idee.
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Nachfolge heißt für mich nicht, wie Jesus sein zu wollen. Sondern dass ich mich an Jesus orientiere und dann meinen eigenen Weg gehe. Nicht nur in den ethischen Fragen, sondern auch in den verschiedenen Lebenssituationen wie Passion und, hoffentlich, Auferstehung.
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