Polit-Blues

Ich kann es einfach nicht. Ich habe es ehrlich versucht, viele Anläufe habe ich gemacht, aber ich schaffe es definitiv nicht, Rechtspopulisten wie die AfD wirklich zu verstehen. Liegt es vielleicht an mir, an meiner politischen Sozialisation?

Als ich anfing, politisch zu denken, herrschte noch der Kalte Krieg. Die Feindbilder waren klar verteilt, der Vietnamkrieg gerade vorbei, und unser Kampf galt unter anderem den Diktatoren der Welt. Ein Mitstudent hatte sie mit Konterfei aufgereiht, wie auf einem Fahndungsplakat der RAF-Terroristen. Und wie die gefangenen oder getöteten Terroristen mit einem roten Kreuz durchgestrichen wurden, strich er die Diktatoren aus, die gestürzt worden waren. Und sie fielen, einer nach dem anderen: Somoza in Nicaragua, Mao in China, Pol Pot in Kambodscha, Pinochet in Chile, das Apartheidsregime in Südafrika und der Schah von Persien. Schließlich brach auch noch die Sowjetunion zusammen und die Mauer fiel. Und als dann der Arabische Frühling ausbrach und Obama Präsident der USA wurde, schien die Welt wirklich eine bessere zu werden. Yes, we can!

Und nun erlebe ich die Rückkehr der Despoten. Und das nicht nur in Staaten, die Demokratie nie wirklich gelernt haben, in Russland, im Nahen Osten, in Afrika. Mitten in Europa beginnen die demokratischen Strukturen wegzuschwimmen. Orbán, Kazcynski, Hofer, le Pen, Wilders, Trump, Höcke und Petry, alles dieselbe Suppe.

Sie wollen den Nationalismus zurück. Geht’s noch? Das letzte Mal, als wir es versuchten, endete es im furchtbarsten Krieg der Weltgeschichte. Sie wollen die Flüchtlinge zurück ins Meer kippen. Wo um Himmels willen sind unsere christlichen oder humanistischen Werte geblieben?

Dabei kann ich sie ja in Ansätzen durchaus verstehen. Der Euro hat wohl ökonomisch gesehen tatsächlich etliche Nachteile. Aber eine Rückkehr zur D-Mark wäre doch noch unsinniger. Die EU ist aus meiner Sicht reichlich undurchsichtig, teuer und weit weg und muss dringend reformiert werden – aber sie deswegen gleich abschaffen? Die USA sind seit 150 Jahren eine Imperialmacht. Sie zwangen Japan schon 1854 mit militärischen Mitteln ein Handelsabkommen auf, führten ab 1955 Krieg in Vietnam, ermordeten den chilenischen Präsidenten Allende 1973, kämpften ums Öl 2001 in Afghanistan, 2003 im Irak – und das sind nur wenige von vielen militärischen und nichtmilitärischen Interventionen, die dem einen Ziel dienten: America first. Aber sich deshalb Putin an den Hals werfen? Das wäre dann ein Beispiel für das Sprichwort, wie man den Teufel durch Beelzebub austreibt.

Und ja, die großen Konzerne bestimmen seit Jahrzehnten die Politik in West und Ost. Banken, die sich schlicht verzockt haben, werden mit zig Milliarden „gerettet“, und die Verantwortlichen kommen nicht nur davon, sie profitieren auch noch. Das kritisiert auch die AfD. Dann aber findet sie einen Präsidenten toll, der seine Presseerklärung bei der Industrie abschreibt? Mir fehlen schlicht die Worte. Es ist derselbe Präsident, der versprochen hat, den Lobbyismus auszutrocknen – indem er die Lobbyisten gleich zu Ministern macht. Die Logik dahinter ist mir zu hoch.

Dazu kommt noch ein eigenartiges Verhältnis der AfD-Politiker zu Wissenschaft und Kultur.Dass 95% der Wissenschaftler von einem vor allem menschengemachten Klimawandel ausgehen, ist egal. Meinung geht vor Argument. Fake News bestimmen die Nachrichten.Kultur wird wieder national definiert. Hatten wir das nicht schon einmal, damals in der DDR und vorher noch, zwischen 32 und 45?

Und noch ein persönlicher Eindruck: Ich finde, Trump sieht immer aus wie ein ungezogenes und unerzogenes Kind. Der Präsident des mächtigsten Staates unseres Planeten!

Gute Nacht, Deutschland. Gute Nacht, Welt. Kann mich mal jemand aufmuntern?

2 Gedanken zu “Polit-Blues

  1. Regina Sylvester schreibt:

    Kann dich das Wahlergebnis in den Niederlanden vielleicht ein wenig aufmuntern? Ich hoffe jedenfalls, dass die zugegeben fehlerhafte Demokratie letztlich über die wachsende und beunruhigende Zustimmung zu den demagogischen Rattenfängern siegt.
    Ein herzlicher Gruß gemischt mit Hoffnung von Regina

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  2. Ute Klingwort-Finster schreibt:

    Ich teile die Hoffnung meiner Vor-Schreiberin. Wenigstens hat Geert Wilders nicht die meisten Stimmen bekommen! Und die Gerichte in den USA funktionieren! Trumps zweiter Versuch seines Muslim Ban ist ebenfalls (vorerst) gescheitert. Und die AfD scheint mir nicht nur aufgrund innerer Machtkämpfe schwächer zu werden, sondern auch wegen mangelnder Überzeugungskraft. Dies ist jedenfalls mein Eindruck…

    Ich will und kann mir nicht vorstellen, dass die Europäer mehrheitlich gegen die Europäische Union eingestellt sein sollen. Und ich hoffe sehr, dass dies keine Generationsfrage ist – als ob die jungen Menschen, die die Schrecken der beiden Weltkriege nicht miterlebt haben (und auch keine Eltern oder Großeltern mehr haben, die live dabei waren), die Errungenschaften der letzten 70 Jahre nicht zu schätzen wüssten und leichtfertig über Bord werfen könnten. Wenn ich mir dies vorstelle oder besser: vorstellen würde, dann müsste ich auch sagen: Gute Nacht, Europa! Aber wie gesagt: Die Hoffnung soll die Oberhand behalten!

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